Noch nie lockte ein Frauenfußballspiel in Deutschland so viele Fans ins Stadion wie beim DFB-Pokalfinale zwischen Wolfsburg und Freiburg. Am Vatertag feiern alle Beteiligten ein Fußballfest. Doch längst nicht alles ist gut, der Ärger um die WM ist nur ein Thema.
Manchmal ist es wie bei den Herren. Beim DFB-Pokalfinale der Frauen brachten Rekordsieger VfL Wolfsburg und der SC Freiburg ihre Fans mit. Und auch wenn auf den Rängen das Textmarker-Grün der Wölfinnen überwog, spielte sich ein bekanntes Muster ab. Der Seriengewinner, Wolfsburg, dominierte zwar auf dem Feld, auf den Rängen war es aber der Anhang des SC Freiburg, der deutlich lauter war. Selbst Freiburger Ultras waren mitgereist. Am Ende freuten sich jedoch beide Fanlager – zumindest ein bisschen. Denn bei Wolfsburgs zehntem Pokaltriumph war das Kölner Rhein-Energie-Stadion ausverkauft – 44.808 Menschen, erneut deutscher Rekord für den Frauenfußball.
Die neuerliche Bestmarke brachte so manchen ins Schwärmen. Nationalspielerin Janina Minge, die mit ihren Freiburgerinnen mit 1:4 verloren hatte, sprach von einer “Megastimmung” und eine “Wahnsinnskulisse”. “Das wird man so schnell nicht vergessen”, erklärte sie in der ARD. Den Zuschauerrekord setzte Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg in den Kontext: “Dass wir so viele Menschen hier haben, das ist der Lohn für jahrelange Arbeit, für den Glauben und für sportlich herausragende Leistungen.”
Spätestens seit dem vergangenen Sommer jagt der deutsche Frauenfußball von einem Bestwert zum nächsten. Das DFB-Team hat zwar schon zuvor einen Titel nach dem anderen gesammelt (acht EM-Siege, zweimal WM), den Hype aber löste das EM-Turnier 2022 samt Finalniederlage gegen England (1:2) aus. Dieser Boom überträgt sich bis in die Bundesliga. Der Schnitt hat sich im Vergleich zum Vorjahr mehr als verdoppelt, durchschnittlich sehen dort 2671 Fans ein Spiel im Stadion.
Ein ganz neues Publikum
Viel wichtiger ist aber, dass hinter diesen Zahlen ein völlig neues Publikum steckt. Wer sich vor dem Pokalfinale auf dem Fanfest herumtrieb, sah neben vielen Familien auch viele weibliche Fußballfans. Und die Mädchen tragen nicht nur die Trikots ihrer Heldinnen, sie spielen auch selbst. Auf ihren Trainingsklamotten waren die Namen von Vereinen aus ganz Deutschland gedruckt. Für viele ist die Fahrt zum Pokalfinale das abschließende Saisonhighlight. Zudem saßen später auf den Rängen zahlreiche Familien. Was zur Folge hatte, dass den ganzen Tag über immer wieder über Lautsprecheranlagen nach den verloren gegangenen Mika, Jakob oder Ibrahim gesucht wurde.
Was die Rekordkulisse auf dem Rasen sah, war zudem auch noch guter Fußball. Das Spiel war spannend, das Tempo zwischen Wolfsburg und Freiburg hoch und technisch stehen sie den Männern sowieso in nichts nach. Die Wölfinnen zeigten lange Zeit, warum die Elf vom Mittellandkanal nun über neun Jahre den DFB-Pokal dominiert. Kapitänin Alex Popp dirigierte das Offensivspiel, Lena Oberdorf räumte für die Wölfinnen kräftig vor der eigenen Abwehr ab und spielte kluge Pässe. Und die Freiburgerinnen waren zu Beginn zwar nervös, verfolgten aber einen klaren Plan und blieben mutig.
WM nicht in Deutschland zu sehen?
Und dennoch. Dass vor dem Frauenfußball noch immer ein weiter Weg liegt, zeigt sich in einer Debatte, die schon länger schwelt. Gut zwei Monate vor Beginn der Weltmeisterschaft in Australien und Neuseeland (20. Juli bis 20. August) ist immer noch nicht klar, ob die Spiele in Deutschland nun gezeigt werden. DFB-Präsident Bernd Neuendorf bezeichnete die Gespräche mit der FIFA am Rande des Finals als “sensibel”. Es sei wichtig, dass man vertraulich miteinander umgehe und die Gespräche nicht auf offenem Markt austrage, sagte er. “Aber gehen Sie davon aus, dass die Drähte laufen und dass wir dann hoffentlich auch zu einem Ergebnis kommen.”
Bundestrainerin Voss-Tecklenburg wurde da deutlicher. “Ich glaube fest daran, dass es im Sinne des Fußballs, im Sinne von uns, eine Lösung gibt. Ich kann auch nur den Appell an alle Beteiligten richten und hoffe, dass es nächste Woche eine Lösung gibt”, sagte sie. Eine zeitnahe Lösung sei “alternativlos”.
Das Problem ist folgendes: Bislang war es so, dass die großen Turniere – Herren und Frauen – gemeinsam vergeben wurden. Doch, die FIFA hat das nun entkoppelt, vermutlich um mehr zu verdienen. Die Argumentation dahinter: Mehr TV-Gelder bedeuteten auch mehr Prämien für die Spielerinnen. Die bisherigen Gebote der fünf großen Ligen reichten dem Weltverband bislang nicht aus. Berichten zufolge sollen sie bei den deutschen Bietern bei etwa fünf Millionen Euro liegen – bei den Männern geht man von Summen von bis zu 200 Millionen Euro aus.
Ein “obzönes Spiel”
Allein, dass das so lange diskutiert werden muss, machte Ex-Nationaltorhüterin Almuth Schult zuletzt sauer. Im Deutschlandfunk sprach sie von einem “obszönen Spiel” der FIFA. “Der ganze Prozess ist so nicht vorstellbar bei einem Männer-Turnier”, sagte sie. Wie es mit dem möglichen Blackout weitergeht, ist unklar. ARD-Intendant Tom Burow sagte zuletzt im WDR, er habe “das höchste Gebot” abgegeben, doch das reiche “Herrn Infantino” nicht. Stattdessen versuche der FIFA-Boss, einen moralischen Druck für die bessere Bezahlung aufzubauen. “Erpressen lassen kann man sich nicht”, sagte Burow.
Doch fehlende Sichtbarkeit und im Vergleich zu den Männern ungleiche Bezahlung sind nicht die einzigen Probleme. Der Frauenfußball befindet sich zwar im Wandel, ist dabei aber auf Hilfe angewiesen. Jedes Jahr macht ein Klub in der Bundesliga rund 1,5 Millionen Euro Verlust. Wer sich nicht mit einem finanzkräftigen Verein aus der Herren-Bundesliga zusammenschließt, bekommt schnell Probleme. Deshalb heißt der 1. FFC Frankfurt mittlerweile auch Eintracht Frankfurt. Sonst droht der sportliche Abstieg, wenn nicht investiert wird: So wie es dem zweifachen Champions-League-Sieger Turbine Potsdam zuletzt passiert ist.
Dann stellt sich eine grundsätzliche Frage. FC Bayern, VfL Wolfsburg, SC Freiburg: Die Tabelle der Frauen liest sich mehr und mehr wie die der Männer. Zudem stiegt nächste Saison auch noch RB Leipzig auf. Der letzte Erstliga-Klub ohne Hilfe einer Männer-Lizenzmannschaft ist die SGS Essen. Deshalb werden andere kreativ. Viktoria Berlin aus der Regionalliga probiert es mit einem ganz anderen Konzept. Dort haben prominente Investorinnen die Frauenabteilung in eine Art Fußball-Startup verwandelt. So wollen sie es in die Bundesliga schaffen.
Doch am Donnerstag in Köln waren diese Entwicklungen erst einmal egal. In der Schlussphase fingen die Freiburg-Fans an, lautstark zu schimpfen. Schiedsrichterin Fabienne Michel hatte zuvor das Spiel unterbrochen. Es war ein besonderer Moment gekommen: Mit Unterstützung aus dem Kölner Keller entschied sie auf den ersten VAR-Handelfmeter im deutschen Frauenfußball. Der Unmut des Freiburger Anhangs richtete sich danach auf den DFB. Manche Dinge sind eben überall gleich.