Vor wenigen Jahren galt Griechenland als hoffnungsloser Fall. Eine Staatspleite und das Ausscheiden aus dem Euro hielten auch in Deutschland viele für unumgänglich. Inzwischen boomt die griechische Wirtschaft, die Schuldenquote sinkt. Dafür haben die Griechen einen hohen Preis bezahlt.
Es sei völlig unmöglich, hieß es: “Die Schulden des Landes würden niemals tragfähig sein, es sei ausgeschlossen, einen Haushaltsüberschuss zu erreichen, und die Banken würden niemals in der Lage sein, ihren Berg an faulen Krediten abzubauen”, erinnert sich Fokion Karavias, Chef der griechischen Bank Eurobank, an die jahrelangen Debatten über die griechische Schuldenkrise. Von der damaligen linken griechischen Regierung bis zu konservativen deutschen Politikern und Finanzexperten waren sich viele einig: Griechenland, das ab 2009 in eine jahrelange Dauerfinanzkrise geraten war, sei auch mit Milliardenhilfen, drastischen Sparmaßnahmen und Reformen nicht zu retten. Eine Staatspleite einschließlich eines Ausscheidens aus der europäischen Gemeinschaftswährung sei unvermeidlich.
Doch “am Ende”, so resümiert Bankchef Karavias nun in der “Financial Times”, “ist nichts unmöglich”. Vom hoffnungslosen Problemfall hat sich Griechenland innerhalb weniger Jahre zum Musterschüler Europas entwickelt. Investoren, Analysten und Wirtschaftsmedien bejubeln die Wirtschaftsentwicklung der letzten Jahre. Ratingagenturen haben die Bonität des Landes kontinuierlich hochgestuft und gehen davon aus, dass sich der Aufschwung noch beschleunigt. Die Bank Barclays prophezeit Griechenland in einer aktuellen Analyse sogar einen bevorstehenden “dritten Mega-Zyklus”, eine Phase langanhaltenden Wirtschaftswachstums nach den beiden großen Boomphasen in der jüngeren griechischen Geschichte in den 1950er und 60er Jahren sowie im ersten Jahrzehnt der 20. Jahrhunderts.
Griechenlands Wirtschaft wuchs zuletzt mit Raten, wie man sie lange in China, aber kaum in einem europäischen Industrieland kannte. Im vergangenen Jahr legte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 5,9 Prozent zu, im Jahr davor um 8,4 Prozent. Für dieses Jahr erwartet die EU-Kommission ein Wirtschaftswachstum von immerhin 2,4 Prozent. Damit liegt Griechenland weit über dem EU-Durchschnitt und um ein Vielfaches über den deutschen Wachstumsraten: Die lagen 2021 bei 2,4 Prozent, 2022 bei 1,8 Prozent. Im laufenden Jahr wird gerade mal ein Wachstum von 0,2 Prozent erwartet.
Zweitärmstes EU-Land
Dank des hohen Wachstumstempos konnte Griechenland seine als untragbar geltende Schuldenlast bereits deutlich reduzieren. In der Spitze summierten sich die Staatsschulden auf über 200 Prozent des BIP. Inzwischen ist dieses Verhältnis auf gut 170 Prozent gesunken. Das ist zwar immer noch der höchste Wert aller Euroländer, aber die Experten von S&P erwarten, dass Griechenland dank kontinuierlicher Haushaltsüberschüsse bei gleichzeitig wachsender Wirtschaft die Schuldenquote weiter um rund zehn Prozentpunkte pro Jahr senken kann. Auch die griechischen Banken konnten den Anteil fauler Kredite in ihren Bilanzen von mehr als 40 auf unter 10 Prozent senken.
Auch wenn kaum jemand diese Entwicklung vorausgesehen hat, ein unerklärliches Wunder ist sie nicht. Viele Experten hatten gewarnt, Griechenland könne seine erdrückenden Schulden nicht mithilfe eines drastischen Sparkurses abbauen, da dann auch das Wirtschaftswachstum einbrechen oder zum Erliegen kommen würde. Das war in den Krisenjahren zunächst auch der Fall. Dass die griechische Wirtschaft nun wieder rasant wächst, liegt vor allem an dem enormen Preis, den die Griechen in Form eines hohen Wohlstandsverlustes gezahlt haben. Während die Wirtschaft im Laufe der Krise um mehr als ein Viertel einbrach, kürzte die Regierung Sozialleistungen, Renten und auch den Mindestlohn massiv. Die Arbeitslosigkeit schnellte auf rund 30 Prozent nach oben. Im Zuge dessen fielen auch die Löhne und Gehälter um nahezu 30 Prozent – und sind bis heute kaum wieder gestiegen.
Diese schmerzhaften Einschnitte haben Griechenlands Exportwirtschaft wieder konkurrenzfähig gemacht. Die griechischen Ausfuhren haben sich im Lauf von zehn Jahren etwa verdoppelt und so einen entscheidenden Beitrag zum Aufschwung geleistet. Ausgezahlt für die griechische Bevölkerung hat sich dieser teuer erkaufte Erfolg noch lange nicht. Der Wohlstand in Griechenland hat nicht nur das Vorkrisenniveau von 2008 noch lange nicht wieder erreicht. Gemessen am BIP pro Kopf ist Griechenland – vor Schlusslicht Bulgarien – immer noch das zweitärmste Land der EU.