Drei Konzerte in der Hamburger Elbphilharmonie , die blitzartig ausverkauft waren – Vicky Leandros’ Abschiedtsournee hat begonnen. Weltweit stand die 70-Jährige in den letzten 57 Jahren auf der Bühne. Begleitet von ihrer Band und von einem Streichquartett sang sie am Wochenende vor ausverkauftem Haus, es war der Auftakt ihrer Tour “Ich liebe das Leben”. In einem bodenlangen Glitzerkleid präsentierte die Sängerin in ihrer Heimatstadt ihre bekanntesten Lieder. Die Tour soll die letzte sein: “Ich möchte nicht an den Punkt kommen, an dem ich Sie nicht mehr mit meiner Stimme erreiche”, begründet Leandros den Schritt. Dabei ist Abschied auf keinen Fall “ein bisschen wie Sterben”, wie eine andere deutsche Künstlerin einmal sang. Abschied in Vicky Leandros’ Fall ist wie ein Rausch, ein großes Fest, eine Liebesbeziehung, auf jeden Fall nicht das Ende. Mit Liedern wie “Ich liebe das Leben” und “Theo, wir fahr’n nach Lodz” wurde Leandros auch außerhalb des deutschsprachigen Raums weltbekannt. Beim Eurovision Song Contest holte sie 1972 mit “Après toi” den Sieg für Luxemburg. Ihr letztes Konzert ist für den 24. März 2024 in Nürnberg geplant. Bis dahin will die gebürtige Griechin in 17 Städten auftreten. Mit ntv.de sprach sie auf Gut Basthorst über das Alter, Selbstbestimmung und Freundschaft.
ntv.de: Gibt es eigentlich jemanden, der Vicky Leandros nicht toll findet? Eine kleine repräsentative Meinungsumfrage meinerseits hat ergeben: Nein, gibt es nicht. Und ich gebe zu: Es ist schwierig, neutral zu bleiben als Journalistin, wenn man seine Idole trifft.
Vicky Leandros: Das nehme ich natürlich als Kompliment und möchte aber hinzufügen, dass Journalisten ja auch nur Menschen sind. (lacht)
Ich habe mich sehr gefreut, dass ich mir einen Teil der Proben zur großen Tournee anschauen durfte, das ist sehr beeindruckend, Musikern bei der Arbeit zuzuschauen. Es ist aber auch anstrengend, damit es dann beim Konzert leicht aussehen kann, oder?
Die Proben sind natürlich sehr lang. Und ja, da kann es auch mal anstrengend sein. Auf der anderen Seite ist es wiederum auch sehr lustig. Wir haben eine sehr, sehr gute Atmosphäre, alle miteinander, die Musiker und ich, und das läuft ziemlich gut.
Abschied nehmen – da muss ich natürlich drauf eingehen, das ist das große Wort. Zum Abschied hat Katja Epstein mal gesungen, er sei ein bisschen wie Sterben. Bei Ihnen nicht, zum Glück. Ist Abschied vielleicht wie ein Neuanfang?
Ich würde sagen, beides in meinem Fall eher nicht. Kein Neuanfang und auch nicht wie sterben (lacht). Ja, ich habe auch ein Lied mit (singt): “Abschied tut weh. Sage niemals, ich geh'”. Also, Abschied kann wehtun, kann aber auch eine Erleichterung bringen. Aber das weiß ich noch nicht. Wenn diese ganze Konzerttournee im Jahr 2024 beendet ist, dann werde ich es wissen!
Die Fans wollen Sie definitiv nicht gehen lassen. Wenn man zu zwei Konzerten noch ein drittes geben muss wie an diesem Wochenende in der Elbphilharmonie, dann heißt es unmissverständlich: Nein, bitte geh’ nicht! Aber: “Dein Koffer wartet schon im Flur – du lässt mich allein.” (aus: “Ich liebe das Leben”) Was macht das mit Ihnen? Schmeichelt es, oder lässt es zweifeln?
Vicky Leandros in ihrem Element.
(Foto: dpa)
Nein, das freut mich natürlich. Drei Konzerte in zwei Tage in der Elbphilharmonie, das ist einfach großartig. Und ja, natürlich freut es mich, dass so viele Menschen mich überhaupt noch sehen wollen. Ich weiß, das ist wirklich nicht selbstverständlich. Ich bin darüber in den letzten Jahren immer wieder sehr dankbar gewesen, und bin es auch weiterhin.
Ihre Tournee – ein Ritt durch die Geschichte in vielen Sprachen …
Ja, so sind meine Konzerte schon immer gewesen. Ich singe immer griechische Lieder, französische, englische und natürlich die deutschen Lieder und auch die Erfolge, die die Menschen kennen.
Sind Sie immer noch glücklich, dass man die alten Lieder hören wollen? Es sind die Klassiker, “Ich liebe das Leben” – die Tour heißt schließlich so.
Es nervt mich überhaupt nicht, dass die Leute die Erfolge gerne hören. Das ist normal. Ich habe mich ja selbst schon dabei ertappt. Vor Jahren war ich in Paris und habe dort Neil Diamond gesehen. Und er sang am Anfang unbekannte Titel. Erst, als die bekannten Songs kamen, die Erfolge, bin ich so richtig aufgetaut. So ist das eben. Aber ich freu’ mich immer besonders, wenn mein Publikum mir bei den Balladen zuhört. Das genügt mir eigentlich.
Bei den Proben merkt man, wie eingespielt Sie und Ihre Musiker sind …
Oh ja, wir sind schon seit sehr, sehr vielen Jahren zusammen. Also mein musikalischer Leiter, mit dem arbeite ich ja schon 30 Jahre, mit anderen 20 Jahre (lacht). Wir sind eine feste Mannschaft und Familie. Wir kennen uns sehr gut, haben sehr viel Spaß, weil wir den Humor des anderen verstehen. Ich glaube, das wird eine eine lustige Tour.
In meinem Freundeskreis geht gerade das 60-Jahre-Gespenst um, was kann man dem entgegensetzen? Ich würde gern sagen: “Hab’ dich nicht so. Es gibt ja keine Alternative.”
Ich sehe das genauso. Ich bin Realist, und ich bin ja nun mal 70 geworden. Und das ist etwas, das man nicht ändern kann. Wie man sich selbst fühlt oder ob man jetzt ein bisschen jünger aussieht, das ist eine andere Geschichte, aber man hat trotzdem dieses Alter, und das ist nicht schlimm. Hauptsache, man ist gesund, was anderes kann ich dazu nicht sagen.
Klingt vernünftig! Täusche ich mich, oder zieht sich das Wort “selbstbestimmt” wie ein roter Faden durch Ihr Leben?
Ja, ich habe fast alles selbstbestimmt, auch in meiner Karriere. Also, wie ich das haben wollte. Die Lieder. Nicht alle, aber das meiste, das meiste in meinem Leben. Nun war ich ja schon sehr früh im Business, und durch den Erfolg eine unabhängige Frau. Ich habe immer meine Freiheit gelebt, meine Unabhängigkeit. Ich hatte immer meine Meinung und die habe ich auch sehr, sehr oft durchsetzen können. Auch, was die Musik angeht (lächelt).
Wenn Sie zurückschauen: Emanzipation, Feminismus, Selbstbestimmung – sollten wir nicht weiter sein?

Sie genießt jede Sekunde …
(Foto: dpa)
In Sachen Gleichberechtigung, meinen Sie? Männer und Frauen? Ja! Auf jeden Fall. Wir haben sehr dafür gekämpft in den Siebzigern. Auch in den 80er Jahren, und auch weiterhin. Zwischendurch dachte ich mal, wir wären weiter, wir wären bereits gleichberechtigt. Sind wir aber nicht, auch wenn wir schon sehr viel geschafft haben und weitergekommen sind. Irgendwann gab es auch mal eine Zeit, da haben uns die Männer auch mit Falten akzeptiert, so wie wir sie auch akzeptieren, wenn sie älter werden. Wir akzeptieren ja auch die Männer mit Bäuchlein, und sie sehen ja auch ganz toll aus, wenn sie 50, 60 sind (lacht). Oft. Aber viele ältere Frauen denken noch immer, dass sie sehr jung aussehen müssen. Ich denke, das wirft uns ein bisschen zurück. Wir dürfen auch alt werden, und wollen akzeptiert sein von der Gesellschaft, genauso wie die Männer. Das ist wichtig. Natürlich gibt es auch im Arbeitsleben noch vieles mehr, was zu verbessern wäre.
Die Bezahlung zum Beispiel.
Natürlich, es ist immer noch ein riesiger Unterschied.
“Ich liebe das Leben” – darauf muss ich noch einmal kurz eingehen, weil es mich seit Jahren, vielleicht schon seit Jahrzehnten, begleitet. Von den Partys meiner Eltern bis hin zu meinen Kindern. Was macht den Erfolg aus? Diese Mischung aus positivem Refrain und den bittersüßen Zeilen dazwischen?
Ja, das ist irgendwie ein zeitloses Lied geworden aufgrund des Textes. So ist das Leben nunmal, es kann eine Liebesgeschichte zu Ende gehen, es kann auch beruflich Schluss sein. Aber dass man doch wieder den Mut hat, nach vorne zu schauen. “Sorg dich nicht um mich. Du weißt, ich liebe das Leben.” Es wird weitergehen und ich werde noch viele schöne Stunden in meinem Leben haben. Wir haben das Positive in uns, vielleicht ist es das. Ich kann es selber nicht so ganz erklären. Ich glaube, dieses Dazwischen, dieses Beidseitige, das ist es, was das Leben schön und den Song erfolgreich macht.
Was machen Sie, damit Sie nicht in einen Blues verfallen, den man ja auch als positiv gestimmter Mensch mal bekommen kann, bei der Nachrichtenlage. Oder lassen Sie das abprallen?
So wie wir jetzt leben, mit dem Krieg in der Ukraine, so mitten in Europa, und was jetzt alles um uns herum passiert, das ist ja nun wirklich alles überhaupt nicht positiv. Wir alle haben sehr, sehr große Probleme. Aber ich habe trotzdem keinen Blues. Nein, ich werde auch nicht depressiv, sondern ich würde sagen, wenn ich die Gelegenheit habe, diskutiere ich darüber oder packe Dinge an, irgendwie. Ich bin gegen Angst haben. Angst ist wirklich ein sehr schlechter Berater und bringt einem ja auch gar nichts. Besser ist es, die Dinge und Probleme anzugehen oder auch darüber zu sprechen. Es befreit ja, mit Freunden darüber sprechen, mit der Familie oder mit einem Menschen, dem man vertraut. Über vieles zu sprechen, die eigenen Probleme und die Probleme auf der Welt, das wäre mein Rat.
Sind Sie eher ein Bauch- oder ein Kopfmensch?
Ich glaube eher ein Bauchmensch.
Und so fällen Sie auch Entscheidungen?
Ja, ich habe sehr viel aus meinem Gefühl heraus entschieden. Auch die Abschiedstournee. Ich möchte lieber von allein gehen, bevor man mir das nahelegt (lacht).
Ihre Pläne: Ein Hotel in Athen, Ihre Biografie, ein weiteres Kochbuch …
Was? (lacht) Alles auf einmal? Na gut, ich bin schließlich auch Geschäftsfrau, aber darüber rede ich noch nicht so viel. Mein erstes Kochbuch war ein Family-Projekt. Meine Tochter Sandra hat das gesamte Buch geschrieben und illustriert. Und mein Sohn hat auch Rezepte beigesteuert. Es war tatsächlich so ein schönes Projekt, vielleicht machen wir also zusammen noch ein zweites. Und ob meine Biografie kommt oder ich noch ein paar Lieder komponiere und so, das weiß ich jetzt noch nicht. Ich schau mal.
Was sagt die Familie, freut sie sich, dass Sie bald ein bisschen mehr Zeit für sie haben?
Ich glaube ja. Es ist nur so – ich habe auch jetzt sehr viel Zeit für die Familie, zum Beispiel die ganze nächste Woche. (lacht)
Sie sehen super aus. Was ist Ihr Geheimnis? Sagen Sie bitte nicht, dass Sie bloß viel Wasser trinken …
(lacht) Ich trinke viel zu wenig Wasser. Ich muss mich dazu zwingen. Na ja, also ausgewogen ernähren ist eine schwierige Sache. Manchmal bin ich an Abenden eingeladen, da isst man natürlich mehr. Und wenn man ein Glas Wein trinkt, dann muss man eben zwei, drei Tage keinen Wein trinken und ein bisschen weniger essen. Sport müsste ich mehr machen, ich bin oft zu faul. Also ich glaube, ich bin ein ziemlich normaler Mensch. Vielleicht kann ich mich manchmal aber ganz gut disziplinieren, das kann gut sein.
Wie wichtig sind Freundinnen für Sie? Und Frauen-Netzwerke?
Sehr wichtig. Und genetzwerkt habe ich schon immer. Darüber sprach ich das erste Mal mit der damaligen Chefredakteurin der “Bunte”, Patricia Riekel. Später wurden wir Freundinnen – was wir am Anfang gar nicht waren. Ich sagte zu ihr: “Wissen Sie, wir Frauen müssten ja viel mehr miteinander zu tun haben, aufeinander zugehen.” Und dann ging es auf einmal darum, ob man schlecht oder gut angezogen ist, und ich sagte, das sei doch völlig unwichtig. “Fragen Sie die Frauen doch lieber, was sie machen, was sie denken. Seid neugierig, so, wie das die Männer machen!” Ich wollte, dass wir mehr füreinander einstehen und uns unterstützen und nicht neidisch oder eifersüchtig sind oder darüber definieren, was eine Frau anhat. Aber früher war das ja so, man suchte einen Mann, und da war die eine Frau auf die andere eifersüchtig, man schaute, wer diesen Mann nun bekommt. Ich bin da schon lange drüber hinweg. Hoffe ich doch (lacht).
Mit Vicky Leandros sprach Sabine Oelmann
Infos zu ihrer (so gut wie ausverkauften) Tournee hier