Ein Jahr nach ihrem Tod mag Königin Elizabeth II. weiterhin in vielen Köpfen leben. Gleichzeitig aber ist ihr Nachfolger, König Charles III., als neuer Monarch angekommen – zu einem Preis, der in seinem Umfeld beklagt wird. Unser Autor über seine Eindrücke in einem Land, das erstaunlich schnell zur Tagesordnung übergegangen ist.
Die Königin ist schon lange tot, es lebt der König. Diesen – zunächst überraschenden – Eindruck habe ich in den vergangenen Monaten gewonnen, als ich in Schottland und England war. Mit anderen Worten: Königin Elizabeth (die Zweite) ist schneller zur historischen Figur geworden, als es viele am Ende ihrer Lebenszeit und Regentschaft erwartet hätten. Überall war vom Ende einer Ära die Rede – ein Zeitalter, das große Teile der Welt geprägt hatte: “The Second Elizabethan Age”. Mit dem Tod der Protagonistin am frühen Nachmittag des 8. September 2022 schien ein längerer Übergang ins Ungewisse bevorzustehen. Ich selbst dachte an mehrere Jahre.
Charles und Camilla – das hätten sie sich vor ein paar Jahrzehnten sicher nicht so träumen lassen.
(Foto: dpa)
Das laufende Jahr 2023 ist das erste ohne “die Queen” – und das erste seit 1952, in dem die Untertanen (in einem mittlerweile erheblich kleineren Reich) wieder “God save the King” singen. Die Umstellung erschien äußerst gewöhnungsbedürftig, wenn man nur bedenkt, dass die Mehrheit der Untertanen nie einen anderen Monarchen erlebt hat. Die anhaltende Omnipräsenz der alten Dame im australischen, britischen oder kanadischen Alltag – sei es durch die Abbildung ihres Kopfes auf Geldscheinen und Münzen oder in Form ihres Monograms “EIIR” , dem sogenannten Royal Cypher, auf Gebäuden, Briefkästen und Polizeiuniformen – scheint die Trägheit der Geschichte nur zu bestätigen.
Heute möchte ich behaupten, dass es dennoch anders kam: König Charles ist längst in Gegenwart und Gesellschaft angekommen. Das ist alleine mit seiner langen Vorgeschichte als ewiger Prinz eine Überraschung. Der Lebemann, Frauenheld, Bäume- und Blumenversteher, Spendeneintreiber und Agrarunternehmer ist binnen kurzer Zeit zu einer neuen Figur verschmolzen, die vor allem eins ist: enthoben von allen Rechten und Pflichten und die Verkörperung derselben. Der Sonderstatus spiegelt sich im britischen Reisepass, den der König nicht benötigt und technisch auch nicht ausgestellt bekommen kann – weil er selbst der Aussteller ist!
Neues Bewusstsein, kein neues Zeitalter
Die Metamorphose zum Überbriten ist das gewollte Resultat im Erbkönigtum: Lebten und agierten im Prinzen von Wales – den Titel hat nun sein Sohn William inne – der private und der öffentliche Mensch über mehrere Jahrzehnte hinweg parallel, gehört sich Charles mit seiner Königwerdung nicht mehr selbst. In dieser überlieferten verfassungsrechtlichen Vorstellung, in der auch von den zwei Körpern des Königs gesprochen wird, kann ihm niemand ein größeres Vorbild sein als seine eigene Mutter, Queen Elizabeth. Je strenger er sich daran orientiert, desto schneller macht er sie zur Geschichte. Es bedeutet schließlich auch: Das Neue vernichtet das Alte.
Sicherlich hat “Charles III” (im Englischen übrigens immer ohne Pünktchen) kein neues oder gar ein eigenes Zeitalter begonnen. Ob es jemals dazu kommt, er also in irgendeiner engeren Weise mit unserer Gegenwart in Verbindung gebracht werden kann, steht in den Sternen. Doch es ist ihm gelungen, innerhalb von wenigen Monaten ein neues Bewusstsein zu verbreiten, das über Äußerlichkeiten wie sein Abbild oder sein Wappen hinausgeht. Es ist ein Bewusstsein, das bereits eine eigene Identität besitzt, indem es sich in fundamentaler Weise an unserer Gegenwart orientiert. Das zeigt sich ausgerechnet und paradoxerweise in den Insignien des Königs – deren Einführung sich deutlich länger hinzieht als gedacht.

Legt nicht zu viel Wert auf überzogene Repräsentationen – vor allem nicht, wenn sie zu teuer sind.
(Foto: dpa)
Bisher hatte ich erst ein einziges 50-Pence-Stück mit Charles’ Profil in den Fingern – übrigens im Unterschied zu seiner Mutter ohne Krone und traditionell in die andere Richtung blickend. Geldscheine mit seinem Konterfei gibt es noch gar nicht, sie kommen erst im nächsten Frühjahr in den Umlauf. Und Polizeiuniformen mit dem “EII”-Logo gehören weiterhin zum öffentlichen Bild – was während Charles’ Krönung am 6. Mai für Verblüffung sorgte. Lediglich die Paradeuniformen des Militärs trugen seine Cypher “CIIIR”. Auf die Frage, ob die Umstellung nicht schneller gehe und es womöglich technische Verzögerungen gebe, bekam ich aus unterschiedlichen Kreisen, die sich um den König herum ziehen, immer dieselbe Antwort: Seine Majestät legt keinen gesteigerten Wert auf derartige Repräsentation im Alltag!
Der gewissenhafte König
Ob das stimmt, kann ich nicht beurteilen. Für jeden erkennbar ist unterdessen, worauf Charles großen Wert legt. Es sind die beiden Hinweise, dass der Übergang weder zu viel Geld kosten noch auf Kosten der Umwelt gehen dürfe. Wenn auch unklar bleibt, wie sich das jeweils quantifizieren lässt, ist die Botschaft klar: Charles ist gegenwartsorientierter und gesellschaftskritischer als seine Mutter. Waren ihr finanzielle und ökologische Belastungen egal, will – oder kann – er sich diese Haltung nicht mehr leisten. Soziale Reflektion wird zum Gebot. Das zumindest nach außen getragene Motto scheint zu lauten: “Conscientiousness matters” – auf Gewissenhaftigkeit kommt es an.
Ich habe nicht wenige Menschen im Königreich getroffen, die es beunruhigend finden, dass die Polizei zum Beispiel ihre alten Uniformen auftragen solle, wie es offiziell heißt. Sie empfinden dabei, dass vom neuen König das Signal ausgehe, dass sich die Ressourcen verknappen und die allgemeine Versorgung mühsamer wird. War Elizabeth II. eine Art Entlastungspersönlichkeit, die von den Sorgen und Ängsten der Untertanen ablenken konnte, scheint Charles III. auf sie hinzuweisen – in der Gefahr, dadurch zu einer Art Belastungspersönlichkeit zu werden.
Kreativer Rückgriff entlastet
Der Wandel symbolisiert sich auch in der Krone, die Charles zum Bestandteil von “CIIIR” gemacht hat – und die ihm fortan als universelles Zeichen seiner Regentschaft dient. Zu Zeiten von Elizabeth II. war es stets die sogenannte “Edwardian Crown” – die tatsächlich existiert und die Charles während seiner Krönung auf dem Kopf trug. Aufgrund der zweifelhaften Herkunft einzelner Edelsteine ist sie umstritten. Er selbst hat sich unterdessen die “Tudor Crown” angeheftet – die es früher einmal gab, aber nach dem Abdanken der Tudor-Dynastie im 17. Jahrhundert zerstört wurde.
Mag einem diese Veränderung wie eine gestalterische Spitzfindigkeit erscheinen, wird sie Charles niemals in die Verlegenheit von Entschuldigungen oder gar Restitutionsansprüchen bringen. Hier gilt: Wo der Mutter durch aufkommende interkulturelle Debatten eine Belastung drohte, hat sich der Sohn mit dem kreativen Rückgriff auf die Vergangenheit vorausschauend entlastet. Sollte es so weit kommen, dass der eine oder andere Stein aus der Staatskrone entfernt werden muss, wird dies das Königtum nicht automatisch in Zweifel ziehen.

Die Zukunft der britischen Krone liegt in den Händen von Männern.
(Foto: IMAGO/TopFoto)
Apropos Dynastie, selbst wenn es nur wie eine Randnotiz wirkt: Mit Charles III. ist ein neues Herrscherhaus an die Spitze des Vereinigten Königreichs und des Commonwealth gerückt: Vertrat Elizabeth noch den (deutschstämmigen) Clan der von Sachsen-Coburg und Gothas, der mit ihrem Urgroßvater Edward VII. angetreten war und der 1917 schlicht in “Windsor” umgetauft wurde, entstammt Charles väterlicherseits der (deutsch-dänischen) Familie von Schleswig-Holstein Sonderburg-Glücksburg, die seit 1960 offiziell “Mountbatten-Windsor” heißt. Dies kann sich erst wieder mit dem Nachkommen einer zukünftigen weiblichen Regentin ändern. Dazu wird es erst einmal nicht kommen, denn die Thronfolge von Männern steht mit Charles’ Sohn William und Enkel George fest.
Der alte Prince of Wales ist gestorben
Diese langen Traditionslinien verdeutlichen auch, worauf Veränderungen und letztlich der Charakter eines neuen Königs beruhen: auf Impulsen und Entscheidungen vor seiner Königswerdung, die entweder von den Vorfahren angelegt wurden oder die er, wie im speziellen Fall von Charles, aufgrund seines langen Wartens auf den Thron selbst initiiert hat. Namentlich ist es sein großes Interesse an Natur und Kultur, das heute mit der Modevokabel “Nachhaltigkeit” überschrieben werden kann. Charles hat sich als Prinz etwa auf den Feldern der Landwirtschaft, der Architektur, des Handwerks und der Medizin in den vergangenen rund 50 Jahren weitergebildet und ausgelassen wie kein anderer Monarch vor ihm. Darauf baut und beruht seine Regentschaft. Den Weg dahin musste er am 8. September 2022 abbrechen.
Mit der eigenen Thronbesteigung ist das passiert, was mir von vielen Personen aus seinem Umfeld, zum Beispiel im schottischen Dumfries House, dem Sitz seiner Stiftung – wo er die letzte Nacht als Thronfolger verbrachte – bestätigt wurde, und zwar immer wieder mit diesen Worten: “Mit dem Tod seiner Mutter ist auch der Prince of Wales gestorben.” Mit derselben Hingabe, Leidenschaft und Aufmerksamkeit für die Themen werde man ihn nicht mehr erleben. In der Weise, in der er sich als Prinz mal begeistert, mal abfällig und stets mit einer eigenen Meinung geäußert hat, werde Charles III. nicht mehr agieren können. Wir wissen nicht, ob ihm vor dem Hintergrund seiner Erfahrungen und einem lange herangereiften Wesen das königliche Amt wie eine Beschränkung vorkommt. Im letzten Jahr hat er auf jeden Fall gezeigt, dass er damit leben kann, nicht mehr alles zu dürfen.
Mit seiner alten Rolle – die Selbstfindung und Vorbereitung seiner Regentschaft – ist nun der neue Prinz betraut: Er teilt nicht unbedingt die Interessen des Vaters und wird andere Themen finden müssen, um dann die Geschichte weiterzuschreiben. Auch wenn gegenwärtig nichts darauf hindeutet – dazu kann es jeden Tag kommen.