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Gualtieri gewinnt wilden Fight und dankt Rocky im Himmel

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Deutschland hat wieder einen Box-Weltmeister. Vincenzo Gualtieri krönt sich in seiner Heimat zum Mittelgewichts-Champion des Verbandes IBF. Seine ersten Worte gehen an eine tote Legende.

Als der wilde Kampf mit fliegenden Fäusten dem Ende entgegen tickte, als Vincenzo Gualtieri seinen Gegner Esquiva Falcao nach zwölf harten Runden endgültig verdroschen hatte, sprang der 30-Jährige wie ein Derwisch durch den Ring und schrie wie von Sinnen. Nach einer großen Box-Schlacht mit zwei Niederschlägen und einem Tiefschlag wusste der Wuppertaler schon Sekunden vor dem finalen Gong, dass er den WM-Titel des Verbandes IBF in seiner Heimatstadt gewonnen hatte. Felix Sturm war einst der letzte Deutsche gewesen, der den prestigeträchtigen rot-goldenen Gürtel trug, ehe er ihn 2014 an den Australier Sam Soliman verlor. Jetzt wurde Gualtieri im Limit bis 72,57 Kilogramm als Champion ausgerufen. Das Urteil der Punktrichter fiel einstimmig aus (117:109, 116:110, 116:110).

Es flossen Tränen. Des Glücks. Aber auch der Trauer. Denn Gualtieris Mentor, der Mann, der ihm den Weg in die Unihalle und damit zum Titel gewiesen hatte, ist tot. Vor viereinhalb Jahren starb die Box-Legende Graciano Rocchigiani auf tragische Weise bei einem Autounfall. Und so richtete der neue Weltmeister die ersten Worte nach dem gewonnenen Kampf an “Rocky”. Die unbändige Kraft für zwölf höchst intensive Runden habe er “von oben erhalten, von Graciano”.

2006 hatten sich die Beiden kennengelernt, Rocchigiani sah sofort das Talent in dem jungen “Cenzo” und förderte ihn. Mit “Rocky” im Rücken legte Gualtieri eine ordentliche Amateur-Karriere hin, 2015 wurde er Profi – bei Rocchigiani, der sein Glück damals als Trainer und Promoter versuchte. 2017 ging “Grace” das Geld aus, seine Boxpromotion in Berlin meldete Insolvenz an. Gualtieri wechselte zum Agon-Boxstall, das enge Band zu Rocchigiani hielt.

Linker Aufwärtshaken, auf den “Rocky” stolz gewesen wäre

Wie ein wilder Stier eröffnete der 30-Jährige den Hauptkampf an diesem Samstagabend – eine Gangart, die den von Startrainer Robert Garcia betreuten Falcao fürchterlich überraschte. Das Fitness-Monster aus Wuppertal taktierte nicht wie erwartet, sondern ging sofort in die Offensive. Bereits in der zweiten Runde schickte Gualtieri seinen Gegner auf die Bretter. Ein linker Aufwärtshaken, auf den “Rocky” stolz gewesen wäre. Mit dem frühen Coup hatten die wenigsten gerechnet. Falcao, ein technisch begabter Rechtsausleger und nicht umsonst Silbermedaillengewinner bei den Olympischen Spielen 2012, galt bei Experten und Buchmachern als klarer Favorit. Aber, der von rund 2.000 Zuschauern frenetisch angefeuerte Gualtieri scherte sich herzlich wenig um die Stärken seines Kontrahenten. Selbstbewusst und konditionell voll auf der Höhe, setzte er zunächst die klar besseren Treffer, verwirrte den Gast aus Lateinamerika zudem mit flinken Auslagen, boxte mal als Rechts-, mal als Linkshänder. Gualtieri war im Ring “Il Capo”, der Chef, wie er sich nennt.

“Ich bin reingegangen, hab’ getan, was ich wollte – und so haben wir uns den Titel geschnappt”, sagte der frischgebackene Weltmeister nach dem Triumph bei RTL/ntv. Sein Trainer habe ihm gar keine feste Taktik mit in den Ring gegeben, sondern einfach gesagt, er solle tun, “was ich für richtig halte”. Das tat Gualtieri, auch wenn der Fight kein Zuckerschlecken war. In den mittleren Runden kam Falcao besser in den Kampf, auch Gualtieri musste einiges schlucken. Im siebten Durchgang schickte der Lokalheld sein Gegenüber dann beinahe mit einem unabsichtlichen Tiefschlag über die Wupper. Falcao schrie vor Schmerz, bekam die im Regelwerk vorgesehene Auszeit von fünf Minuten – und blieb gefährlich.

In den sogenannten “Championship Rounds” (die Durchgänge zehn, elf, zwölf) riss Gualtieri das Geschehen aber wieder an sich, in der Zehnten ging Falcao nach einem linken Aufwärtshaken ein zweites Mal in die Knie. Am Punktsieg des Deutschen gab es keinen Zweifel, Falcao-Coach Garcia (im Vorjahr noch Trainer von Superstar Anthony Joshua) nannte das einstimmige Urteil zugunsten Gualtieris eine “großartige Entscheidung”. Gratulierte und entschwand in die Kabine.

Für den 33-jährigen Brasilianer war es die erste Profi-Niederlage. Falcao hatte vor dem Duell alle seine Kämpfe gewonnen, bemerkenswerte zwei Drittel davon vorzeitig. An Gualtieri und dessen gestähltem Kinn scheiterte er. Der Underdog ging mit 20 Siegen in den Kampf, entschied davon nur sieben durch Knockout, ein Duell endete Unentschieden. Die Kraft seiner Schläge vor heimischer Kulisse überraschte Falcao.

Erster “richtiger” deutscher Boxweltmeister seit Jahren

Gualtieri ist der erste “richtige” deutsche Boxweltmeister seit Jahren. Richtig, weil er den Titel eines großen, anerkannten Weltverbandes erobert hat. Die IBF-Krone trugen schon Legenden wie Marvelous Marvin Hagler, Bernard Hopkins oder zuletzt Gennadiy Golovkin. Weil der Kasache den Titel niedergelegt hatte, kamen Gualtieri und Falcao zum Zug. Auch Graciano Rocchigiani gewann seinen ersten WM-Titel bei der IBF, 1988 in Düsseldorf, eine Klasse höher im Supermittelgewicht.

“Graciano hätte schon reichlich zu meckern gehabt, wie bei jedem Kampf”, witzelte Ralf Rocchigiani nach dem nervenaufreibenden Gefecht: “Aber, ich glaube, er wäre sehr stolz heute gewesen.” Die Beziehung zwischen seinem Bruder und Gualtieri sei besonders gewesen, betonte der 60-Jährige. “Wenn man Graciano kannte, hat man das schon gemerkt: Wenn er bei Vincenzo in der Ecke stand, ist er schon noch ein bisschen mehr abgegangen als bei den anderen Boxern. Sein Puls wäre heute bestimmt nicht mehr messbar gewesen, das wäre heute sicher extrem für meinen Bruder gewesen.”

Ob Gualtieris Triumph das Profiboxen in Deutschland wieder populär, wieder zu einem Mainstream-Sport macht? “Wir haben auf jeden Fall einen Meilenstein gesetzt. Jetzt müssen die Fernsehsender her, dann kann das deutsche Boxen wieder nach oben kommen”, sagte der neue Weltmeister, dessen Krönung nur in einem zahlungspflichtigen Livestream zu sehen war. Axel Schulz ist optimistisch, dass es aufwärts geht. “Ich glaube schon, dass Vincenzo da einen Schub geben kann”, sagte der frühere deutsche Boxheld. “Der ist einfach ein toller Typ, ist, wie er ist, der verstellt sich nicht. Er hat viel von dem, was Graciano auch hatte. Er passt so in die Welt rein. Wäre toll, wenn damit viele jetzt das Boxen wieder verbinden.”

Culcay winkt ebenfalls WM-Kampf

Das Abendprogramm des Agon-Boxstalls in der Unihalle war jedenfalls durchaus Werbung für den Preiskampf. Vor Gualtieri hatte der Italiener Etinosa Oliha den vakanten Mittelgewichts-Titel des kleineren Verbandes IBO gewonnen. “El Chapo” (ebenfalls bei Agon unter Vertrag) besiegte den Chilenen Julio Alamos einstimmig nach Punkten. Der Zwölf-Runden-Kampf war wie das spätere “Main Event” von hoher Intensität und wilden Schlaghageln geprägt. Auch den IBO-Gürtel hatte Golovkin wie seine Titel von WBA und IBF niedergelegt.

Mit Halbmittelgewichtler Jack Culcay winkt derweil einem weiteren deutschen Boxer ein WM-Kampf. Der 37-Jährige schlug im Vorprogramm in einem komplett einseitigen Aufbaukampf den Argentinier Juan Adrian Monzon in der zweiten Runde k.o. Culcay feierte im 37. Profikampf den 33. Sieg und bleibt beim Weltverband IBF die Nummer zwei der Rangliste. Im Herbst könnte “Golden Jack” – 2009 Amateur-Weltmeister – um den IBF-Titel im Limit bis 69,85 Kilogramm kämpfen.

Weltmeister Jermell Charlo, der auch die Gürtel von WBA, WBC und WBO hält, steigt für einen Blockbuster gegen Superstar Canelo Alvarez zwei Klassen ins Supermittelgewicht auf. Der IBF-Gürtel könnte vakant werden, oder aber Culcay um eine “Interims”-WM boxen. “Genau, darauf warte ich jetzt schon seit drei Jahren, dass ich diese Chance bekomme. Wenn Charlo Platz macht, kämpfe ich gegen die Nummer 1 der Rangliste um den Titel”, sagte Culcay im Interview mit ntv.de. In dem Fall träfe der Berliner auf Bakhram Murtazaliev aus Russland.

Der Agon-Boxstall, bei dem Culcay unter Vertrag steht, ist zuversichtlich, dass es mit der WM-Chance klappt. Man habe mit der IBF gesprochen und gehe davon aus, den Titelkampf in den kommenden Tagen zu verkünden, sagte Sportdirektor Horst-Peter Strickrodt. Die Aussichten fürs deutsche Boxen waren schon einmal schlechter.

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