Energieeffizienz bedeutet, dasselbe zu tun, aber weniger zu verbrauchen. Ein lohnenswerter Ansatz, wenn die Strom- und Heizkosten wie im vergangenen Jahr explodieren – aber oftmals auch ein teurer, bei dem erst reingebuttert werden muss, ehe die Kosten sinken. “Man ist zu arm zum Sparen, so klingt es auch bei vielen Kommunen”, erklären Tatjana Ruhl und Christian Noll von der Deutschen Unternehmensinitiative Energieeffizienz (Deneff), die sich als Stimme der Energieeffizienz versteht – auch im Sinne der Herausforderung von großen und kleinen Unternehmen, aber auch Kommunen, die nicht nur mit hohen Rechnungen, sondern auch um ihre Wettbewerbsfähigkeit kämpfen. Das Problem lasse sich aber auch mit einem schmalen Geldbeutel angehen, sagen Ruhl und Noll im “Klima-Labor” von ntv. Denn einige Lösungen von Energiedienstleistern funktionieren vereinfacht gesagt wie Handyverträge, bei denen das Telefon über Jahre in Raten abgezahlt wird. Das Projekt als Ganzes allerdings erinnert an das vielleicht chaotischste deutsche Infrastrukturprojekt – und lohnt sich dennoch: “Wenn die gesamte Industrie ihre Beleuchtung auf effiziente Leuchtmittel umstellen würde, hätten wir genauso viel Elektrizität eingespart, wie wir mit den längeren AKW-Laufzeiten generieren.”
ntv.de: Was ist der Unterschied zwischen Energieeffizienz und Energiesparen?
Christian Noll: Energieeffizienz bedeutet, dass ich dasselbe tun kann und trotzdem weniger Energie verbrauche. Das klassische Beispiel ist die LED-Lampe. Sie leuchtet genauso hell wie eine Glühlampe, verbraucht aber weniger Energie. Oder ich fahre Auto oder Fahrrad mit einem mehr oder weniger aufgepumpten Reifen. Ich komme genauso weit, habe aber hinterher einen höheren Spritverbrauch oder muss mich unglaublich ins Zeug legen.
Man bekommt also dieselbe Leistung für weniger Geld?
Christian Noll: Genau.
Allerdings muss man vorher in die neue Lösung investieren.
Christian Noll: Ja, aber ich spare anschließend Energie und CO2-Emissionen ein. Das geht Hand in Hand. Am Ende habe ich einen positiven Ertrag.
Ist das der Grund, warum Sie sich mit der Deneff auf Energieeffizienz konzentrieren?
Christian Noll: Wir haben die Deneff 2010 gegründet, weil es damals in Deutschland für die verrücktesten Dinge eine Lobby gab, aber keine für Energieeffizienz. Und das, obwohl schon vor 13 Jahren viele Unternehmen in Deutschland weltweit führende Lösungen zur Energieeinsparung angeboten haben – im Gebäudebereich, im Industriebereich, Produkte, Dienstleistungen, vom Startup bis zum Großkonzern. Damals wurden auch zeitgleich von der Politik Energiesparziele festgelegt, aber leider unverbindlich und ohne konkreten Weg dorthin.
Sie vertreten also Unternehmen, die Lösungen für eine bessere Energieeffizienz anbieten, nicht die Energieeffizienz an sich?
Christian Noll: Doch, die Energieeffizienz an sich. Gleichzeitig sind wir ein Netzwerk. Bei uns sind verschiedenste Unternehmen Mitglied, die Effizienzlösungen anbieten, aber auch Kommunen wie die Stadt Frankfurt. Teilweise auch einzelne Unternehmer. Energieeffizienz ist ein heterogenes Thema. Wir sind keine klassische Branchenvertretung, sondern eher Themenanwälte.
Im Großkomplex “Energiekrise” kommt das Thema “Energieeffizienz” aber erstaunlich selten auf.
Das Klima-Labor finden Sie bei ntv und überall, wo es Podcasts gibt: RTL+ Musik, Apple Podcasts, Amazon Music, Google Podcasts, Spotify, RSS-Feed
Christian Noll: Das ist tatsächlich so. In Kampagnen, Gesprächen und auch Medien geht es vor allem darum: Wenn das Gas nicht mehr aus Russland kommt, woher dann? Außerdem gibt es die bekannten Appelle, Energie mit dem viel zitierten Sparduschkopf oder Waschlappen zu sparen. Das bedeutet aber nicht, dass das Thema “Energieeffizienz” nicht stattfindet. Energetische Sanierungen haben sowohl in Unternehmen als auch in Haushalten deutlich angezogen, Maßnahmen zur Effizienzsteigerung in Industrieverfahren zugenommen.
Weil Energieeffizienz Geld spart?
Christian Noll: Genau. Wenn man sich den deutschen Gebäudebestand anschaut, haben viele Häuser die besten Zeiten hinter sich. Aber wir wollen doch alle in einem modernen, zukunftsfähigen Land mit einer lebenswerten Infrastruktur und wettbewerbsfähigen Unternehmen leben. Wir müssen also ohnehin investieren.
Wie groß ist denn das Potenzial aus wirtschaftlicher Sicht?
Tatjana Ruhl: Gerade Industrieunternehmen haben bei Energiekosten einen extremen Kostenpunkt. Im Schnitt sind es drei Prozent ihrer Ausgaben, in vielen Fällen deutlich mehr. Wenn diese Unternehmen wettbewerbsfähig bleiben wollen, ist es eklatant wichtig, in Energieeffizienz zu investieren. Viele Unternehmen betreiben Gott sei Dank schon seit längerer Zeit sogenannte Energiemanagementsysteme und messen sehr genau, welche Verbräuche sie wo haben und welche Entscheidungen sie treffen müssen. Wer das nicht gemacht hat, hat das in der Energiekrise gemerkt.
Weil man explodierende Kosten hatte?
Tatjana Ruhl: Genau. Im Zweifelsfall sind diese Unternehmen auch in eine Art Panik verfallen und haben gar nichts mehr gemacht, anstatt sich aus der Krise heraus zu investieren.
Haben Sie ein Beispiel dafür? Wo lief’s besonders schlecht?
Tatjana Ruhl: Die Unternehmen werden bei mir leider nicht einzeln vorstellig (lacht).
Christian Noll: Ein konkretes Beispiel, das jeder kennt, sind Kleinstunternehmen. Die Krise betrifft ja nicht nur große, energieintensive Konzerne, die Stahl oder Zement herstellen. Und je kleiner die Unternehmen sind, desto seltener hat man sich vorher mit der Frage beschäftigt, was man machen kann. Ich habe beispielsweise bei mir im Haus unten einen Kiosk, der sieben oder acht Getränkekühlschränke betreibt, weil die Menschen in Berlin gerne fünf unterschiedliche Sorten Mate und alle möglichen Biere trinken wollen. Im Sommer fängt der Betreiber tierisch an zu schwitzen, weil die Kühlschränke Wärme abgeben, um kühlen zu können. Also stellt er sich zusätzlich eine Klimaanlage in den Laden – bei einer geöffneten Tür. Dass der sich dann über seine Stromrechnung ärgert, ist klar.
Fehlt nur noch, dass er die Kühlschränke zum Kühlen aufmacht …
Christian Noll: Ja, aber wir kennen auch viele Beispiele von kleinen, familiengeführten Betrieben, denen das Thema sehr am Herzen liegt. Die haben anders als börsennotierte Unternehmen, bei denen sich alles, was sie investieren, innerhalb von zwei oder drei Jahren rechnen muss, häufig eine längerfristige Perspektive. Zum Beispiel die Metallumformung in Limburg, die 2020 mit dem Deutschen Umweltpreis ausgezeichnet worden ist. Viele Unternehmen lecken nach den ersten Maßnahmen förmlich Blut und sagen: Ich bleibe dran!
Man gerät in einen Effizienzrausch?
Christian Noll: Das kann man so sagen. Diese Unternehmen reißen andere mit.
Umgekehrt sagen viele kleinere Unternehmen wie Porzellanfabriken oder Bierbrauer: Wir hätten das gerne gemacht, hatten aber nie die Überschüsse, um investieren zu können, weil die Kosten schon sehr groß sein können. Von denen sind viele durch die Energiekrise Pleite gegangen.
Christian Noll: Man ist zu arm zum Sparen, so klingt es auch bei vielen Kommunen. Deswegen wundert es auch nicht, wenn zu Hause alle LED-Leuchten nutzen, aber in den Kommunen teilweise noch die ältesten Funzeln an den Straßen stehen. Es gibt aber durchaus Mittel und Wege, den Umbau trotzdem anzugehen. Zum Beispiel Energiedienstleister, die sagen: Ich investiere für dich in diese Anlage und verkaufe dir anschließend nicht Gas oder Brennstoff, sondern Wärme. Die Anlagen werden über diesen Wärmepreis, den Unternehmen monatlich zahlen, finanziert.
Energiedienstleister?
Christian Noll: Das funktioniert ähnlich wie bei Handyverträgen, wo das Handy mitgeliefert wird. Sie zahlen nicht auf einen Schlag 500 Euro, sondern eine monatliche Rate. Genauso gibt es Unternehmen, die für eine monatliche Zahlung Anlagen und Energie liefern. Wärme, Kälte, was auch immer.
Sie haben den Berliner Späti genannt, aber welche Mittel und Wege gibt es denn für große Industrieunternehmen, um effizienter zu werden? Zählt es als Effizienzmaßnahme, wenn man häufiger das Licht ausknipst? Wird der Wasserverbrauch reduziert? Steht der Gasverbrauch im Fokus?
Tatjana Ruhl: Tatsächlich sieht das in Industrieunternehmen gar nicht so anders aus wie zu Hause. Es gibt Stromanwendungen wie Licht, aber das ist nicht der größte Posten. Das sind Motoren, Pumpen, Wärmeanwendungen und Kühlanwendungen. Im Prinzip haben sie sehr große Kühlschränke, sehr große Heizungen, sehr große Waschmaschinen, sehr große Trockner und in der Papierindustrie auch sehr große Föhns. Und natürlich ist es auch in der Industrie ein Riesenthema, ob das Licht nur an der Stelle brennt, wo tatsächlich gerade Leute arbeiten. Der Unterschied ist, dass man das Licht nicht einfach ausschalten kann, wenn man die Halle verlässt, das geht mit Sicherheit schief. Man muss sich das wie eine große WG vorstellen: Je mehr Leute beteiligt sind, umso stärker muss man solche Prozesse automatisieren.
Einfach nur das Licht ausknipsen, wird den Industriestandort Deutschland wahrscheinlich nicht retten.
Tatjana Ruhl: Nein. Aber man kann mit moderner Technik in jedem einzelnen Bereich fast immer 20 Prozent Energie einsparen – egal, ob Licht, Motoren oder Wärmeanwendungen.
Christian Noll: Es gab vor kurzem die Debatte über die Verlängerung von AKW-Laufzeiten. Wenn die gesamte Industrie ihre Beleuchtung auf effiziente Leuchtmittel umstellen würde, hätten wir genauso viel Elektrizität eingespart, wie wir mit den längeren Laufzeiten generieren. Einschalten, Ausschalten, Bewegungsmelder, tagesgeführte und bedarfsgeführte Steuerung – das sind Themen, bei denen man den Faktor Mensch beim Energiesparen unterstützen kann.
Und wie schnell rechnen sich diese Umstellungen für die Unternehmen?
Christian Noll: Es kommt wie immer darauf an. Es gibt Bereiche wie die Beleuchtung, in denen die Technologiesprünge in den letzten Jahren so groß waren, dass sich die Umstellung von Glühlampe auf LED schon nach wenigen Wochen lohnt – auch aus Ressourcensicht beim CO2-Verbrauch. Wenn ich mein Gebäude aber erst vor fünf Jahren gebaut habe, ergibt es natürlich keinen Sinn, das jetzt energetisch zu sanieren. Bei alten Heizkesseln in privaten Haushalten, aber auch bei vielen Anlagen in der Industrie handelt es sich um gute deutsche Wertarbeit, die schon seit Jahrzehnten läuft. Dort können sich Maßnahmen wiederum sehr schnell rechnen. Die Faustregel ist: Je älter eine Anlage ist, desto mehr lohnt sich der Umstieg.
Wo würde man denn mit dem Umstieg beginnen? Was ist der erste Schritt?
Tatjana Ruhl: Als Erstes macht man sich wie bei allen größeren Projekten am besten einen Plan (lacht). Im besten Fall hat das Unternehmen ein Transformationskonzept, also ein Strategiepapier zur Frage: Wie werde ich eigentlich klimaneutral? Dafür gibt es Dienstleister, die man einkaufen kann. Das wird auch gefördert.
Finanziell?
Tatjana Ruhl: Genau, zu 80 Prozent. Man bekommt den Plan praktisch vom Staat geschenkt. Als Nächstes muss ich überlegen, welche der vielen Maßnahmen ich am besten durchführen kann. Manchmal muss ich investieren, manchmal einen Prozess umstellen. Das ist ein Riesenprojekt. Man kann sich das so vorstellen, als wenn jedes Unternehmen in Deutschland aktuell seinen eigenen Berliner Flughafen bauen muss.
Das klingt wenig ermutigend …
Tatjana Ruhl: Deswegen braucht man Leute und Strukturen, die das im Griff haben.
Mit Tatjana Ruhl und Christian Noll sprachen Clara Pfeffer und Christian Herrmann. Das Gespräch ist zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet worden.
Was hilft gegen den Klimawandel? “Klima-Labor “ist der ntv Podcast, in dem Clara Pfeffer und Christian Herrmann Ideen und Behauptungen prüfen, die toll klingen, es aber selten sind. Klimaneutrale Unternehmen? Gelogen. Klimakiller Kuh? Irreführend. Kunstfleisch? Das Grauen 4.0. Aufforsten im Süden? Verschärft Probleme. CO2-Preise für Verbraucher? Unausweichlich. LNG? Teuer.
Das Klima-Labor – jeden Donnerstag eine halbe Stunde, die informiert und aufräumt. Bei ntv und überall, wo es Podcasts gibt: RTL+ Musik, Apple Podcasts, Amazon Music, Google Podcasts, Spotify, RSS-Feed