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Klimaanlagen sind ein fürchterlicher Lebensretter

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Über 40 Grad in Indien, China oder Thailand und Vietnam – Menschen in Teilen Asiens ächzen unter enormen Hitzewellen. Klimaanlagen werden zum Verkaufsschlager, vor allem auch in Schwellenländern. Das treibt den Stromverbrauch nach oben und heizt die Welt weiter auf. Kann man diesem Teufelskreis entkommen?

Asien liegt unter einer Hitzeglocke. In China werden in mehreren Landesteilen über 40 Grad gemessen, es ist viel zu heiß für Mitte Juni. In Peking zeigt das Thermometer 39,4 Grad, der Rekord lag bisher bei 39,1 Grad im Jahr 2000 für Mitte Juni.

Auch in Indien werden seit Wochen Temperaturen von 40 Grad oder mehr gemessen. Die Durchschnittswerte liegen teils rund fünf Grad über den normalen Mittelwerten. Bei einer Großveranstaltung Mitte April in der prallen Sonne sind mindestens 11 Menschen an einem Hitzschlag gestorben, etwa 50 weitere mussten ins Krankenhaus. Hitzerekorde werden auch im Nachbarland Bangladesch und in Nordthailand aufgestellt.

Die Sehnsucht nach Abkühlung ist groß. Wer es sich leisten kann, schafft sich eine Klimaanlage an. Pro Jahr werden 120 bis 130 Millionen Geräte verkauft, sagt Daniel de Graaf, wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Umweltbundesamt im ntv-Podcast “Wieder was gelernt”. Der wichtigste Markt sei China mit 50 Millionen verkauften Anlagen, gefolgt von den USA mit 25 Millionen, “dann kommen verschiedene weitere Weltregionen. Die liegen so zwischen 7 und 10 Millionen verkaufter Geräte in 2021.” Darunter seien Europa, Indien, Japan, Lateinamerika oder der Nahe Osten.

Dreimal mehr Klimaanlagen als 2015

Indien sei mit einem Plus von fast 23 Prozent im Vergleich zum Vorjahr der größte Wachstumsmarkt, erläutert de Graaf. Zwar haben bisher nur rund 20 Prozent der 1,4 Milliarden Inder Klimaanlagen, das wird sich mit dem steigenden Einkommen, einer wachsenden Bevölkerung und Mittelschicht aber ändern.

Die Nachfrage nach Klimaanlagen steigt insbesondere auch in den Schwellenländern, neben Indien auch in Indonesien und auf den Philippinen. Bis 2029 dürften mehr als eine Milliarde zusätzlicher Klimaanlagen verkauft werden, erwartet das Wirtschaftsmagazin Bloomberg. “Es gibt Langzeitprognosen bis zum Jahr 2050, die davon ausgehen, dass sich der Bestand im Vergleich zu 2015 in etwa verdreifachen wird, aufgrund des sich erwärmenden Klimas und, weil sich immer mehr Menschen besonders in den Schwellenstaaten Raumklimageräte leisten können”, führt Experte de Graaf aus.

Dreckiger Strom verursacht CO2-Emissionen

Die Länder, in denen die Nachfrage nach Klimaanlagen am schnellsten wächst, sind stark auf dreckige Kohlekraft angewiesen. In China werden immer mehr Kohlekraftwerke gebaut. Dieses Jahr wurden laut Greenpeace von Januar bis März Kraftwerke mit einer Leistung von mindestens 20,45 Gigawatt genehmigt. Das sei mehr als die Leistung aller neuen Kraftwerke, die vergangenes Jahr erlaubt wurden.

In China wurde 2022 fast 60 Prozent des Strombedarfs mit Kohle erzeugt. In Indien werden sogar 70 Prozent des Stroms aus Kohle gewonnen und ebenfalls neue Kraftwerke gebaut, um den Energiebedarf zu decken.

Dadurch droht die Klimakrise schlimmer zu werden. Klimaanlagen funktionieren zwar ähnlich wie ein Kühlschrank, fressen aber viel mehr Strom und tragen deshalb zum Ausstoß von Treibhausgasen bei. Das treibt die Klimaerwärmung voran. Zudem heizen sie mit ihrer Abluft die Welt noch weiter auf.

Wenn alle ihre Klimageräte einschalten, überlastet das zudem die Stromnetze. Im heißen Südchina ist der Stromverbrauch Ende Mai sprunghaft angestiegen. Die Stromnetz-Betreiber verzeichneten Spitzenlasten. Vergangenen Sommer mussten die chinesischen Behörden wegen der Hitze den Stromverbrauch sogar drosseln, weil Klimaanlagen und Ventilatoren auf Hochtouren liefen. Auch Vietnam schaltet wegen Hitze-Engpässen immer wieder den Strom ab.

Kältemittel vergiften durch Lecks die Umwelt

Zudem werden Klimaanlagen mit giftigen Kältemitteln betrieben. Diese könnten aufgrund beschädigter Leitungen oder nicht sachgemäßer Verarbeitung aus den Anlagen austreten, erklärt de Graaf im Podcast. Der Verlust durch diese Lecks belaufe sich auf ein bis drei Prozent pro Jahr. “Mittlerweile kommt im Wesentlichen der teilfluorierte Kohlenwasserstoff R32 zur Anwendung. Dieses Mittel hat ein sehr großes Treibhauspotenzial, verglichen mit CO2. Das Global Warming Potential (GWP) von CO2 beträgt 1, und R32 hat ein GWP von 750.”

Die teilfluorierten Kohlenwasserstoffe, kurz HFKW, sind in der EU für etwa 2,5 Prozent der Treibhausgasemissionen verantwortlich. Deshalb sollen sie nach und nach verbannt werden. Das könnte die Erderwärmung bis zum Ende des Jahrhunderts, bis 2100, um 0,3 bis 0,5 Grad verringern, sagen UN-Experten. Trotzdem sind diese Kältemittel noch in den meisten Klimaanlagen zu finden.

HFK wurden einige Zeit lang als Alternative zu ozonschädigenden Fluorchlorkohlenwasserstoffen – FCKW -genutzt, als diese Ende der 1980er Jahre verboten worden waren.

Klimaanlagen mit Propan in Indien verbreitet

“Wieder was gelernt”-Podcast

“Wieder was gelernt” ist ein Podcast für Neugierige: Warum wäre ein Waffenstillstand für Wladimir Putin vermutlich nur eine Pause? Warum fürchtet die NATO die Suwalki-Lücke? Wieso hat Russland wieder iPhones? Mit welchen kleinen Verhaltensänderungen kann man 15 Prozent Energie sparen? Hören Sie rein und werden Sie dreimal die Woche ein bisschen schlauer.

Alle Folgen finden Sie in der ntv App, bei RTL+ Musik, Apple Podcasts und Spotify. “Wieder was gelernt” ist auch bei Amazon Music und Google Podcasts verfügbar. Für alle anderen Podcast-Apps können Sie den RSS-Feed verwenden.

Dabei gibt es längst klimaneutrale Alternativen. Umweltfreundliche Klimaanlagen gebe es nicht, genauso wenig wie umweltfreundliche Autos, betont Daniel de Graaf im “Wieder was gelernt”-Podcast. Es seien aber Klimageräte verfügbar, die die Umwelt wenig belasten “zumindest was das Kältemittel angeht und in Verbindung mit einer hohen Effizienz”. Eine Möglichkeit ist Propan, ein natürliches Kältemittel, was auch für Campingkocher oder zum Heizen genutzt wird. Propan habe ein vergleichsweise niedriges GWP von drei.

Vorreiter bei Klimaanlagen mit Propan als Kältemittel seien Indien und China, dort seien etwa zwei Millionen solcher Geräte installiert, rechnet der Umweltbundesamt-Experte vor. Das Problem: Wer eine Klimaanlage hat, kann sie nicht einfach so umrüsten und Propan einfüllen. In der Neuanschaffung seien sie nicht teurer als herkömmliche Anlagen, betont de Graaf. “Und zumindest eine Zeit lang waren diese Propan-Geräte auch die energieeffizientesten auf dem indischen Markt.”

Klimaanlagen als Lebensretter

Klimaanlagen sind umweltschädlich. Sie führen zu Treibhausgasemissionen, Luftverschmutzung, Spitzenstrombedarf und dem Wärmeinsel-Effekt in Städten. Doch sie retten auch Leben, steht in einem Bericht der Forschungskooperation “The Lancet Countdown”: 2019 haben sie schätzungsweise 195.000 hitzebedingte Todesfälle bei über 65-Jährigen verhindert.

Mit steigenden Temperaturen sinkt außerdem die Produktivität. In Indien haben Forscher tausende Fabriken mit unterschiedlichen Kühlmethoden untersucht und herausgefunden, dass die Arbeiter mit jedem Grad Celsius mehr zwei Prozent weniger produktiv sind. Weltweit werden bis zum Jahr 2030 durch Hitze 80 Millionen Arbeitsplätze verloren gehen, geht aus einer Studie der Internationalen Arbeitsorganisation hervor.

Funktionierende Kühlung wird immer wichtiger. Gerade auch, weil Hitzewellen in Zukunft immer länger und heißer sein – und öfter auftreten werden.

Rollos, Lehmhäuser, Plastikflaschen

Dafür braucht es nicht immer die neueste Technik. Ventilatoren zum Beispiel verbrauchen nur einen Bruchteil des Stroms von Klimaanlagen. Experte de Graaf empfiehlt zudem Sonnenschutzfolien oder Rollos und, zu lüften, wenn es draußen nicht mehr so heiß ist. “Erst, wenn alles versagt, dann würde ich zur Klimaanlage greifen.”

Städte leiden mehr unter Hitzestress als das Umland und heizen sich stärker auf. “Dem komme ich bei, indem ich die Stadt begrüne, mit großen Bäumen, die Schatten spenden, Straßenbegleitgrün und grünen Fassaden.”

Gerade in den armen und sehr heißen Ländern sind alternative Kühlmethoden dringend nötig. Hoffnung macht ein Projekt aus Bangladesch: Eine selbstgebaute Klimaanlage aus alten Plastikflaschen und ohne Strom hilft dort dabei, die Temperatur in Häusern um fünf Grad zu senken.

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