“Little Boxes” greift – wie so viele Sonntagabendkrimis zuvor – die aktuellen Gender- und Wokeness-Diskurse auf. Es ist auch, wenn man so will, eine Geschichte des Fremdschämens. Sprich: Cringe.
Gendern, Wokeness, Postcolonial Studies. Feminismus, Identitätspolitik, Cancel Culture. Täter-Opfer-Umkehr, Rassismus und Political Correctness: Im ersten “Polizeiruf” mit Johanna Wokalek als Kommissarin Cris Blohm steckt wirklich alles drin, was in den vergangenen Jahren in den X-Blasen (sprich: Twitter) getrendet hat – und von da den Weg über kurz oder lang in den Sonntagabendkrimi gefunden hat. Sogar Misophonie, die Überempfindlichkeit auf Geräusche, bekommt im Film einen Platz. Das hat zwar mit Wokeness nichts zu tun, veranschaulicht aber ganz prima, dass “Little Boxes” das filmische Äquivalent zum All-Inclusive-Buffet im Ferienressort ist: von allem (zu) viel, aber nichts davon wirklich gut.
Canan Samadi spielt eine sehr koloniale Dozentin mit Haus am See und blonder Bediensteter, die am Institut für Postcolonial Studies zu Ungleichheit lehrt. Jap, das ist die Humorebene von “Little Boxes”.
(Foto: Bayrischer Rundfunk)
“Das Drehbuch von Stefan Weigl ‘Little Boxes’ erzählt auf eine extrem intelligente Art und Weise von Haltungen und Meinungen – kompromisslose, radikale und festgefahrene”, erklärt Dror Zahavi seinen Film. Der Regisseur wählt dafür den Weg des Humors: So gut wie alle Charaktere im Film sind stereotype Abziehbilder und bedienen die typischen Klischees. Klar, dieser “Polizeiruf” möchte provokant sein und polarisieren. Allerdings ist “Little Boxes” derart mit Zuspitzungen und Begriffs-Dropping überfrachtet, dass es weit an seinem Ziel vorbeischießt und vor allem zum Fremdschämen verleitet. Mit einem Wort: Cringe.
Die Öffentlich-Rechtlichen tun sich schwer
Damit ist “Little Boxes” auf diesem Sendeplatz in guter Gesellschaft. Denn als vermeintlicher Spiegel der bundesrepublikanischen Seele wollen die Sonntagabendkrimis im Ersten zwar gesellschaftliche Entwicklungen und Strömungen aufgreifen. Mit den Gender- und Wokeness-Diskursen der vergangenen Jahre tun sich die Öffentlich-Rechtlichen allerdings arg schwer, obwohl sie es immer wieder versuchen.
Zum Beispiel “Die Rache an der Welt” mit Charlotte Lindholm. 3 von 10 Punkten vergaben wir damals und schrieben: “‘Die Rache an der Welt’ ist ein heillos überfrachteter und dabei unterirdisch erzählter Film. Das ist besonders angesichts des sehr sensiblen Themas schade: Die aufgeworfenen Fragen sind richtig und wichtig. Wer sie aber so holzschnittartig ausrollt, wie dieser ‘Tatort’, unterminiert die hehre Absicht.” Oder “Magic Mom” aus Münster: “Hier ein bisschen Woke-Dropping, da einige Floskeln aus dem, was man in Münster für das Internet hält (…) Vielleicht sollte man ein paar ‘Magic Mushrooms’ einwerfen, um ‘Magic Mom’ besser durchzustehen”, schrieb Kollege Ingo Scheel dazu und vergab gerade mal 2 von 10 Punkten.
Dass es auch im Sonntagabendkrimi besser geht, hat der Brandenburger “Polizeiruf” mit seinem genderfluiden Kommissar Ross (André Kaczmarczyk) in seinen ersten beiden Folgen bewiesen. “Neben der brillanten Besetzung und dem intelligent erzählten Plot haben es Drehbuchschreiberin Anika Wangard und Regisseur Eoin Moore geschafft, die Gender-Diskussion aus dem Elfenbeinturm des Feuilletons mitten ins Leben hinein zu katapultieren – ohne die Verbissenheit, mit der viele andere Formate die Thematik momentan behandeln”, urteilten wir. Die Kollegen in München, die es ja auch gerne auf die lockere Art versuchen möchten, dürfen sich davon gerne eine Scheibe abschneiden.