Halbnackt rekelt sie sich im Bett, ihre barbusigen Tänzerinnen reiben sich an der Queen of Pop. Madonna, aktuell auf Welttournee, will es mit 65 Jahren noch einmal wissen. Gedanken über den ewiglich propagierten Sexhunger einer großen Ikone.
“Peinlich! (…) Wie ein alter, abgehalfterter Ackergaul! Sie ruiniert ihr eigenes musikalisches Erbe, das sie sich jahrzehntelang aufgebaut hat.” Kommentare wie diese kann man dieser Tage tausendfach über Madonna lesen. Die Queen of Pop, inzwischen 65 Jahre alt, ist aktuell auf großer Tournee und verärgerte in dieser Woche 6000 Fans in Köln, als sie diese in der Lanxess Arena über eine Stunde lang auf sich warten ließ.
Natürlich wird die Musikerin von ihren Fans umjubelt und soll, nach Aussagen vieler, mit einer spektakulären Show begeistern. Wer sich die bis zu 400 Euro teuren Tickets aber nicht leisten kann, gewinnt in den sozialen Medien seit Wochen einen guten Eindruck darüber, was man bei der Live-Performance angeblich alles verpasst. Das Problem: Wer Madonna kritisiert, wird gerne als “Hater” abgestempelt.
Es kursieren inzwischen tausende und abertausende Schnipsel ihrer Darbietung im Netz, aufgenommen von Fans, die direkt vor Ort waren. Warum gilt man sofort als Hater, wenn man kritisiert, dass sie Playback singt? Oder aber, wenn man bemängelt, dass die Sex-Schiene, die sie immer noch fährt, nicht nur irgendwie ermüdend, sondern fast schon lächerlich anmutet?
Viele Musiker, die in ihrer Jugend als Rebellen galten, stehen auch heute noch auf der Bühne. Mick Jagger hat inzwischen 80 Lenze auf dem Buckel. Und natürlich ist es nicht von der Hand zu weisen, dass es Frauen im Musikbusiness, wie überall, schwerer als ihre männlichen Kollegen haben.
Während Männer altern dürfen, gelten für Frauen oft andere Maßstäbe. Sie haben gefälligst ewig jung, schön und knackig zu sein. Besonders, wer in der Öffentlichkeit steht, muss sich bewerten lassen. Aber Madonna hätte das alles gar nicht nötig! Sie muss niemandem mehr etwas beweisen. Sie könnte der ganzen Welt zeigen, dass es ein großes Privileg ist, zu altern. Dass da überhaupt nichts Erbärmliches dran ist, wenn man Falten hat oder müde ist!
Der ewiglich propagierte Sexhunger nervt!
Diese Frau hat Musikgeschichte geschrieben und Tabus gebrochen. Sie hat so oft den Finger in die Wunde der Gesellschaft gelegt, Politikern wie ganzen Systemen die Stirn geboten und galt als popkulturelle Revolutionärin. Als Freigeist. Als eine, die gegen den Strom schwimmt und dabei auch noch jede Menge Spaß hat.
Alter, so heißt es, sei nur eine Zahl. Jeder geht anders mit dem Altern um. Und selbstverständlich ist es auch eine Art Tabubruch, wenn Madonna sich mit ihren 65 Jahren auf dem Bett rekelt. Denn der Sex soll ja bekanntlich im Alter oft besser sein als in der Jugend. Aber diese aufgesetzte Sex-Geilheit einer Frau im Alter einer Großmutter kommt immer dann besonders lächerlich rüber, wenn sie sich nur eine Szene später aus dem Bett helfen lassen muss, weil sie nicht allein hochkommt.
Tatterig wirkt sie, ihre Tanzeinlagen behäbig. All das ist, wie gesagt, gar nicht schlimm. Nervig aber ist dieser ewiglich propagierte Sexhunger! Okay, die Oma ist immer noch geil. Ein tolles Sex-Leben ist erfüllend. Spitzendessous kann man auch mit 100 noch tragen, selbst wenn man im Rollstuhl auf die Bühne gekarrt wird.
Warum kann sie nicht sagen: Ich bin eine 65-Jährige im Nachthemd. Warum versucht sie, als Mittdreißigerin durchzugehen? Warum wird man als Hater abgestempelt, wenn man der Meinung ist, es schöner zu finden, dass auch Ikonen lieber in Würde altern sollten? Wenn sich Madonna in Jeans und Shirt auf die Bühne stellen und sagen würde: ‘Leute, ich bin zu alt, um die Beine willig bis zum Spagat zu spreizen! Ich singe heute nur für euch?’
Ein Rädchen im System der Schönheitsindustrie
(Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS)
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Stattdessen wird es als erneuter, ach so großer Tabubruch gefeiert, wenn sie Bier in die erste Reihe spuckt, ihre Tänzerinnen sich barbusig an ihr reiben oder sie mit Tänzern, die ihre Enkel sein könnten, Penetrationen andeutet. Wer das nicht würdigt, habe eben ihre Kunst nicht verstanden und sei “kein richtiger Fan”.
Denn als Fan, so scheint es, muss man alles gut finden, was sein Idol vom Stapel lässt. Da habe man es gefälligst auch abzufeiern, dass Madonna ihre zehn Jahre alte Tochter Estere in schwarzen Overknees, sexy Outfit und Absatzschuhen zum Klassiker “Vogue” tanzen lässt. Manche Leute sagen sogar, nur Verklemmte oder Leute ohne Sexleben würden Madonna kritisieren.
Vielleicht wollte sie nach einer fast tödlichen bakteriellen Infektion im Sommer nur der ganzen Welt beweisen, wie schnell sie wieder auf die Beine gekommen ist. Und dass sie es immer noch kann. Ihr Instagram-Account aber zeigt seit Jahren das Bild einer Frau, die nicht nur ein Problem mit dem Alter zu haben scheint.
Sie hätte in ihrem Alter für so viele Frauen dieser Welt so viel bewirken können. Sie hätte sich starkmachen können für all jene über 50, die mit den Jahren in dieser Gesellschaft immer unsichtbarer werden. Stattdessen hat sie sich dafür entschieden, den Mythos der alterslosen Oma zu vermitteln, die dank Fotofilter jünger aussieht als ihre Tochter Lourdes.
Sie ist keine Revolutionärin mehr, sie ist ein Rädchen im System der Schönheitsindustrie. Ihre Botschaften mögen vielleicht nicht weniger wichtig sein, weil sie sie sie im Negligé anbringt, aber sie verhallen in einer verrückten Welt, in der eine 65-Jährige krampfhaft versucht, mitzuhalten.