Es ist ein wilder Fußball-Sommer. Mit Saudi-Arabien wirft ein neuer Player mit Petro-Dollars nur so um sich. Viele Spieler nehmen die Angebote dankbar an. Jetzt geht in den Vereinen die Angst um: 19 Tage hat die Pro League noch Zeit, die Statik des europäischen Fußballs zu ändern.
Die gelben Anzüge sind schon herausgelegt, die Smartphones aufgeladen, die Powerbanks als Back-up verstaut: Am Freitag ist endlich wieder Deadline Day im europäischen Fußball. Das Transferfenster schließt. Einen Tag nach der Auslosung zur Champions League, wenn die Losfee wieder Schicksal spielt und hektisch die letzten Änderungen vorgenommen werden. Hier noch ein Stürmer, da noch ein Flügelspieler und irgendwer findet plötzlich sogar einen brauchbaren Außenverteidiger. Was für eine Show diese dritte Saisonhälfte des Fußballs doch ist.
Mittendrin dann auch wieder die Transfergurus, die Verkünder der absoluten Wahrheit. “Here we go” und “deal done” heißt es dann erneut. Die Transferjournalistenbrigade wird nicht schlafen, macht sie ohnehin nicht mehr. “Mein Job kennt keine Uhrzeit. Es gibt News, die habe ich um 2:30 Uhr umgesetzt, andere morgens um acht. Wenn man es so macht, wie ich es möchte, muss man omnipräsent und wach sein”, erzählte Transferjournalismus-Shooting-Star Plettenberg neulich bei DWDL.
Plettenberg nennt sich auf X, das vorher Twitter hieß, Plettigoal, arbeitet für Sky und ist immer nah dran. Manchmal verschickt er auch Nachrichten vom Klo aus. Transfers warten auf niemanden. Bis das Fenster endlich schließt. Dann ist Ruhe. “Es gibt nur zwei Monate, in denen Ruhe ist. Das ist der September, also nach dem Deadline Day im Sommer”, berichtete Plettenberg im frühen August, vielleicht übermüdet von den ganzen Nachrichten rund um den Transfer von Harry Kane. Den hatte er, so erweckte es den Anschein, federführend über die Linie gebracht, wie man sagt. Er war der Orchesterleiter des Irrsinns. Er flehte den Kapitän der englischen Auswahl an, endlich zu wechseln und verzweifelte an Daniel Levy, dem hartherzigen Verhandler aufseiten der Tottenham Hotspur.
Transferfenster in Saudi-Arabien schließt am 20. September
Dabei hat Plettenberg ja nicht einmal unrecht. Früher war immer Ruhe. Also nicht nur, weil es Verstärker wie Plettenberg nicht gab. Früher schloss das Fenster und dann war es vorbei mit der Aufregung. Jetzt geht es erst richtig los.
Ab Samstag, dem 2. September, müssen die Kader der Klubs in den großen Ligen des Kontinents und den nicht mehr angeschlossenen Inseln stehen. Doch die Angst geht um. Diesmal ist alles anders. “Bei den Saudis geht die Transferperiode noch weitere drei Wochen und das kann für mächtig Unruhe sorgen”, erzählte der ehemalige Fußball-Manager und heutige Spielerberater Michael Reschke dieser Tage dem “Münchener Merkur”. Da war es wieder: das Königreich, das in diesem verregneten Sommer 2023 die Schlagzeilen im Fußball macht und auf aggressivem Expansionskurs ist. Dort schließt das Transferfenster erst am 20. September. Genug Zeit für das eine oder andere Angebot, das niemand ablehnen kann.
Nicht nur Plettenberg dürfte diese Erkenntnis den Schlaf rauben, sondern auch den Vereinen, die sich neben den üblichen Last-Minute-Transfers plötzlich noch mit etwas beschäftigen müssen, was vielleicht sein könnte. Die Wochen ab dem kommenden Samstag haben das Potenzial, die komplette Saisonplanung eines Vereins über den Haufen zu werfen und für große Erschütterungen in Europa zu sorgen. Aus Titelfavoriten könnten plötzlich Klubs werden, die nur noch um einen Platz in der Champions League spielen und ein Abgang könnte in dieser Saison bereits über Wohl und Wehe in den nächsten Jahren entscheiden.
Denn die neue Champions League ab der Saison 2024/25 verspricht mit ihren 36 Klubs und ihrem neuen Format eine noch besserer Gelddruckmaschine zu werden. Die sollte man nicht verpassen. Sonst könnte es in Zukunft eng werden. Gerade für die Vereine in Deutschland, die in dieser Saison neben Bayern München um den Einzug in die Königsklasse wetteifern werden. Aber auch für die Klubs in Italien und Frankreich, in Spanien und natürlich England.
Und plötzlich ist diese Gefahr da. Plötzlich kann alles passieren. Wenn ein Klub aus Saudi-Arabien 150 Millionen Euro für Joshua Kimmich bieten würde, könnten sich die Bayern kaum wehren. Wenn ein Klub aus der Pro League Leipzigs aufstrebenden Star Dani Olmo will, wird es eng für die Rasenballsportler. Noch aber fliegt die deutsche Liga unterm Radar. Ein Segen für die Kaderplaner.
Vorteil Newcastle United
Auch die Verschwörungstheoretiker kommen dieser Tage auf ihre Kosten. Was ist, werden die sich fragen, eigentlich mit den Abgängen aus der Premier League nach dem 1. September? In England ist mit Newcastle United bekanntlich ein Klub in der Hand des saudischen Staatsfonds PIF, der auch in der Pro League in der Wüste die Fäden bei vier Klubs die Fäden zieht. Seit Juni hält der PIF je 75 Prozent der Anteile an den Top-Klubs Al-Nassr, Al-Hilal, Al-Ittihad oder Al-Ahli.
Das macht die neuen Gerüchte um einen Wechsel von Liverpools ägyptischem Superstar Mo Salah nach Saudi-Arabien umso delikater. Salah ist für die Saudis ein logisches Transferziel. Er ist der größte Star der Maghreb-Region, sein Name strahlt nach innen und nach außen. Er ist prädestiniert für einen Wechsel und doch dürfte ein Transfer für reichlich Ärger sorgen. Die Reds von Trainer Jürgen Klopp duellieren sich in dieser Saison sehr wahrscheinlich mit Newcastle United um einen Platz in der Königsklasse.
Die Premier League wird auch derartige Transfers nicht aufhalten können, so wettbewerbswidrig sie auch erscheinen. Als sie den Verkauf Newcastle Uniteds im Jahr 2021 genehmigten, urteilten sie, dass der PIF und Saudi-Arabien keine Verbindungen haben und sie erhielten sogar noch rechtsverbindlichen Zusicherungen obendrauf: Saudi-Arabien werden keine Kontrolle über Newcastle United erlangen.
Die saudische Transferoffensive kann jeden Klub treffen, nicht nur die englischen. In Spanien moserte Trainer Diego Simeone erst in dieser Woche über die Gerüchte um seinen Spieler Joao Felix. Der Portugiese will Atlético Madrid gerne verlassen, am liebsten zu Barcelona, aber auch Al-Hilal ist interessiert. Sie lauern auf ihre Chance und Simeone ist machtlos. “Wir warten und wissen nicht, ob er bleiben wird oder nicht. Generell besteht immer die Möglichkeit, dass ein Spieler auch nach Ende des Transferfensters noch wechselt, vor allem weil Saudi-Arabien noch zwei Wochen mehr Zeit hat”, erklärte er dieser Tage: “Ich wiederhole es noch einmal: Das ist die größte Gefahr überhaupt!”
Toni Kroos einer von vielen Mahnern
Es ist nicht nur die größte Gefahr für den europäischen Fußball überhaupt, es ist auch eine komplett neue. Eine, die sonst nur die Europäer ausstrahlten. Die bedienten sich in den letzten Jahren immer wieder in Südamerika, auch wenn in den Ligen dort die Saison bereits lief. Jetzt ist Europa in der Defensive. Eine Zeitenwende und “eine Gefahr für den Fußball der Zukunft”, sagte Toni Kroos neulich über die wilden Wechsel in diesem Sommer: “So ein Einschnitt in seine sportliche Karriere, seine Ansprüche nur wegen des Geldes so runterzuschrauben, davon bin ich kein Fan. Das ist ein unfassbar schlechtes Vorbild für ganz viele junge Jugendspieler, dass da Geld die Motivation ist.” Da sprach er über den jungen Gabriel Vega, der mit seinen 21 Jahren nicht zur SSC Neapel, sondern zu Al-Ahli wechselte. Immerhin noch während des europäischen Transfersommers.
Bei all den Unwägbarkeiten der nächsten Wochen: Ein Gewinner steht bereits fest. Plettenberg-Rivale Fabrizio Romano ist ganz nah dran an Saudi-Arabien und plant daher wohl auch keinen Sommerschlaf. Neulich war er auf seinem Lieblingsnetzwerk X schon ganz überwältigt. Dabei ging es einmal nicht um einen neuen 100-Millionen-Wechsel, es ging um Cristiano Ronaldo als Fußballer und wohl auch um Werbung.
Dieser Ronaldo, der “in Saudi-Arabien trifft und Titel gewinnt“, und dessen Frau Georgina Rodriguez waren auf dem Cover der “Vogue” zu sehen. Dort machte sie Werbung für Laverne, eine Parfüm-Marke aus Riad. Die war natürlich ganz ordentlich verlinkt. Der Italiener, dem Fußballfans in diesem Sommer nicht entkommen können, muss beinahe vor Stolz geplatzt sein, seine über 18 Millionen Follower auf der Plattform X, die früher Twitter hieß, so allumfassend informieren zu dürfen. Seinem Konto dürfte es ebenfalls nicht geschadet haben. Vielleicht sogar das Gegenteil davon. Davon aber können sich die Vereine Europas wenig kaufen. Saudi-Arabien hat das Spielfeld komplett verändert. Immerhin Romano hat sich schon angepasst. Die Normalisierung hat längst begonnen. Schauen Sie es nach auf einer Streaming-Plattform Ihrer Wahl.