Was macht ein Mafia-Boss, wenn er herausgefordert wird? Er erledigt seinen Gegner und übernimmt dessen Geschäfte. Russlands Präsident Putin fertigt den Wagner-Chef auf diese Weise ab: Prigoschin wird entmachtet und verliert lukrative Einnahmequellen an den Kreml.
Seit klar ist, dass die Meuterei von Wagner-Söldnern in Russland scheiterte, stellt sich die Frage nach dem Schicksal des Anführers Jewgeni Prigoschin. Das steht noch nicht fest. Erst wurde er unter Aufsicht des belarussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko gestellt. Nun hält er sich angeblich wieder in Russland auf. Der Kreml beteuert, sich nicht für seinen Aufenthaltsort zu interessieren. Derweil verbreiten russische Medien Bilder von einer Durchsuchung des protzigen Hauses von Prigoschin in St. Petersburg.
Festzustehen scheint indessen, dass er Stück für Stück sein globales Firmenimperium verliert. Seine Söldner wurden vor die Wahl gestellt, ihm zu folgen, sich der russischen Armee anzuschließen oder sich ins Privatleben zurückzuziehen. Schwere Waffen muss die Wagner-Gruppe dem Militär übergeben.
Prigoschin hatte in den vergangenen Jahren viel Geld angehäuft, vor allem durch üppig dotierte Regierungsaufträge. Nachdem er wegen verschiedener Delikte mehrere Jahre im Gefängnis verbracht hatte, baute er in den wilden 90er Jahren in Russland ein Restaurant-Business in St. Petersburg auf. Es folgte ein Catering-Unternehmen, mit dem er lukrative Deals an Land zog. Prigoschin belieferte den Kreml, staatliche Schulen und das Militär. Der Investigativ-Gruppe Bellingcat zufolge haben von Prigoschin kontrollierte Firmen zwischen 2011 und 2019 umgerechnet mindestens drei Milliarden Dollar durch Regierungsaufträge verdient.
Dieser Geldfluss ist nach der Meuterei vorbei. Die Aufträge werden neu vergeben. Putin kündigte an, dass die Finanzen des Catering-Geflechts unter die Lupe genommen werden. Seinen Angaben zufolge haben Wagner und Prigoschin alleine im vergangenen Jahr umgerechnet zwei Milliarden Dollar von der russischen Regierung bekommen. “Ich hoffe, dass im Rahmen dieser Arbeit niemand etwas gestohlen hat oder, sagen wir, nur wenig gestohlen hat. Aber wir werden das natürlich alles untersuchen”, so Putin.
Prigoschins Medienkonzern Patriot Media teilte unterdessen mit, dass er schließen müsse. Nach Angaben russischer Medien macht auch die von Prigoschin finanzierte “Troll-Fabrik” dicht, die unter anderem für die Einmischung in die Präsidentschaftswahlen 2016 verantwortlich gemacht wird.
Truppe für Autokraten
Die Entmachtung Prigoschins hatte bereits vor der Meuterei begonnen – und sie war wohl der wesentliche Grund dafür. Wagner hatte intensiv in russischen Gefängnissen Kanonenfutter für den Krieg in der Ukraine rekrutiert. Das Verteidigungsministerium schloss diesen Zugang und begann selbst, Strafgefangene für die reguläre Armee anzuwerben. Dann verlangte Ressortchef Sergej Schoigu, dass sich alle privaten militärischen Gruppen bis Anfang Juli dem Ministerium unterstellen. Der Wagner-Chef weigerte sich. Doch Putin stellte sich hinter seinen Minister, der immer wieder von Prigoschin herausgefordert und verhöhnt worden war.
Nach Prigoschins missglücktem Marsch auf Moskau begann der Kreml, auch die Kontrolle über seine Auslandsgeschäfte zu übernehmen. Die Wagner-Privatarmee ist in instabilen Ländern Afrikas und des Mittleren Ostens aktiv, stützt dort die jeweiligen autokratischen Regime – und lässt sich diese Dienste üppig bezahlen. Dazu gehören Syrien, Libyen, Mali und die Zentralafrikanische Republik. Aber auch in Simbabwe, dem Sudan und dem Kongo ist die Truppe offenbar aktiv – mal als kämpfende Truppe, mal als Sicherungspersonal etwa für Bergwerke oder russische Unternehmen. Den Söldnern werden zahlreiche Verbrechen wie Mord, Folter und Vergewaltigung vorgeworfen.
Ein Beispiel für das Geschäftsmodell: Wagner hatte Berichten zufolge den mit Russland verbündeten syrischen Präsidenten Bashar al-Assad im Kampf gegen Rebellengruppen und den Islamischen Staat unterstützt. Einem mit Prigoschin in Verbindung gebrachten Ölunternehmen wurde eine 25-prozentige Beteiligung an den Einnahmen aus den Öl- und Gasfeldern angeboten, aus dem seine Söldner den Islamischen Staat vertrieben hatten. Laut der “Financial Times” verdiente das Unternehmen dadurch mehrere hundert Millionen Dollar. Ein anderes Beispiel: Das US-Magazin “Politico” berichtet unter Berufung auf vertrauliche diplomatische Korrespondenz, dass Wagner in der Zentralafrikanischen Republik besonders üppige Profite einstrich. Allein im Jahr 2020 gingen an die Gruppe fast 1 Milliarde Dollar aus Bergbau-Beteiligungen. Eine Goldmine brachte sogar 2,7 Milliarden Dollar. Es ist davon auszugehen, dass ein Großteil der Einnahmen von Wagner im Ausland an den Kreml weitergereicht wurde.
Den Regierungen, die auf Wagner-Söldner zurückgreifen, versicherte Moskau, dass die Operationen ohne Unterbrechung fortgesetzt würden. Allerdings würden die Auftragskämpfer ab sofort nicht mehr unabhängig agieren. Sie stünden nun unter Leitung der russischen Regierung. Laut “Wall Street Journal” hat der Kreml die Wagner-Kämpfer aufgefordert, an ihrem Einsatzort zu bleiben. Zugleich seien im Falle einer Weigerung “harte Konsequenzen” angedroht worden.
Nützlich für den Kreml
Seit ihrer Gründung war die Wagner-Gruppe für den Kreml auch deshalb attraktiv, weil sie für dessen außen– und geopolitische Ziele eingesetzt wurde. Zugleich konnte die russische Regierung versichern, mit den brutalen Kämpfern offiziell nichts zu tun zu haben.
Wagners Verbindung zur russischen Regierung war allerdings ein offenes Geheimnis, seit die Söldnergruppe 2014 gegründet wurde und half, die ukrainische Krim und den Donbass unter russische Kontrolle zu bringen. Mit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine und den Kämpfen um die Stadt Bachmut ließ sich diese Verbindung nicht mehr leugnen. Nach der Meuterei Prigoschins sagte Putin in einer Ansprache an Soldaten, die Gruppe sei in der Vergangenheit vollständig aus dem russischen Haushalt finanziert worden.
Die Verbindung von Wagner-Truppe und Kreml ist damit offiziell. Dann spricht aus Putins Sicht auch nichts mehr dagegen, die Geschäfte gleich komplett zu übernehmen.