Aktuelle Deutschland Nachrichten

Steffi Stephan über Udo, Panik, Hottentottenmusik

0 1

56 Songs aus fünf Jahrzehnten in einer Box mit sechs Langspielplatten. Nicht mehr, nicht weniger. “Es ist”, sagt Udo Lindenberg angesichts dieses Juwels, “die geballte Kraft eines einzigartigen Orchesters und Zeitzeugnis eines halben Jahrhunderts Musikgeschichte.” Und er fügt hinzu: “Yeah!” Niemand weiß so ganz genau, wann dieser historische Moment war, an dem das Panikorchester zum ersten Mal aufspielte, es war auf jeden Fall im Sommer 1973. Die Älteren unter uns erinnern sich: Im Kino läuft James Bonds “Leben und sterben lassen”, kurz zuvor wird Helmut Kohl zum Vorsitzenden der CDU gewählt und in Washington weigert sich Richard Nixon, nach der Watergate-Affäre zurückzutreten. In dieser angeblich guten alten Zeit des letzten Jahrtausends entsteht eine Musikformation, die die folgenden Jahre – zumindest was den deutschen Rock anbelangt – mitbestimmten sollte. Die Legende sagt, Udo Lindenberg hätte mit dem Satz “No Panik auf der Titanic” den Grundstein für den Namen des Orchester gelegt, andere glauben, es sei die Neonbeleuchtung “Panikausgang” bei einem Konzert gewesen.

Der Bassgitarrist des Panikorchesters, Steffi Stephan, gibt ntv.de Auskunft, und hat – natürlich – eine eigene Meinung: “Der Begriff Panikorchester stammt aus dem 1973er-Song ‘Boogie-Woogie-Mädchen’. Da heißt es: ‘Das Panikorchester haute mich um und dann auch noch du, du flipptest da rum.” Wir fragen nach.

ntv.de: Es ist nicht ganz eindeutig, wann ihr begonnen habt, wann ihr alle zum Panikorchester geworden seid, aber in diesen Tagen, vor 50 Jahren ungefähr. Was ist dein erster Gedanke, wenn du daran jetzt zurückdenkst?

Steffi Stephan: Dass es schon mal schön ist, dass du das jetzt korrigierst (lacht). Also Udo behauptet ja, dass es ein Freitag, der 13. war. Aber das kann schon mal nicht sein, weil der 13. August 1973 kein Freitag war. Sondern ein Montag.

Es klingt halt gut …

Das muss man noch mal genau recherchieren. Oder auch nicht (lacht). Wir haben uns ja nach mehreren Anläufen gegründet, weil unser Trommler krank geworden war. Und wir fingen an, uns räumlich genau in der Mitte von uns allen zu treffen, an der B54, weil das für alle günstig war. Udo kam aus Gronau, ich aus Münster, unser Trommler aus Burgsteinfurt, da passte die B54, und für unseren ersten Gitarristen passte es auch.

Wer hätte damals von euch gedacht, dass ihr so lange Musik miteinander macht? So erfolgreich?

Niemand. Ich kann mir das heute noch schwer vorstellen.

Was ist euer Beziehungsgeheimnis, der Kitt, der euch zusammenhält?

Erstmal braucht man ein gemeinsames Ziel. Und das gemeinsame Ziel war eigentlich der Erfolg. Wenn man es ganz genau nimmt, war das Udos Erfolg. Und zur Erklärung: Es gibt zwei Acts – einmal Udo Lindenberg und dann das Panikorchester. Udo macht seine Platten – und wir helfen dabei. Wir machen keine Platten, aus dem einfachen Grund – weil wir es nicht hingekriegt haben (lacht).

Dann ist deine Ehrlichkeit, zu sagen, dass ihr das nicht geschafft habt, und Udo aber schon, zumindest eine Zutat für euren Erfolg.

Das kann schon sein. Ist ja auch alles gut gegangen.

Ihr wart so jung – in dem Alter macht man sich keine Gedanken über später oder wie lange man existiert.

In keinster Weise! Man überlegt sich eher, dass es einem scheißegal ist, was in 50 Jahren sein könnte. Man denkt ja, dass man in fünf Jahren schon steinalt ist. Also da hat man doch völlig andere Maßstäbe, wenn man so jung ist und glaubt einfach nicht daran, dass man 50 Jahre zusammenbleiben kann, mit nichts und niemandem.

Und jetzt in der Rückbetrachtung? Es wird ja auch mal Stress gegeben haben zwischen euch …

Und wie! Allein, dass ich mit Udos Schwester ein Kind habe, das war nicht so ganz einfach. Udo hat einen auch gern für sich vereinnahmt. Aber da hat Inge echt viel gerichtet: Sie hat ihm gesagt, halt dich aus unserer Beziehung raus – und das hat er dann auch gemacht. Das viel größere Problem allerdings war Udos Alkoholkonsum. Da hat die Qualität der Band ganz schön nachgelassen und ich bin 1989 ausgeschieden. Und erst zu seinem 50. Geburtstag wieder eingestiegen. Das war 1996.

Hattest du da Bedingungen an ihn?

Männerfreundschaften halten eine Menge aus.

(Foto: imago images/Sven Simon)

Ja, ganz klar, dass er nicht mehr exzessiv trinkt und dass ich die alte Band wieder zusammenhole – so ähnlich wie bei den Blues Brothers, da gibt’s echt Parallelen (lacht). Es gab viel Hin und Her über den Namen, aber wir haben dann ja eine Lösung gefunden.

Wortakrobaten seid ihr doch alle ….

(lacht) Ja, aber vor allem Udo! Ehrlich gesagt freu’ ich mich fast täglich über Udo, weil er tatsächlich jeden Tag ein neues Wort erfindet oder ein Konstrukt. Auf jeden Fall kommt mir das so vor in der Nachbetrachtung.

Er ist so ein Erfinder.

Der größte Erfinder für mich. Er saugt alles auf, was um ihn herum passiert. Denn Udo ist ein wirklich großer und guter Zuhörer.

Hat er dir diesen Ausstieg damals übelgenommen? Oder hat er den sogar verstanden?

Er war schon sauer, aber er hat es auch verstanden. Ehrlich gesagt, brauchten wir diese Auszeit, um wieder an das alte Ding anzuschließen. Im Nachhinein ist alles okay. Ich glaube, zu dem Zeitpunkt, wo ich ausgestiegen bin, hat er das aber gar nicht mehr so richtig registriert.

Du hattest ja bestimmt immer wieder mal gesagt, hey Udo, wir müssen was ändern. Hast du das noch in Erinnerung? War das nicht irre frustrierend?

Schon, denn er hat ja auf niemanden gehört. Es ist wahnsinnig anstrengend, mit jemandem, der immer irgendwie “drauf” ist, zu arbeiten. Man muss proben und arbeiten, damit alles gut rüberkommt – sowohl auf einem Konzert als auch auf einem Album.

Wie erinnerst du dich daran?

Ich habe ja großes Glück, da ich mich auch schon immer um mein eigenes Leben gekümmert habe. Zum Beispiel mit meinem Club, der Jovel Music Hall hier in Münster. Das heißt, ich hatte – und habe – meine eigene Geschichte. Alles ist schließlich wieder gut geworden. Man denkt ja auch, wenn man zurückblickt, etwas verklärter an früher.

Ich habe jetzt nicht den Eindruck, dass du sonderlich verklärt bist …

Ja, aber insgesamt denkt man doch sicher auch mal, früher war alles besser. Im Augenblick empfinde ich die Menschen als sehr müde, auch nachrichtenmüde, gestresst von den letzten Jahren. Corona, Krieg, Klima, alles nicht so einfach. Die Menschen sehnen sich sicherlich nach den guten alten Zeiten.

Können wir lernen aus der Vergangenheit? Können wir sagen: “Leute, reißt euch mal ein bisschen zusammen?” Ihr könnt als Band, als Künstler Menschen mit einer Botschaft erreichen. Ihr tut es ja auch. Ihr macht das, was junge Musiker oft nicht machen.

Ja, klar, wir haben uns ja auch in der Corona-Zeit geäußert, wir haben Messages, und wir haben gelernt aus früheren Zeiten. Das können wir transportieren. Mit unserem Erfinder Udo. Ehrlich gesagt, wir haben früher alle sehr, sehr viel getrunken und Dinge zu uns genommen. Aber uns war immer klar, dass wir Rock gegen rechts machen. Wir hatten und haben ganz klare Ansichten. Dass wir uns heute immer noch gegen rechts äußern müssen, ist schon bedrückend. Thema Klima – das war damals ja gar nicht so im Bewusstsein. Wir wussten nicht, wie man dagegen angehen kann. Dass wir gegen Atomkraft waren, das war allerdings schon ganz, ganz früh klar. Seine Meinung zu äußern, das ist das Allerwichtigste, was man als Künstler – als Mensch – machen kann.

Wie können wir es besser machen? So eine Art Rezept von erfahrenen Leuten für Leute, die jetzt dasitzen und sagen: “Ich weiß nicht mehr weiter.”

Ich habe immer das Gefühl, Musik kann total helfen. Ich glaube, das ist meine Reflexion von dem, was wir da machen. Wir brauchen einfach nur eine Solidaritätserklärung aller Leute. Wir müssen die Menschen berühren, oder nicht? Das hat jetzt vielleicht mit meinem Alter zu tun, aber: Ich würde es immer wieder genauso machen (lacht). Nur ist mir jetzt vieles sehr viel bewusster. Es bleibt für mich das Schönste, wenn man mit Musik Menschen berühren kann, sie zum Nachdenken bringt. Da sollte man sich drum bemühen, weil durch Musik die Toleranz erhöht wird.

Bist du tolerant, was Musik angeht?

(lacht) Natürlich. Ich kann damit leben, wenn Leute sagen, Jazz ist grauenvoll. Oder Klassik (lacht). Aber bei mir sieht es so aus: Wenn ich jetzt in meinen Plattenschrank gucke, dann kann ich für jede Stimmung, für jede Emotion Musik finden, und zwar im Überfluss. Von Motörhead bis Mozart. Diese musikalische Spannbreite, die umspannt eben auch unterschiedlichste Gefühle. Musik gibt dir eine Gemeinschaft. Ob man da nun immer auf einen gemeinsamen Nenner kommt, sei dahingestellt. Um aber auf deine Frage zurückzukommen: Es gibt kein Patentrezept von uns, wie Leute jetzt auf die momentane Situation reagieren können oder sollten, das haben wir einfach nicht. Ich glaube, die Leute müssen weiterhin gut informiert werden. Du bist ja dabei (lacht).

Ich arbeite daran. Hast du das Gefühl, dass man sich früher mehr über Musik definiert hat? Man war ein Rocker oder ein Punker. Ein Metalmensch oder ein Schlagerfuzzi. Jetzt kommt alles zusammen, habe ich das Gefühl.

Man akzeptiert sich viel eher. Ich glaube, wir sind viel offener geworden und viel bunter.

Was ja gut zu euch passt, als Einwohner der Bunten Republik Deutschland …

Allerdings (lacht). Die Jugend interessiert sich für das, was früher Musik war. Und wir Älteren haben auch viel mehr Interesse an neuer Musik. Wir definieren uns nicht so über eine Richtung, sondern wir gehen zusammen zu einem Konzert mit unseren Kindern. Generationenübergreifend.

Ein Tipp für junge Musiker?

Man darf sich nicht abbringen lassen von seinen Zielen. Also, wir sind von der Musikschule geflogen: “Wollen Sie weiterhin wirklich diese Hottentotten-Musik machen?”, hat man uns gefragt (lacht). Heute läuft vieles anders, man braucht nicht unbedingt einen Gitarrenlehrer, heute hast du das Internet, Youtube-Tutorials mit 20 Lehrern. Deswegen finde ich zum Beispiel die Qualität von jungen Musikern viel besser als von uns früher, wir haben einfach drauflos geschrammelt. Aber das möchte ich jungen Leuten eigentlich zurufen: Der persönliche Kontakt ist wichtig! Geht mal raus und legt los! Das ist vielleicht nicht immer schön, aber witzig. Heute daddelt jeder vor sich hin, bis er vermeintlich “perfekt” ist, das ist doch langweilig.

Hat alles seine Vor- und Nachteile …

Also, Musikmachen hat zwei Komponenten: Livemusik mit viel Präsenz, da verspielt sich vieles. Und dann das Studio. Da muss man genauer sein.

Worauf freust du dich jetzt als Nächstes?

Ich freue mich, wenn es weitergeht. Das wird aber wahrscheinlich erst nächstes Jahr sein. Wir wollten uns nach der Tour erstmal wieder etwas besinnen. Ich kann mir aber alles vorstellen: Nur das Orchester. Nur Udo. Alle im Studio, alle in der Halle. Kleiner, größer, drinnen, draußen …

Mit Steffi Stephan sprach Sabine Oelmann

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Website verwendet Cookies, um Ihr Erlebnis zu verbessern. Wir gehen davon aus, dass Sie damit einverstanden sind, aber Sie können sich abmelden, wenn Sie dies wünschen. Annehmen Weiterlesen

Datenschutz- und Cookie-Richtlinie