Aktuelle Deutschland Nachrichten

Unerklärlicher Zusammenbruch der Bayern verändert alles

0 2

Bayern München zerfällt gegen Leipzig. Nach einer guten ersten Hälfte verliert der Rekordmeister die Kontrolle über das Spiel und steht vor einem gigantischen Scherbenhaufen. Noch ist die Meisterschaft nicht verloren. Die Fans aber haben genug. Sie verlassen das Stadion frühzeitig. Wer folgt ihnen?

Wer Zeuge eines historischen Zusammenbruchs werden wollte, der musste am Samstag, dem 20. Mai 2023 nur ein Ticket haben für das Bundesliga-Spiel Bayern München gegen RB Leipzig. Mehr bedurfte es nicht. Am Ende einer entspannten ersten Halbzeit kündigte sich der Untergang einer ganzen Dekade an. In der zweiten Halbzeit war es dann so weit. Innerhalb von 21 Minuten verspielte der Rekordmeister die immer noch gute Ausgangslage im Titelkampf. Nach dem 1:3 (1:0) können sie nicht mehr über ihr Schicksal bestimmen. Schon in der nächsten Woche droht das erste titellose Jahr seit 2012. Ein Konter, abgeschlossen vom womöglichen Neuzugang Konrad Laimer und zwei Elfmeter sorgten für richtig schlechte Laune im Süden der Republik.

Was sich in der Allianz Arena abspielte, war nichts anderes als der komplette Zusammenbruch des Aushängeschilds des deutschen Fußballs. Die Bayern zerfielen in der Schlussphase in ihre Bestandteile. Eine unausgewogen zusammengestellte Mannschaft ohne Führungsspieler hatte dem Hunger der Leipziger, die sich mit dem Sieg direkt für die Champions League qualifizierten, nichts entgegenzusetzen.

Es war eine Demütigung, die noch lange nachwirken wird. Die Zuschauer flüchteten aus dem Stadion. Sie wussten nicht, wie sie mit einer derartigen Niederlage umgehen sollen. Heute, am Sonntag kann Borussia Dortmund mit einem Sieg in Augsburg auf zwei Punkte davonziehen. Ob dem BVB das gelingen wird, steht auf einem ganz anderen Blatt. Allein: An den Problemen der Bayern ändert es nichts.

Hinterher konnte niemand den Untergang erklären. Hinterher waren sie alle enttäuscht und stießen mit gesenkter Stimme Durchhalteparolen in den Abend. “Borussia Dortmund muss erstmal beide Spiele gewinnen. Wenn nicht, dann halten wir das Ding hoch. Ich glaube daran”, sagte Thomas Müller, der in den 90 Minuten auf dem Platz sichtbar seinen Glauben verloren hatte. Müller dirigierte, streckte seine beiden Arme immer tief in Richtung Boden. Es ist sein Signal an die Mannschaft. Eines, das zumindest in der 25. Minute ankam.

Tuchel kann es nicht mitansehen

Weil Müller sich mit seinen Händen beinahe in den Boden wühlte, den Spielzug dort mit gekrümmten Rücken in den Rasen der Allianz Arena grub, sah ihn der in der ersten Halbzeit außerordentliche Joao Cancelao, bediente ihn. Müller macht Müller-Dinge, spielte Gnabry frei, der ohne Gnade abschloss. 1:0. Das Spiel war durch, wahrscheinlich auch die Meisterschaft. Aber Kingsley Coman sah sich in der 39. Minute nicht in der Lage aus kurzer Distanz eine Cancelao-Flanke ins Tor zu knicken. Der Ball ging auf der falschen Seite des rechten Pfostens über die Linie.

Die Leipziger agierten ohne Präzision, ohne Schärfe, ohne den absoluten Willen. Sie hatten noch nie in München gewonnen und es würde ihnen wohl auch an diesem Abend nicht gelingen. Nur Thomas Tuchel war nicht zufrieden. Der rief seine Anweisungen über das Spielfeld, sah das Unheil aufziehen, drehte sich mehrfach wutentbrannt vom Spielfeld weg. Dann schimpfte er in Richtung seiner Assistenten und verschwand auf der Bank. Der ehemalige Mainzer strahlte bereits in der ersten Halbzeit eine erstaunliche Negativität aus.

Zu viele Fehler vermiesten Tuchel das Geschehen auf dem Rasen, seine Mannschaft ließ sich auseinanderziehen. In der Pause habe er seiner Mannschaft die Fehler aufgezeigt, berichtete er nach dem Spiel. Die Mannschaft dankte es ihm mit einem fatalen Leistungseinbruch. “Wenn du so weit unter deinem eigenen Level spielst, und das Level konstant sinkt, tust du dich schwer, Spiele zu gewinnen”, sagte Tuchel und schob Teile der Verantwortung auf seine Spieler.

Fans lassen sich einlullen

Der Zusammenbruch kam nicht über Nacht, es war nicht einmal der erste. Schon gegen Mainz passierte ähnliches. Aber es war eben auch so, dass die Bayern gegen Leipzig die Meisterschaft nicht gewinnen konnten, sie aber eben im schlimmsten Fall verspielen. Seit Dortmunds Aussetzer in Bochum mit all dem sich anschließenden Wirbel um Schiedsrichter Sascha Stegemann waren die Bayern unnachgiebig. Sie eroberten die Tabellenführung mit einem 2:0 gegen Absteiger Hertha BSC, nahmen aus Bremen ein 2:1 mit und deklassierten Schalke gleich mit 6:0. Es waren die alten Bayern. Es waren die Bayern, die nichts herschenken. Es waren die Bayern, die keine Lust auf den FC Hollywood mehr hatten. Es waren die Bayern, die jeder kennt.

Umso heftiger traf sie der Schlag gegen Leipzig. “Das ist komplett ohne Ankündigung”, sagte Tuchel nach dem Spiel. Er hatte es nicht kommen sehen, nicht in der Trainingswoche zuvor und nicht einmal im Spiel. Da kontrollierte sein Team in den ersten 30 Minuten das Geschehen. Sie lullten sich und das Stadion ein. Dann begann es. Die Bayern, die bis zum Jahr 2023 niemand gekannt hatte, waren zurück. Und mit ihnen die ganze Last an Problemen, die die Fußballnation Deutschland durch die Wochen und Monate tragen. Nichts ist schöner als der Absturz. Das war so, das ist so und das wird immer so sein.

Die Fans in der Südkurve arbeiteten sich gerade an dem nicht mehr vorhandenen Lokalrivalen TSV 1860 München ab, als das Spiel langsam außer Kontrolle geriet. Plötzlich, nach über einer halben Stunde, tauchte der Gegner vor dem Tor auf, doch die Chancen vor der Pause waren allesamt von geringer Qualität. Auch nach dem Seitenwechsel haderten die Leipziger mit dem Grundproblem ihres Spiels. Die Schärfe fehlte. Sie waren keineswegs überragend. Aber Bayern zerfaserte immer mehr.

Leipziger sticht in Bayerns Wunde

Leipzig schob die Außenverteidiger (Nationalspieler Benjamin Henrichs war in der Pause für den überforderten Mohamed Simakan gekommen) nun höher, verlagerte das Spiel gegen passive Bayern um 20 Meter in Richtung des Tores von Yann Sommer. Sie waren nun im Spiel. Sie lauerten und sie brachen den Widerstand in der 65. Minute. Allen Aussagen der Bayern nach dem Spiel zum Trotz war es ein Tor aus dem Nichts. Nur Tuchel hatte es kommen sehen. In den Minuten zuvor wirkte er so, als sei er gewillt, seine Mannschaft unter einen Bus zu werfen.

An der Außenlinie hatten sich in dieser 65. Minute gerade die Leipziger Altstars Kevin Kampl und Emil Forsberg ihrer Trikots entledigt und warteten auf ihre Einwechslung, da schnappte sich Laimer den Ball nach einer Ecke der Bayern und brach durch. Niemand wollte ihn verteidigen. Erst als es zu spät war, als Cancelao den Schuss von Christopher Nkunku blockte und sich die Restverteidigung ohne Erfolg gegen Laimers Schuss warf. 1:1. Kampl stürmte aufs Feld. Wenig später kam er und auch Tuchel reagierte. Gnabry ging. Er war in der zweiten Halbzeit der Gnabry der letzten Monate. Kein guter.

Denn aus dem Nichts war Gnabry in den vergangenen Wochen aus der Trümmerlandschaft einer gewaltigen Krise zurückgekehrt. Sein Jahr 2023 glich bis in die letzten Apriltage hinein einer einzigen Katastrophe. Der Nationalspieler schleppte den schweren Rucksack des WM-Aus in Katar an einem freien Tag im Januar mit auf die Fashion Week in Paris. In München nahmen sie es ihm übel, sehr übel. Sie zählten ihn öffentlich an. Lange lachte Gnabry nicht mehr, lange traf er nicht mehr.

Nur Kobels Aprilscherz hellt den April auf

Zwischen seinem Tor beim 3:0 über Bochum am 11. Februar und dem Treffer gegen Hertha am 30. April lagen beinahe zwei Monate. Eine Ewigkeit, in der Gnabrys beste Leistungen wohl in einem Werbespot des Vereinssponsors Audi zu sehen waren. Dort unternahm er zusammen mit Torwart Yann Sommer und Verteidiger Alphonso Davies einen Ausflug nach Italien. Weil es sich an einem freien Tag anbot. Eine seltsame Kuriosität dieser Saison.

Die Bayern gerieten aber nicht nur wegen der Aufregung um Gnabry vollkommen aus der Spur. Jeden Tag drangen neue Aufreger an die Öffentlichkeit. Die Bayern hatten nicht auf dem Platz die Kontrolle über die Saison verloren. Sie sahen mit an, wie der BVB sich Punkt für Punkt an sie heranrobbte und dann überholte. Einmal vor dem direkten Aufeinandertreffen am 1. April. Julian Nagelsmann flog nach der Niederlage in Leverkusen, Tuchel kam praktisch über Nacht. Für einen Moment wurde alles gut: Nach einem Aprilscherz von Dortmund-Keeper Kobel gewannen die Bayern 4:2. Doch dann ging es hinab.

Als sich alle Welt nach dem Aus in Pokal und Champions League und dem Verlust der Tabellenführung nach dem Zusammenbruch in Mainz fragte, ob Bayern München vielleicht einen Thomas-Tuchel-Darsteller, aber nicht den Gewinner der Champions League im Jahr 2021 verpflichtet hatte, gewannen die Bayern einfach wieder. Thomas Müller, der nicht mehr immer spielt, lief in den vergangenen Wochen heiß. Plötzlich war jedes Spiel wieder ein Thomas-Müller-Spiel. Auch für Thomas Tuchel, der so den Bankplatz des Urgesteins erklärt hatte. Und Gnabry? Auch der traf immer. Auch gegen Leipzig. Aber dann brach er ein und wurde ausgewechselt.

Kahns Zukunft ungewiss

Auf dem Platz kamen die Leipziger nach dem 1:1 zu neuen Chancen, zu zwei Elfmetern, zu zwei Toren. Die Bayern aber verschwanden und standen später mit leerem Blick vor der Südkurve. Sie schauten in ebenso überraschte Gesichter unter den Fans. Die hatten sich zwischenzeitlich sogar für einen Moment von ihrer Mannschaft abgewandt und für vielleicht eine Minute das Spiel nicht mehr verfolgt. Sie fingen sich.

Anders als die Massen, die das Stadion verließen und es nicht fassen konnten. Dabei waren sie gerade Zeuge des Endes einer großen Mannschaft geworden. Der Zusammenbruch in der Allianz Arena verändert alles. Womöglich auch für den Vorstandsvorsitzenden Oliver Kahn, der in den Katakomben nach Worten rang. Seine Zukunft in München ist ungewiss. Auch Joshua Kimmich war sprachlos. “Das ist ein Spiegelbild unserer Saison. Wir haben alles im Griff. Und in der zweiten Halbzeit ist gar nichts mehr da”, sagte der, um den sich auch Wechselgerüchte ranken, beim ZDF.

Dieser FC Bayern München hat in dieser Form keine Zukunft, auch wenn er die Meisterschaft noch holt.

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Website verwendet Cookies, um Ihr Erlebnis zu verbessern. Wir gehen davon aus, dass Sie damit einverstanden sind, aber Sie können sich abmelden, wenn Sie dies wünschen. Annehmen Weiterlesen

Datenschutz- und Cookie-Richtlinie