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“Die Politiker begreifen es erst, wenn ihr Italiener dicht ist”

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Die Corona-Lockdowns waren für die Gastronomie nur der Auftakt: Akuter Personalmangel, Preisschock durch den Ukraine-Krieg und die drohende Mehrwertsteuererhöhung bedeuten für viele Restaurantbesitzer mittlerweile eine jahrelange Existenz am Limit. Der Berliner Starkoch Tim Raue wirft der Regierung Unfähigkeit, Ignoranz und mangelnde Fairness vor. Gastronomie sei wichtig für die Wirtschaft, erklärt der Sterne-Gastronom im Interview mit ntv.de. Politiker aber betrachteten “jegliche Form von Genuss als etwas Negatives”. Andere Branchen würden subventioniert, “die Gastronomie möchte auch nicht mit leeren Händen ausgehen”.

ntv.de: Die Gastronomie kommt nicht aus dem Jammertal heraus. Wie geht es Ihnen?

Tim Raue: Die letzten Jahre waren eine echte Herausforderung. Erst wurde man mit einem Berufsverbot von der Regierung belegt, dann hat man einen euphorischen Start hingelegt, weil die Menschen wieder essen und rausgehen wollten. Und dann kam der russische Angriffskrieg auf die Ukraine und so der nächste Knick. Die Teuerung bei Lebensmitteln lag zwischen 30 und 100 Prozent, über die Energiekosten will ich gar nicht reden. Die Menschen gehen wegen der Inflation nur noch sehr bewusst aus. Das heißt, wir haben sehr viele kleine Brände, die gelöscht werden müssen und es gibt keinen Grund zu jubeln.

Offenbar gibt es jetzt auch noch einen großen Vertrauensverlust. Viele kritisieren die Preisanhebungen in der Gastronomie. Es häufen sich Berichte über mutmaßliche Abzockerei. Was sagen Sie dazu?

Ich sehe nirgendwo Abzocke. Natürlich gibt es schwarze Schafe, es mag unter 100.000 zehn geben. Aber die sind dumm, weil sie direkt vom Kunden bestraft werden. Wir haben eine Transparenz ohnegleichen. Wenn einer an der Ecke für einen Burger statt 11 Euro 17 Euro verlangt, wird das Geschäft sehr schnell keine Gäste mehr haben, außer es gibt einen Burger, der der Beste der Besten ist. Es gibt gefühlt immer nur schwarz und weiß, also Abzocke oder supergünstig. Das ist Quatsch. Es gibt Gastronomen, denen es sehr gut geht. Es sind vor allem die, die nah an ihren Gästen sind, die Preise fair erhöhen und die dem Gast das bieten, was Gastronomie bieten sollte: neben sehr guter Ernährung einen Ort, an dem man abschalten kann, wie in einem kleinen Urlaub.

Hängen Sie die Latte da nicht etwas hoch?

In Deutschland haben wir ein großes Problem. Seitdem ich mich mit Gastronomie beschäftige – und das sind jetzt mittlerweile 32 Jahre- genießt Essen und Trinken nicht die gleiche Wertschätzung, wie bei unseren europäischen Nachbarn. Politiker betrachten jegliche Form von Genuss als etwas Negatives. Zu sagen, wir sind stolz darauf, großartige Winzer, Obstweine oder Erdbeeren in Brandenburg und Berlin zu haben, auf diese Idee kommt keiner. Auch nicht auf die Idee, dass Berlin beispielsweise als Stadt nur wachsen und existieren kann aufgrund des Tourismus‘. Die Regierung ignoriert das. Das Feld wird null gefördert. Wir dürfen uns nicht wundern, wenn in der Discounter-Lasagne für 0,99 Euro das halbe Kilo mieses Pferdefleisch aus Rumänien ist. Wir sind einfach nicht bereit, mehr Geld auszugeben. Wir besitzen keinen Stolz auf unsere Lebensmittel.

Apropos Genuss und Anerkennung. In Amerika gibt es eine hitzige Debatte über erzwungenes Trinkgeld. Sind die deutschen Gäste aktuell gut oder schlecht beim Trinkgeld geben?

Ich würde eher in zufriedene und unzufriedene Gäste unterteilen. Wer zufrieden ist, gibt. Wer nicht zufrieden ist, gibt weniger oder nichts. Grundsätzlich glaube ich, dass wir auch in Deutschland lernen müssen, dass Service eine Leistung ist, die am Ende belohnt werden sollte. Manchmal ist das so, wie wir uns es wünschen. Manchmal sind wir überrascht, und manchmal sind wir enttäuscht. Aber so ist das Leben.

Ab 2024 soll die Mehrwertsteuer wieder auf 19 Prozent angehoben werden. Wie wird sich das auswirken?

Dass die Mehrwertsteuer auf sieben Prozent für Essen und Trinken gesenkt wurde, hat uns sehr gutgetan. Wird das rückgängig gemacht, sind das noch mal 12 Prozent, die wir in Zukunft einpreisen müssen. Das werden ganz viele Betriebe wirtschaftlich nicht überleben. Natürlich geht es bei einer Currywurst mit Pommes um einen anderen Betrag, als in einem feinen Restaurant. Aber die breite Masse, die gastronomisch dahindümpelt und kein Konzept hat, wird es schwer haben. Weniger zu fürchten haben sicherlich die Gastronomen, die mit Konzept, Leidenschaft und Herzblut arbeiten und denen das Wohl des Gastes wichtig ist.

Das würden Sie als Erfolgsrezept bezeichnen?

Tim Raue sammelt nicht nur Michelin-Sterne, er hat auch bei “Raue – Der Restaurantretter” bei RTL seit April eine Mission: Er hilft Restaurants, die von der Krise bedroht sind.

Mein Vorbild sind Marken, die so gut funktionieren, dass die Menschen sie unbedingt haben wollen. Mit dem Restaurant Tim Raue haben wir das versucht, zu kreieren. Einen Ort, wo Menschen auch gerne darauf warten, Gast zu sein. Unabhängig davon, versuchen wir natürlich, durch Petitionen für die gesamte Branche zu werben. Es gibt andere Bereiche der Wirtschaft, die subventioniert werden. Die Gastronomie möchte auch nicht mit leeren Händen ausgehen.

Sachsen hat eine Verlängerung des niedrigeren Steuersatzes ins Spiel gebracht. Würde das reichen, um eine Pleitewelle abzuwenden?

Das kann man nicht absehen. Sollte es dazu kommen, hat es die Politik zu verantworten. Wir können es nicht ändern, weil wir die Preise nicht weiter senken können. Die Gewinnmarge in der Gastronomie liegt im Normalfall nur zwischen drei und fünf Prozent, deswegen sind 12 Prozent so existenzgefährdend. Gastronomie ist eine personalintensive Branche, in den letzten Jahren sind die Gehälter massiv gestiegen. Völlig zu Recht. Aber diese Last gilt es zu tragen und die Bundesregierung sieht das nicht. Die Politiker werden es erst begreifen, wenn sie irgendwann zu ihrem Italiener gehen und die Tür verschlossen ist.

Wegen Personalmangels geschlossen, liest man bereits häufiger an Türen. Die Gastro gilt mit ihren Arbeitszeiten inzwischen als sehr unattraktiv für Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen. Wie kann man den Job wieder attraktiver machen?

Das haben wohl alle irgendwie schon probiert. Das wirkliche Problem ist, dass es das gesamte Handwerk betrifft. Überall herrscht Fachkräftemangel. Und die Politik begreift nicht, dass dieses Land Arbeitsmigranten und Zuwanderung braucht. Was ist mit den Flüchtlingen in Deutschland? Wir kommen hier nur in ganz kleinen Schritten voran, weil wir uns bürokratisch Betonklötze an die Beine hängen. Und dann haben wir auch noch die Problematik, dass wir in Deutschland nicht mehr ausbilden, jeder kann als Quereinsteiger in den Job starten. Eine dreijährige duale Ausbildung in Deutschland war ein Wert, der international anerkannt war und ist. Und den schieben wir jetzt einfach beiseite. Als praktisch denkender Unternehmer kann ich einfach nur noch mit dem Kopf schütteln.

Könnten Sie sich vorstellen, irgendwann die Flinte ins Korn zu werfen?

Nein. Es ist, wie gesagt, alles supernervig, wird immer aufwendiger und das bedeutet, immer noch mehr zu arbeiten und zu leisten, und dafür am Ende bestraft zu werden in Form von mehr Steuern und noch mehr Verordnungen. Aber deshalb gebe ich nicht auf. Ich bin leidenschaftlicher Gastronom mit Erfahrungen in anderen Ländern, von Dubai über die Schweiz und vier Restaurants auf Kreuzfahrtschiffen. Da war oder ist das Arbeiten deutlich entspannter und einfacher. Aber Fakt ist auch, dass meine Geschäftspartnerin Marie-Anne Wild und ich Berliner sind und unser Business auch ein Lebenswerk ist. Gleichzeitig werde ich nicht jünger, also bereite ich mich natürlich auf die Zukunft vor und investiere viel Zeit in meine Arbeit im Fernsehen – denn das macht auf lange Sicht unternehmerisch mehr Sinn.

Mit Tim Raue sprach Diana Dittmer

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