Die Suche nach dem zehnjährigen Ronny in Magdeburg hielt das TV-Publikum in Atem, Happy End inklusive. Verletzt zwar, aber am Leben, so wurde der Junge nach zwei Tagen wiedergefunden. Wie realistisch ist das eigentlich?
Als das letzte Wort im “Polizeiruf 110” aus Magdeburg fällt, atmet man vor dem Fernseher erst einmal durch. Neunzig emotional aufreibende Minuten waren das, die Suche nach dem vermissten Ronny einer der intensivsten Sonntagabendkrimis im Ersten der letzten Jahre – von Drehbuchautor und Grimme-Preisträger Jan Braren und Regisseurin Barbara Ott eindringlich erzählt und in Szene gesetzt, vom Cast um Claudia Michelsen, Ceci Chuh als Mutter und Johann Barnstorf in der Rolle der Titelfigur überzeugend gespielt. Und während der Täter nach seinem Geständnis im Verhörraum verstörend kicherte, kehrte Ronny auf der Intensivstation ins Leben zurück, sein erstes Wort nach dem Erwachen beschloss diesen Fall: “Mama”.
Und im wirklichen Leben? Gefühlt gibt es alle paar Tage eine neue Schlagzeile, regelmäßig werden Personen in Deutschland vermisst. Kaum eine Nachricht bewegt und enerviert dabei wohl so, wie jene vom spurlos verschwundenen Kind, dessen wohlbehaltene Rückkehr man ersehnt, aus der Ferne empathisch hineingezogen ins Geschehen.
Die hohe Taktung dieser Nachrichten ist kein Zufall, “Vermisst in Deutschland” ein leider allzu alltägliches Phänomen. Die Ausgangssituation, wann eine Person aus polizeilicher Sicht als vermisst gilt, hat das Bundeskriminalamt genau formuliert. Eine Fahndung wird eingeleitet, wenn eine Person ihren gewohnten Lebenskreis verlassen hat, ihr derzeitiger Aufenthalt unbekannt ist und eine Gefahr für Leib oder Leben, z. B. als Opfer einer Straftat, eines Unfalls, aufgrund von Hilflosigkeit oder einer Selbsttötungsabsicht, angenommen werden kann.
Erwachsene dürfen Aufenthaltsort frei wählen
Ohne eine angenommene Gefahr wird die Polizei jedoch gar nicht erst tätig. Erwachsene im Vollbesitz ihrer geistigen und körperlichen Kräfte haben das Recht, ihren Aufenthaltsort frei zu wählen. Wird jedoch eine Fahndung ausgerufen, die Person letztlich wohlauf gefunden, entscheidet diese selbst, ob die Angehörigen oder Freunde überhaupt verständigt werden. Für die Polizei ist der Fall damit zumeist erledigt.
Anders sieht es bei Minderjährigen aus, hier wird unmittelbar von einer Gefahr für Leib und Leben ausgegangen, dazu muss lediglich der gewohnte Lebenskreis verlassen werden. Werden vermisste Minderjährige wiedergefunden, bleiben sie so lange in staatlicher Obhut, bis die Rückführung zum Sorgeberechtigten vollzogen ist. Bei der Datenverarbeitung laufen die Fäden bei INPOL, dem elektronischen Informationssystem der Polizei, zusammen. Hier finden sich nicht nur Personen-, sondern auch Sachfahndungsdateien, so zum Beispiel die von ca. 1,5 Millionen gestohlenen Fahrrädern.
Hohe Aufklärungsquote
Was vermisste Kinder – bis einschließlich 13 Jahre – betrifft, sind öffentliche Aufmerksamkeit und Anteilnahme immens, die Zahlen dabei um einiges positiver als die extensive Berichterstattung zuweilen vermuten lässt. Die Eingabe der Daten erfolgt in die 1992 in Betrieb genommene sogenannte “Vermi/Utot”-Datei, am 1. Januar 2023 waren hier insgesamt 9.300 Fälle vermisster Personen in Deutschland registriert, täglich kommen zwischen 200 und 300 Fahndungen hinzu, ebenso viele werden ad acta gelegt.
Zwischen 2018 und 2022 schwankte die Zahl der pro Jahr vermissten Kinder zwischen 14.500 (2021) und 18.100 (2019), im Jahresverlauf 2022 waren insgesamt rund 16.600 Kinder vermisst. Durchschnittlich wurden in den vergangenen fünf Jahren rund 15.800 Kinder im Jahresverlauf als vermisst registriert. Diesen hohen Zahlen steht eine ebensolche Aufklärungsquote gegenüber, nämlich um die 97 %.
Bis zum nächsten Sonntag ist Zeit, um sich vom aufreibenden Fall um den vermissten Ronny zu erholen. Im Kölner “Tatort” machen sich die Kommissare Max Ballauf und Freddy Schenk auf ins vom Untergang geweihte Braunkohlerevier, der Titel ihres 87. gemeinsamen Einsatzes: “Abbruchkante”.