Der DFB stellt Bundestrainer Hansi Flick frei. Eine Entscheidung, die für den klammen Verband alternativlos ist. Im kommenden Sommer soll die Heim-EM ein rauschendes Fest werden. Mit der DFB-Elf in der aktuellen Konstellation droht indes der nächste Alptraum.
Japan frisst Deutschland auf – und den Bundestrainer gleich mit. Einen Tag nachdem alle Hoffnungen auf eine gute Zukunft im Mittellandkanal abgesoffen waren, stellt der DFB Hansi Flick frei. Für ein Spiel, und zwar für das gegen die Franzosen am Dienstagabend in Dortmund, kehrt Rudi Völler noch einmal auf die Trainerbank zurück. Und dann? Vielleicht Julian Nagelsmann, wobei fraglich bleibt, ob der 36-Jährige schon bereit ist, eine Nationalmannschaft zu übernehmen. Eine durchaus kuriose Situation: Auch DFB-Vize Hans-Joachim Watzke wird dieser Entscheidung mittragen müssen, und das, obwohl der Name des ehemaligen Bayern-Coaches auch als dunkler Schatten über dem kriselnden BVB hängt, dem Heimatverein von Watzke, bei dem der Multifunktionär das Amt des Klubchefs bekleidet.
Vorerst egal. Erstmal geht es nur um Flick. Niemand dürfte wirklich überrascht sein, dass seine Zeit an diesem Sonntag endet. Angetreten als großer Hoffnungsträger, gestartet mit Siegen gegen Zwerge, erlebte er einen Absturz im Eiltempo. Die Mannschaft spielte immer schlechter, immer erfolgloser. Die WM in Katar war nur die prominenteste Station auf dem rasanten Weg raus aus der Weltspitze. Doch anstatt schon damals Konsequenzen zu ziehen, ließ sich der DFB vom Bundestrainer überzeugen. Ein neuer Weg sollte eingeschlagen werden. Doch in welche Richtung er führte, konnte Flick immer weniger erklären. Er verlor offenbar nicht nur die Mannschaft, sondern auch die Anhänger. Das erste Halbjahr 2023 war noch ernüchternder als das Wüsten-Debakel.
Die Probleme sind größer als Flick
Dennoch gewährte ihm der Verband eine weitere Schonfrist. Im September, also jetzt, sollte alles besser werden – das Gegenteil geschah. Gegen Japan ging Deutschland brutal unter. Das Spiel endete 1:4. In der Höhe verdient. Und es hätte sogar noch schlimmer kommen können, hätte Marc-André ter Stegen nicht ein paar sehr starke Paraden gezeigt. Anspruch und Wirklichkeit passen nicht mehr zusammen. Ob das nur an Flick liegt? Fraglich. Schon Vorgänger Löw fand in der Endphase seiner langen Ära keine Lösungen mehr. Und aus der U21 kommt kaum etwas nach, dass schnelle Besserung verspricht. Jamal Musiala und Florian Wirtz, viel mehr Hoffnung ist nicht da. Es wird immer mehr Gewissheit, was Kapitän İlkay Gündoğan und Flick am Samstag auf bitterste Weise ansprachen: Deutschland ist nicht mehr in der Lage, Teams wie Japan, dem Weltranglisten-20. auf Augenhöhe zu begegnen.
Muss man sich wundern? Eher nicht. Auf mindestens drei Positionen kann das DFB-Team auf höchstem Niveau nicht mehr bestehen. Die Außenverteidiger sind und bleiben eine ewige Baustelle. Und wenn im Sturmzentrum Niclas Füllkrug der alleinige Hoffnungsträger ist, dann ist das eine fatale Situation. Bei aller Sympathie für diesen Stürmer, der das Beste aus sich herausholt. Das kann man indes längst nicht für alle Spieler sagen. Wenn eine Mannschaft planlos spielt, dann ist das schon fatal genug. Wenn ihr aber auch noch die glühende Leidenschaft abgeht, sich für das Trikot, das sie tragen, zu zerreißen, dann gibt es kein schlimmeres Alarmzeichen mehr. Flick war nicht mehr in der Lage, den Knopf zu finden, um dieses laute Surren abzuschalten. Die Amazon Doku über den Vorrunden-Knockout in Katar legt nahe, dass dieser Prozess schon sehr lang gärte.
Erschreckender Bedeutungsverlust des DFB-Teams
Viel schlimmer noch: Flick blendete öffentlich jede Realität aus. Ja, er bekannte enttäuscht zu sein, aber ein Eingeständnis in eigene Fehler, das gab es nicht. Noch nach dem Japan-Fiasko warb er für sich und befand, dass er und sein Team gute Arbeit leisten. Das wirkte reichlich absurd, angesichts der Leistungen der vergangenen Länderspiele. Einsicht in Fehler? Nein. Davon jedoch hat Flick viele gemacht. Viel zu viele. Alles, was bis Sommer 2023 geschah, wehrte er mit dem Verweis ab, experimentieren zu wollen. Das wurde von einem lauten, öffentlichen Murren begleitet, aber gerade noch hingenommen. Weil die Nationalmannschaft, die spätestens seit 2018, seit der Russland-Blamage, in einer gigantischen Krise auf allen Ebenen steckt, immer weniger wichtiger war. Ein erschreckender Bedeutungsverlust ging mit dem sportlichen Absturz einher – und das im Angesicht der Heim-EM im kommenden Jahr, die laut DFB-Sportdirektor Rudi Völler ein neues Sommermärchen werden muss.
Flick hat sich auf seinem Weg aus dem Amt um Kopf und Kragen geredet. Er hat bei Nominierungen oder Nicht-Nominierungen Spieler ohne Not geschwächt. Niklas Süle etwa, der im Sommer einen Denkzettel bekam, obwohl er gerade eine herausragende Rückrunde mit dem BVB gespielt hatte. Oder jetzt eben Leon Goretzka, der nach schwachen Monaten beim FC Bayern wieder starke Leistungen gebracht hatte. Er hat auch jetzt weiter probiert, obwohl er die Zeit des Experimentierens beendet hatte. Joshua Kimmich musste auf dem Platz nach rechts weichen und in der Hierarchie zurücktreten. Im Mittelfeld fand Flick weiter keine gute Lösung für seinen neuen Kapitän Gündoğan. Warum das alles? Eine schlüssige Antwort, die gab es nicht. Und wird es nun nicht mehr geben. Der Weg der Verzweiflung, der Weg der sich häufenden Debakel, für Flick ist er beendet. Die Krise der Nationalmannschaft aber längst nicht gelöst. Strukturelle Defizite werden erst mühsam aufgearbeitet und dabei fetzen sich die Bosse auch noch. Watzke etwa rumpelte gegen die Reform im Kinderfußball und wurde dann von allen Seiten in den Senkel gestellt.
Und nun? Erstmal Völler und die Hoffnung, dass Frankreich womöglich keinen Gefallen an diesem Duell findet. Sonst wird der Tiefpunkt des deutschen Fußballs am Dienstag neu definiert. Und dann? Alles offen. Die Liste der gehandelten Namen ist vogelwild, sie reicht von der Utopie Jürgen Klopp, über den vereinslosen Oliver Glasner bis zu Wohlfühl-Rentner Felix Magath. Und Nagelsmann? Möglich. Aber teuer. Für den klammen DFB wird das ein Drahtseilakt. Flick muss weiter- oder ausbezahlt werden. Die nächste Entscheidung muss sitzen, muss Erfolg haben. Sonst wird es düster, auf allen Ebenen. Für den deutschen Fußball geht es jetzt um alles.