Wolf oder Schaf? Ein Mensch, der sein Leben in die Hände nimmt oder einer, der gelebt wird? Maximilian und Mirko wollen Wolf sein. Auf den ersten Blick gelingt das zumindest einem von beiden. Doch vieles ist Betrug, vor allem Selbstbetrug.
Maximilian Krach ist der Mann hinter Krach Consulting – ein Mann, der es geschafft hat. Sein Instagram-Account strotzt nur so von Dingen, die in der Social-Media-Sprache Erfolg heißen: Penthäuser, große Autos, dicke Uhren. Hinter dem Erfolg steht ein Mindset, wie er immer wieder betont. Er ist ein Wolf. Wer weniger vom Leben will, ist ein Schaf. Dahinter steht die deutlich ausgesprochene Frage, willst Du Wolf oder Schaf sein?
Autor Sebastian Hotz fühlt sich den Männern in seinem Debütroman “biographisch verbunden”.
(Foto: IMAGO/serienlicht)
Mirko Mihalic möchte auf jeden Fall nach fast zehn Jahren im Job nicht mehr der Neue sein. Als ihm sein Instagram-Algorithmus Krach in die Timeline spült, hat er fast so etwas wie ein Erweckungserlebnis. Sein Leben könnte spannender, sinnvoller, reicher sein. Er braucht nur das “richtige Mindset”, nie mehr Schaf, immer Wolf, dann kann auch er es vom Verlierer zum Gewinner schaffen.
Was Mirko nicht weiß, Maximilian ist genauso wie er selbst. Ein unsicherer junger Mann ohne Studienabschluss, der hofft, dass sich mit dem richtigen Mindset sein Leben zum Besseren verändern muss. Bis dahin fährt er Pizza aus und inszeniert mit hochstaplerischen Qualitäten das Leben, das er für erstrebenswert hält. Fake it till you make it. Das Penthouse, ein Stockfoto, der Mercedes, ein Leihwagen, die Uhr, eine halbgute Fälschung, die er liebevoll poliert. Im realen Leben schläft er in seinem Büro in einem öden Gewerbegebiet auf dem Klappbett.
Regelmäßig trifft er sich mit seinen Jüngern zu gottesdienstartigen Zusammenkünften, bei denen er ihnen den Erfolg verspricht, den er selbst gern hätte. Dabei schwimmen ihm längst die Felle davon, er fährt im Regionalexpress zu Terminen, deren Raummiete er sich nicht leisten kann, er zieht sich in Herrentoiletten um, um den Anzug, der sein Wolfs-Ich repräsentiert, zu schonen. Weil das alles so wackelig ist, bekommt er vor einem dieser Treffen eine Panikattacke, muss sich übergeben und verharrt minutenlang auf dem Boden des Herrenklos.
Zum Mindset des Möchtegern-Unternehmensberaters gehört die Abwertung einfach dazu, natürlich ist es schlecht, ein Schaf und gut, ein Wolf zu sein. Das bekommt Rezeptionistin Yasmin zu spüren, als Maximilian findet, sie widme ihm nicht genug Aufmerksamkeit. Blöd nur, dass es ausgerechnet Yasmin ist, die später von ihm die nicht bezahlte Rechnung für den Seminarraum über 219,95 Euro eintreiben soll.
Sehr viel Hoffnungslosigkeit
Sebastian Hotz, bekannter unter seinem Twitter-Namen El Hotzo, kündigte seinen im April erschienenen Roman “Mindset” mit den Worten an, darin gehe es “um belegte Brötchen, Finanztipps, Hoffnungslosigkeit und Männer in Slim Fit-Anzügen”. Das stimmt nur halb, es geht nicht um belegte Brötchen und auch nicht um Finanztipps. Für belegte Brötchen reicht das Geld von Krach nicht und die Finanztipps sind so windig, dass man schon sehr dumm sein müsste, sie ernst zu nehmen. Dafür geht es aber sehr um Hoffnungslosigkeit und Männer in Slim Fit-Anzügen.
Hotzo ist vielleicht (noch) kein begnadeter Roman-Schreiber, aber er schafft es, dass einen die Figuren seltsam berühren. Dieses Gefühl, nicht gewollt oder gebraucht zu sein. Das absurde System, studieren zu müssen, um eine Daseinsberechtigung zu haben. Die Gruppen junger BWL-Studenten, die einander versichern, dass sie es zu etwas bringen werden. Die Bullshit-Jobs, die immer weiter effektiviert werden, bis nichts Sinnhaftes mehr in ihnen übrig bleibt.
Gleichzeitig wird man beim Lesen sauer: Diese fragile Männlichkeit, das Jammerige und Selbstmitleidige dieser jungen Männer ist schwer zu ertragen. Man möchte sie fragen, was wollt Ihr eigentlich? Und ihnen sagen, dass sie alt genug sind, für sich selbst Verantwortung zu übernehmen, statt auf Traumgewinne aus irgendwelchen Krypto-Währungen zu warten. Dieses Gefühl scheint dem Autor zumindest auch nicht fremd zu sein. Nach den Gemeinsamkeiten von Maximilian und Mirko gefragt, antwortete er: “Ihre größte Gemeinsamkeit ist, dass man beide gern mal schütteln und vielleicht ein bisschen ins Gesicht hauen möchte.”
Die Buch gewordene Trostlosigkeit
“Mindset” ist die Buch gewordene Trostlosigkeit und genau das wollte Hotz auch so. In den zahlreichen Interviews, die der Mann mit den mehr als 500.000 Twitter- und 1,2 Millionen Instagram-Followern nach dem Erscheinen seines Romans gegeben hat, geht es viel um die Schönheit von Trostlosigkeit. “Mir gehen Orte, deren Schönheit sich erst auf den zweiten oder gar dritten Blick zeigt, einfach näher”, zitiert ihn der Rolling Stone. “Ein Ort wie Gütersloh oder Mülheim an der Ruhr ist ein bisschen wie mit Tofu kochen: im Rohzustand langweilig und trostlos, doch bei eingehender Beschäftigung damit entfaltet sich sein komplettes Potenzial.”
Wahrscheinlich braucht man auch dafür einfach nur das richtige Mindset. Trotzdem wüsste man am Ende der 280 Seiten lieber, wie es mit Yasmin weitergeht. Maximilian und Mirko hingegen dürfen sich wieder vorstellen, wenn sie Therapie gemacht haben, vielleicht auch Gruppentherapie.