Einsamkeit, Todessangst und drei Kuchen zum Geburtstag: Im ersten TV-Interview nach seinem Gefängnisaufenthalt berichtet Boris Becker von einer Leidensreise der ganz persönlichen Art.
Boris Becker ist eine der schillerndsten Persönlichkeiten des Landes. Als Wimbledon-Sieger wurde er einst von der ganzen Nation auf Händen getragen. Quasi über Nacht wurde aus einem 17-jährigen Teenie mit außergewöhnlichen sportlichen Fähigkeiten ein polarisierender Star für die Massen geformt. Nach Jahrzehnten im gleißenden Rampenlicht wendete sich aber irgendwann das Blatt. Plötzlich gehörten Gerichtsgänge zur Tagesordnung und Begriffe wie “Insolvenzvergehen” und “Gefängnis” beherrschten die Schlagzeilen. Vor sieben Monaten wanderte Boris Becker dann tatsächlich in den Knast. 231 Tage später ist er wieder ein freier Mann. Ein sichtlich aufgeregter Steven Gätjen darf das erste Interview mit Boris Becker führen.
Millionen Zuschauer sitzen daheim gespannt auf der Couch und wollen wissen wie es dem gefallenen Star im Gefängnis ergangen ist. Was zuerst auffällt: Von der charismatischen Präsenz der Vergangenheit ist nicht mehr viel übrig. Boris Becker hat abgenommen. Die einst glänzenden Augen wirken matt und müde. Steven Gätjen fällt gleich mit der Tür ins Haus und verspricht “keine Tabus, keine Ausreden und kein Blabla”. Der Moderator soll Recht behalten, denn in den folgenden zwei Stunden lässt Boris Becker tief blicken, bisweilen sogar so tief, dass ihm selbst das eine oder andere Mal die Stimme versagt.
“Ich habe jeden Tag gebetet”
Gleich zu Beginn des Gesprächs gibt die Tennis-Legende zu: “Natürlich war ich schuldig!” Es ist der Beginn einer intimen Reise in eine Lebensphase, die Boris Becker “viel abverlangt hat”. Knapp acht Monate saß der gebürtige Leimener in zwei verschiedenen britischen Gefängnissen (Huntercombe, Wandsworth). “Plötzlich war ich nur noch eine Nummer. Ich war einsam. Ich bin hungrig ins Bett gegangen. Ich habe jeden Tag gebetet, war jeden Tag in der Kirche”, berichtet Becker mit zittriger Stimme.
Schon früh zeichnet sich ab, dass Steven Gätjen nicht viel nachhaken muss. Wie es im Gefängnis war, welche Ängste plötzlich präsent waren und welche heiklen Situationen überstanden werden mussten: Boris Becker lässt nichts aus. Es sprudelt phasenweise aus ihm heraus, als müsse er sich von all diesen Erinnerungen lösen.
Die Angst vor dem Gang zur Dusche
Im Gefängnis wurde aus dem selbstbewussten Superstar ein eingeschüchterter Mittfünfziger, der nicht nur einmal Angst ums nackte Überleben hatte. “Ich hatte vor zwei Dingen Schiss: vor einer Doppelzelle und vor dem Gang zur Dusche”, so Becker. Eine Gruppe “Listener” half ihm sich halbwegs zurechtzufinden. Zwei filmreife Survival-Szenen konnten aber auch “James, Russel, Bill und Ike” nicht verhindern. “Im ersten Gefängnis hat mich ein Mithäftling erpresst. In Wandsworth wollte mich einer sogar umbringen”, verrät Becker mit weit aufgerissenen Augen. Neben viel Schatten gab es im Gefängnis aber auch Lichtblicke. So arbeitete Becker irgendwann “erfolgreich” als “Gym-Trainer, Lehrer für Mathe und Englisch und Philosoph des Stoizismus”.
Zwischendurch kämpft der vierfache Familienvater immer wieder mit den Tränen. Zwei Geschichten später hat man dann wieder das Gefühl, als würde man einem Globetrotter lauschen, der gerade den verrücktesten Trip seines Lebens hinter sich gebracht hat. So pendelt die Stimmung zwischen “Die Verurteilten”, “Jailhouse Rock” und The Green Mile” hin und her. “Jürgen Klopp und Johannes B. Kerner wollten mich besuchen”, berichtet Becker. Aber sie durften nicht. “Zu viel Aufsehen für das Gefängnis”, so die offizielle Begründung. Während der vielen Wochen hinter Gittern erreichten Becker auch viele Briefe. “Michael Stich hat mir einen dreiseitigen Brief geschickt”. Wieder stockt die Stimme.
“Gefängnis ist eine andere Welt”
Natürlich sei er “dankbar und froh”, dass er nun wieder in Freiheit leben kann. Aber die Zeit im Gefängnis habe ihm auch viel mitgegeben, so Becker: “An meinem Geburtstag habe ich von den Mithäftlingen drei verschiedene Kuchen bekommen. Gefängnis ist eine andere Welt. Diesen Zusammenhalt habe ich in Freiheit nur selten erlebt”.
Nach gut zwei Stunden und vier satten Werbeblöcken ist das zweite Wasserglas leer. Boris Becker holt noch einmal tief Luft. Wie es nach all den Geschehnissen der jüngeren Vergangenheit nun für ihn und seine Familie weitergehen werde, möchte Steven Gätjen zum Abschluss noch wissen. “Das Gefängnis hat mir gutgetan. Aber ich bin jetzt ein freier Mann. Ich will noch 25 gute Jahre vor mir haben”, sagt Becker. Im Hintergrund lächelt seine “große Liebe” Lilian. Und vor den Bildschirmen drücken Millionen Menschen die Daumen, dass dieser Wunsch auch in Erfüllung geht.