Das ist eine Nachricht, die jeden älteren Fußballfan elektrisiert. Der Bielefelder “Jahrhunderttrainer” Ernst Middendorp kehrt nach Deutschland zurück. Knapp vierzehn Jahre nach seinem letzten Engagement in der Heimat unterschreibt er bis zum Saisonende beim SV Meppen. Ein echter Welttrainer in der Provinz!
Knapp dreißig Vereine hat Ernst Middendorp in seiner langen Trainerkarriere schon betreut. Darunter absolute Exoten wie der iranische Klub Tractor Sazi Täbris, der chinesische Verein Changchun Yatai und die ghanaische Mannschaft von Accra Hearts of Oak. Nun kehrt der gebürtige Emsländer nach Deutschland zurück. Vierzehn Jahre nach seinem letzten Engagement in der Heimat hat sich der Tabellenletzte der 3. Liga, der SV Meppen, seine Dienste gesichert. Middendorp hat dafür sogar extra seinen noch bis 2026 gültigen Vertrag mit dem südafrikanischen Klub Moroka Swallows aufgelöst. Sein letztes Engagement in Deutschland endete im Mai 2009 bei Rot-Weiss Essen. Nun ist Middendorp wieder zurück.
In Meppen freut man sich schon sehr auf den Kulttrainer, wie Sportvorstand Heiner Beckmann heute bei der Verkündung der überraschenden Nachricht sagte: “Wir sind überzeugt, dass Ernst Middendorp uns in der jetzigen Situation mit seiner enormen Erfahrung direkt helfen kann. Ich stand regelmäßig im Kontakt mit ihm, und weiß, wie intensiv sich Ernst Middendorp auch aus der Ferne mit dem deutschen Fußball, der 3. Liga und ganz speziell mit dem SV Meppen beschäftigt hat.” Aktuell weilt Middendorp noch in Südafrika. Doch schon am morgigen Nachmittag soll der neue Coach des SVM das erste Training des abstiegsgefährdeten Klubs leiten.
“Verrückt bin ich, aber er ist wahnsinnig”
In Meppen beerbt Middendorp ausgerechnet Stefan Krämer, der 2011 seinen erfolgreichen Sprung in den Profibereich bei Arminia Bielefeld schaffte. Dem Verein, bei dem Ernst Middendorp seine größten Zeiten hatte und bei dem ihn die Fans einst zum “Jahrhunderttrainer” kürten. Rüdiger Lamm, der ehemalige Manager der Arminia, hat einmal über Ernst Middendorp gesagt: “Verrückt bin ich, aber er ist wahnsinnig.” Eine punktgenaue Charakterisierung des “wilden Handfegers”, die sicherlich deutschlandweit alle älteren Fußballfans sofort unterschreiben würden.
Damals nach der Wahl zum “Jahrhunderttrainer” würdigte die Arminia ihren Coach mit diesen Worten: “Ernst Middendorp baute Ende der 80er aus dem Nichts eine völlig neue, identitätsstiftende Mannschaft auf und führte Arminia in seiner zweiten Amtszeit von der Regionalliga in die Bundesliga. 2007 kehrte der brillante Motivator ein drittes Mal zurück nach Bielefeld und erreichte den nicht mehr für möglich gehaltenen Klassenerhalt, womit er sich wohl endgültig unsterblich gemacht hat.”
Was für ein außergewöhnlicher Typ dieser Ernst Middendorp ist, zeigt auch, dass ihm einst als einer der ganz wenigen Bundesligatrainer überhaupt eine eigene Webseite gewidmet wurde. Wer früher über diese Seite ins Internet ging, erfuhr von der Schuhgröße über jede einzelne Anekdote bis hin zur aktuellsten Neuigkeit alles, was er über Ernst Middendorp je erfahren wollte – und noch jede Menge darüber hinaus. Der Betreiber der Seite hatte offensichtlich einen echten Narren an dem Mann gefressen, der sich im April 1988 bei einer Pressekonferenz so vorstellte: “Mein Name ist Middendorp! M-i-d-d-e-n-d-o-r-p! Ich sage dies ausdrücklich, weil es bereits dreimal Schwierigkeiten gab.”
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Mit seinen Fußballprogrammen ist er deutschlandweit unterwegs. Infos & Termine auf www.scudetto.de.
Die Alkoholfahrten des Trainers, die auch schon einmal auf Straßenbahnschienen gegenüber des Bielefelder Landgerichts oder halb auf einer Kreuzung parkend endeten (“Ich kann mich nicht erinnern, wie ich dahin gekommen bin. Ein riesiges Rätsel.”), sind in aller Ausführlichkeit dokumentiert. Und auch die berühmten Sätze gegenüber einem Reporter von Radio Bielefeld werden dort noch einmal entsprechend gewürdigt.
“Knien Sie nieder, Sie Bratwurst!”
Als die Arminia am 22. November 1997 beim 1. FC Köln gewann, riss Middendorp – emotional äußerst aufgeputscht – dem armen Medien-Mann das Aufnahmegerät zur Seite und schrie: “Hauen Sie ab, Sie Arschloch, Sie Schwein, nehmen Sie das Mikro weg!” Und weil Middendorp gerade so schön in Fahrt war, fügte er abschließend die mittlerweile zum geflügelten Wort gereifte Sentenz hinzu: “Knien Sie nieder, Sie Bratwurst!” Auf der anschließenden Pressekonferenz lief das Fass dann beim Bielefelder Trainer endgültig über, als er sich einmal richtig “auskotzte” und dabei die versammelte Journaille verbal und frontal anging. Damit leistete er sich den Ausraster der Saison.
Sein “verrückter” Freund und damalige Manager der Arminia, Rüdiger Lamm, versuchte Middendorp noch aus der Schusslinie zu nehmen, als er meinte: “Solche Geschichten entstehen nur dadurch, dass man ihn nicht kennt.” Doch das war leider ein äußerst verzweifelter Versuch. Denn Lamm selbst hatte nur wenige Wochen zuvor einer Reporterin von Radio Bielefeld die wenig nette Aufforderung zukommen lassen: “Lecken Sie mich doch da, wo Sie es am liebsten haben!”
Als Bielefelder Trainer hatte Ernst Middendorp die Arminia damals aus der dritten Liga in die Bundesliga geführt. Mit alternden Stars wie Thomas von Heesen, Fritz Walter, Stefan Kuntz, Armin Eck, Peter Hobday und dem bereits 41-jährigen Torwart Uli Stein wollte er nun in der Saison 1995/96 unbedingt die Klasse halten. Ein schwieriges Unterfangen, aber Middendorp tat alles für den Erfolg. Als beim Mannschaftstraining zwei Kinder mit ihren Fahrrädern eine Abkürzung über den Rasen nahmen, rastete der junge Bielefelder Coach richtig aus: “Seid ihr denn komplett verrückt? Sofort runter mit euch!”
Ein paar Jahre später landete Middendorp beim VfL Bochum. Dort hatte er die nervenaufreibende Qual der Wahl zwischen den Torhütern Thomas Ernst und Rein van Duijnhoven. Wochenlang konnte sich der Coach des VfL nicht wirklich für einen der beiden entscheiden. Bis der “kicker” es irgendwann Leid war und in einer der schönsten Überschriften eines Fußballmagazins ketzerisch-philosophisch überlegte: “Tut Ernst Ernst rein? Oder tut Ernst Rein rein?”
Ein Wunder gelang schon
Als er 2007 nach Bielefeld zurückkehrte, gelang ihm das Wunder: die Mannschaft schaffte mit ihm den Klassenerhalt. Der Mann, der schon immer den Hang zur Formulierung komisch anmutender Sätze (“Ich habe rechts einen gebrochenen Mittelfußknochen mit einem Tumor und was weiß ich noch alles”) hatte, sagte nach einer Niederlage auf Schalke: “Wir Arminen sind auch Deutscher Meister, allerdings nur in Ostwestfalen.” Und als es gegen die Bayern gehen sollte, versuchte Middendorp mit folgendem Satz der Mannschaft Mut zu machen: “Das ist wie VW Beetle gegen Porsche. Wir sind aber nicht auf der Autobahn, sondern im Stadtgebiet unterwegs und müssen gucken, ob der Beetle nicht hier und da einen Vorteil hat.”
Von Kindesbeinen an ist der Chefredakteur des Magazins “11 Freunde”, Philipp Köster, Fan der Bielefelder Arminia. Er hat sämtliche Höhen und Tiefen mit dem Jahrhunderttrainer durchlebt und sagt deshalb über Middendorp: “Ein Vollblut-Armine. Er würde auch nach einem Champions-League-Triumph mit Real Madrid direkt nach dem Schlusspfiff fragen: ‘Wie hat Arminia gespielt?'”
Nun ist der ehemalige Kultcoach der Arminia zurück in der Heimat. Beim SV Meppen bauen sie auf die unglaubliche Erfahrung des ehemaligen Bundesligatrainers. In der sympathischen Fußball-Provinz soll Ernst Middendorp ein kleines Wunder vollbringen und den Klub in der 3. Liga halten. Wahnsinnig genug ist der gebürtige Emsländer, wie wir ja nicht nur laut Rüdiger Lamm wissen, in jedem Fall. Und was wäre das für eine Story, wenn der weitgereiste Welt-Trainer nur knapp vierzig Kilometer von seinem Geburtsort entfernt noch einmal Fußballgeschichte schreiben sollte? Meppen und Middendorp wäre es zu gönnen.