Eigentlich hat die Cannabis-Industrie in Deutschland mit Rekord-Umsätzen gerechnet. Aber das überarbeitete Eckpunktepapier zur Legalisierung begräbt diese Hoffnung. Im Interview mit ntv.de erzählt Unternehmer Finn Hänsel, ob sein Geschäftsmodell darunter leidet, und wie es jetzt weiter geht.
ntv.de: Der ursprünglich geplante freie Verkauf von Cannabis für Erwachsene in Fachgeschäften ist im aktuellen Eckpunktepapier gestrichen. Wie finden Sie das?
Finn Hänsel: Aus gesellschaftlicher Sicht freue ich mich über die geplante Entkriminalisierung. Aus unternehmerischer Sicht haben wir uns natürlich mehr erhofft. Die Eckpunkte, die im vergangenen Jahr vorgestellt wurden, waren für Unternehmer attraktiver. Damals war noch die Rede vom freien Handel. Inzwischen rückt eine Volllegalisierung in weite Ferne. Die Bundesregierung will in Modellregionen für fünf Jahre den Verkauf über lizenzierte Fachgeschäfte testen. Das geht zwar schon in Richtung Shops, allerdings in nur sehr begrenztem Maße, da die Kommunen selbst entscheiden können, ob sie solche Pilotprojekte wollen oder nicht.
Finn Hänsel ist Gründer der Sanity Group. Sein Unternehmen setzt sowohl auf medizinisches Cannabis als auch auf den Genussmittelmarkt.
Inwiefern schadet das Ihrem Geschäft?
Schaden tut das Eckpunktepapier unserem Unternehmen nicht. Seit mehreren Jahren haben wir ein solides Grundgeschäft mit Medizinal-Cannabis. Das wächst auch weiterhin. Natürlich haben wir uns Hoffnungen gemacht, dass durch die Öffnung des Marktes das Geschäft wächst. Das wird jetzt erstmal nicht der Fall sein. Außerdem müssen wir beobachten, ob eine Entkriminalisierung zu einer Abwanderung vom medizinischen in den entkriminalisierten Bereich führt. Das sollte vermieden werden, allein schon aus Therapie-Sicht.
Sie wollten eigene Shops eröffnen. Das ist so nicht mehr möglich.
Wir werden schauen, in welchem Rahmen wir uns als Unternehmen in den sogenannten Cannabis-Clubs engagieren können. Dafür warten wir auf den Gesetzentwurf. Noch ist die Rede von ‘nicht kommerziell’, deswegen bin ich derzeit nicht besonders hoffnungsvoll. Das Eckpunktepapier hat unsere komplette Shop-Strategie erst einmal auf Eis gelegt. Das heißt, sie wird nur dann relevant, wenn aus den Pilotprojekten auch wirklich Shops werden.
Der Plan ist, in Modellregionen für fünf Jahre den Verkauf über lizenzierte Fachgeschäfte zu testen. Ist das sinnvoll?
Ich hätte mir ein anderes, flächendeckendes Setup anstelle eines ‘Flickenteppich’ gewünscht. Allein schon, um eine vergleichbare Datengrundlage zur Überprüfung der Auswirkungen des legalen Verkaufs zu schaffen. Deutschland muss aufpassen, dass die Modellprojekte nicht zu restriktiv werden, damit die Leute einen Anreiz haben, aus dem illegalen Markt in den legalen Markt überzugehen. Außerdem halte ich es für schwierig, dass nun Firmen für eine auf fünf Jahre begrenzte Pilotprojektphase Millionen Euro in einheimischen Anbau investieren müssten. Der Import wäre deutlich attraktiver für alle Beteiligten und laut unserer Auffassung auch rechtlich machbar.
In Kanada sind auch viele Cannabis-Unternehmen an der verkorksten Legalisierung gescheitert, trotz Cannabis-Shops. Droht der deutschen Szene ein ähnliches Schicksal?
Ein Problem in Kanada ist die absolute Überproduktion im eigenen Land. Das ist ein Grund, weswegen ich generell für den Import parallel zum einheimischen Anbau plädiere. Es bringt nichts, wenn eine Masse an Unternehmen in mehreren Ländern versucht, eine komplette Infrastruktur auf die Beine zu stellen. Auch in Deutschland würde schnell eine Überproduktion drohen, weil plötzlich alle denken, mit Cannabis lässt sich viel Geld verdienen. Kanada hat sehr viele Fehler bei der Legalisierung gemacht. Am Anfang waren die Richtlinien zu hart. Dadurch konnte der Schwarzmarkt nicht eingedämmt werden. Wenn der Dealer einem das Cannabis innerhalb von zehn Minuten nach Hause bringt, die nächste Dispensary aber eine halbe Stunde entfernt ist, diese nicht liefert und man keine Werbung machen darf, dann ist das ein Nachteil gegenüber den illegalen Strukturen.
Ist eine Cannabis-Produktion ausschließlich in Deutschland überhaupt ausreichend?
Nein. Der Cannabis-Bedarf für die Modellprojekte wird unter den Bedingungen nur über den Import gedeckt werden können. Der Anbau allein in Deutschland lohnt sich für private Anbieter nicht. Pilotprojekte rechtfertigen keine Investitionen von mehreren Millionen Euro in den Aufbau von Anbauanlagen. Die drei Anbauer, die wir heute in Deutschland haben, können dem Bedarf nicht gerecht werden. Zum einen produzieren sie nur in kleinen Kapazitäten, und zum anderen sind sie komplett auf den medizinischen Anbau ausgelegt. Außerdem haben sie gewisse Anbauverpflichtungen, die sie gegenüber der Regierung für den Medizinalbereich abdecken müssen. Wenn diese drei Anbauer jetzt noch anfangen, für die Modellprojekte Cannabis zu produzieren, dann werden die auch Kapazitäten aufbauen müssen.
Wo soll das Cannabis denn herkommen, wenn der Import verboten ist und die heimischen Anbauer nicht liefern können?
Einen guten Anbau in Deutschland aufzubauen, dauert mehrere Jahre und kostet mehrere Millionen Euro. Wenn wir also schnell mit Pilotprojekten starten wollen, dann bleibt uns eigentlich gar nichts anderes übrig, als auch den Import zu erlauben. Wenn der Import verboten ist, müssten sich erst einmal Investoren finden, die in Deutschland in den Anbau investieren wollen. Das geht nur mit langfristiger Rechtssicherheit und nicht basierend auf einem Experiment mit unbekanntem Ausgang.
Für Cannabisprodukte soll außerdem ein generelles Werbeverbot gelten. Wie wollen Sie so Kunden erreichen?
Am Ende wird es um die Frage gehen: Was ist Information und was ist Werbung? Wenn wir unsere eigenen Shops betreiben, wird es sich hoffentlich herumsprechen, dass dort qualitatives Cannabis angeboten wird. Wenn es am Ende Geschäfte gibt, die keiner findet, hilft das der Bekämpfung des Schwarzmarkts auch nicht. Von daher bin ich mal gespannt, wie klar dieses Werbeverbot wirklich ist.
Wie können zwei parallele Cannabis-Märkte nebeneinander bestehen?
Eine große Gefahr, die wir in Kanada beobachten, ist, dass der medizinische Markt sehr stark eingebrochen ist in dem Moment, wo Cannabis einfacher zu bekommen war. Dort ist der Medizinalmarkt um bis zu 80 Prozent eingebrochen nach der Legalisierung, weil die Verschreibung sehr kompliziert ist. Patienten fragen sich dann natürlich, warum sie noch zum Arzt gehen sollen, wenn sie Cannabis auch um die Ecke frei verfügbar bekommen. Ein ähnliches Szenario könnte Deutschland drohen. Deswegen müssen dringend zum einen die Verschreibungen vereinfacht werden, damit eben diese Abwanderung nicht passiert. Zum anderen muss bei den Modellprojekten Firmen erlaubt werden, Gewinne zu erzielen. Damit die Branche wächst und mehr Arbeitskräfte schafft und mehr Firmen entstehen, muss man natürlich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen so anpassen, dass es für die Unternehmen auch attraktiv ist.
Deutschland ist nicht das einzige Land, das Cannabis legalisieren will. Auffällig ist, überall gibt es Einschränkungen. Konsumiert wird aber trotzdem, und der Staat lässt sich Steuereinnahmen und die Möglichkeit entgehen, Weltmarktführer zu werden. Woher kommt die Angst?
Die größte Einschränkung ist das internationale Recht. Sogar ein Land wie Kanada, das inzwischen sehr viele Produzenten hat, darf nicht außerhalb des Medizinalmarktes exportieren. Selbst wenn wir in Deutschland einen Genussmittelmarkt hätten, würde man wahrscheinlich auf den deutschen Anbau zurückgreifen. So kann kein Weltmarkt entstehen. Eigentlich müssten sich einige Länder zusammentun, um gewisse Ausnahmen beim Schengener Abkommen zu erzielen. Parallel müsste im Laufe der nächsten Jahre die UN Narcotics Drug Convention überarbeitet werden, damit Länder Cannabis legalisieren können. Wenn diese beiden Voraussetzungen geschaffen sind und damit auch ein internationaler Handel von Genussmittel-Cannabis möglich wäre, dann bin ich mir sicher, dass auch ein relativ einheitlicher Weltmarkt entsteht, in dem viele Potenziale entstehen können.
Die Union lehnt den Cannabis-Kurs der Ampel entschieden ab. Sie sind CDU-Mitglied und setzen sich seit 2002 für die Legalisierung von Cannabis ein. Ist es für Sie vielleicht jetzt an der Zeit, die Partei zu verlassen?
Bevor ich die Partei verlasse, versuche ich lieber in der Partei eine offene Diskussionskultur zu schaffen und Leute aufzuklären – auch über die Chancen, die damit einhergehen. Am Ende muss man sich natürlich die Frage gefallen lassen: Warum ist die CDU, die eigentlich für Freiheit und gegen Verbote einsteht, gerade bei dem Thema Cannabis so restriktiv?
Mit Finn Hänsel sprach Juliane Kipper