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Formel 1 kämpft um Ausweg aus der Peinlichkeit

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Beim Großen Preis von Österreich schafft es die Formel 1 nicht, die Einhaltung der eigenen Regeln zu überwachen. Erst weit nach Rennende stehen die letzten Strafen und damit auch das finale Ergebnis fest. Damit sich das nicht wiederholt, werden jetzt drastische Lösungen diskutiert.

Um 16.29 Uhr fährt Max Verstappen als Erster über die Ziellinie, doch erst um 21.45 Uhr steht fest: Der Niederländer hat den Großen Preis von Österreich tatsächlich gewonnen. Mehr als fünf Stunden braucht die Formel 1, um in Spielberg ein endgültiges Ergebnis festzustellen und zu veröffentlichen. Unwürdig für die Rennserie, die sich selbst immer wieder als Königsklasse des Motorsports rühmt.

Mit dem Rennwochenende in Spielberg gibt sich die Formel 1 nicht nur wegen dieser 316-minütigen Wartezeit auf das finale Resultat der Lächerlichkeit preis. Weil der Themenkomplex “track limits” alles andere überlagert.

Symbolisch dafür steht eine Einblendung in der Anfangsphase des Rennens: Nico Hülkenberg sieht die schwarz-weiße Flagge, wird verwarnt, weil er mehrfach grundlos die Streckenbegrenzung überfahren und sich damit potenziell einen Vorteil verschafft hat. Das Problem: Der deutsche Fahrer hat seinen Haas zu diesem Zeitpunkt längst mit Motorschaden abgestellt und ist ausgestiegen. “Obwohl er ausgeschieden ist?”, hinterfragt der Twitter-Account des US-Teams diese Strafandrohung sarkastisch, um dann selbst die Antwort zu geben: “Ich vermute, dass alle vier Reifen neben der Strecke waren, als er ausgeschieden ist.”

Verstappen wird deutlich: “Wir sahen wie Deppen aus”

Offensichtlich kommt die Formel 1 schlicht nicht hinterher, die rasant wachsende Zahl an Verdachtsfällen zu überprüfen, ob ein Pilot genau das getan hat: mit allen vier Reifen die weiße Linie überschritten, die Streckenbegrenzung. In der Vergangenheit war dies je nach Kurs noch in einzelnen Kurven erlaubt, was die Verwirrung nur verstärkte. 2020 wird dann eine Null-Toleranz-Richtlinie eingezogen, die weiße Linie an jeder Stelle jeder Strecke zur absoluten Maßgabe. Wer mit allen vier Reifen außerhalb dieser Linie ist, begeht einen Regelverstoß. In Spielberg werden rund 1200 Verdachtsfälle registriert, das entspricht rechnerisch knapp 17 pro Rennrunde – oder fast einer pro Fahrer pro Runde. Eine Premiere der unrühmlichen Art.

Im Fokus stehen dabei die Kurven 9 und 10, die letzten beiden der kurzen Highspeed-Rennstrecke in der Steiermark. In diesen beiden Rechtskurven lohnt es, sich im absoluten Grenzbereich zu bewegen, um absolute Geschwindigkeit mit auf die Start-Ziel-Gerade zu nehmen. Weil zahlreiche Fahrer die Grenzen überschritten, musste die Rennleitung eingreifen. Schon in Training und Qualifying werden rund 50 Rundenzeiten gestrichen, am härtesten erwischt es Sergio Perez, der deshalb im zweiten Quali-Abschnitt keine einzige gültige Zeit erzielt und von Platz 15 starten muss.

Im Grand Prix gerät das Problem dann völlig außer Kontrolle: Carlos Sainz, Lewis Hamilton, Alexander Albon, Pierre Gasly, Kevin Magnussen und Yuki Tsunoda werden schon während mit Zeitstrafen belegt, nach Rennende auch noch Esteban Ocon, Nyck de Vries und Logan Sargeant – und zusätzliche nachträgliche Zeitstrafen für Hamilton, Gasly, Sainz, Albon und Tsunoda. Als “beispiellose Situation” bezeichnet der Motorsport-Weltverband FIA den Auslöser des Chaos, von den Stewards heißt es schon vorher, dass sie während des Rennens unmöglich alle Vorfälle hätten abarbeiten können. Etwa 100 Rundenzeiten werden für ungültig erklärt. Rennsieger Max Verstappen hatte für all das nach dem Freitagstraining die passenden Worte gefunden: “Wir sahen wie Deppen aus, wie Amateure. Unglaublich!”

Horner und Wolff in seltener Einigkeit

Ein hartes Urteil, aber ein treffendes. Im Qualifying wirbelt die nachträgliche Streichung vermeintlicher Bestzeiten das Tableau konstant durcheinander, im Rennen folgt eine “track limits”-Einblendung auf die andere. Verbunden mit der regelmäßigen Kopfrechenaufgabe, die Zeitstrafen in die aktuellen Abstände einzurechnen. “So geht es gar nicht”, ist anschließend Mercedes-Teamchef Toto Wolff merklich unzufrieden, “wir müssen eine Lösung finden.” Das führt zu einer seltenen Einigkeit Wolffs mit seinem ewigen Rivalen Christian Horner, die Diskussionen der beiden besitzen mitunter Kultcharakter. Diesmal aber bemängelt auch der Red-Bull-Racing-Chef, das Problem lasse die Formel 1 “amateurhaft” aussehen.

Zumal das Problem am ehemaligen Österreichring in Spielberg schon seit Jahren besteht. Wann immer die Formel 1 in der Steiermark gastiert, bricht eine Diskussion um “track limits” los. Die Gründe dafür sind vielschichtig: Der Weltverband FIA etwa führt die Neigung vieler Fahrer an, die schnellstmögliche Linie zu wählen. Ein zugegeben kurioser Vorwurf, schließlich ist das eine grundlegenden Voraussetzungen für den Job im Cockpit.

Allerdings erwähnt die FIA dies in Verbindung mit den Besonderheiten der Strecke – und meint damit die asphaltierten Auslaufzonen in den Kurven 9 und 10. Diese bestrafen ein Überfahren der weißen Linien kaum, vor allem im Gegensatz zu den Alternativen: Rasenflächen und Kiesbetten. “Man spürt Kies und Gras, aber nicht die weiße Linie”, sagt auch Mercedes-Pilot George Russell, der zugleich die simpelste aller Abhilfen in den Raum stellt: “Man muss einfach diszipliniert sein.”

Simpelster Ausweg für Formel 1 wohl nicht praktikabel

Weil dieser Ansatz aber offensichtlich nicht mehrheitsfähig ist, wurden schon in der Vergangenheit drastische Lösungen probiert. Jedoch rebellierten die Rennställe gegen deutlich erhöhte Randsteine, weil diese in ihren Augen unverhältnismäßig oft für Schaden an Frontflügeln, Unterböden und Radaufhängungen sorgten. Exemplarisch dafür steht der Unfall von Daniil Kvyat, der 2016 in der Quali einen solchen Randstein vermeintlich harmlos überfuhr und kurz darauf mit gebrochener Hinterradaufhängung von der Strecke abflog.

Die FIA dringt nun darauf, die Spielberg-Betreiber mögen in den Kurven 9 und 10 die Auslaufzonen mit Kies auffüllen, ehe die Formel 1 zurückkehrt. Der Vertrag mit der Strecke ist gerade bis 2030 verlängert worden, eine nachhaltige Lösung somit im Interesse aller Beteiligten. Allerdings gastiert in Spielberg auch die MotoGP, die eben jenen Asphalt aus Sicherheitsgründen vorzieht. Die FIA räumt deshalb ein, dass die Installation von Kiesbetten “im Vergleich zu anderen Serien, die hier Rennen fahren, zwar keine einfache Lösung ist, sie sich aber bei anderen Kurven und Strecken mit ähnlichen Problemen als sehr effektiv erwiesen hat.”

Dem simpelsten Ausweg steht die 2020 verabschiedete Null-Toleranz-Richtlinie entgegen. Denn grundsätzlich könnte die Formel 1 ja schlicht beschließen, das Überschreiten der “track limits” Linie an bestimmten Stellen straffrei zu machen. Was allerdings ziemlich sicher dazu führen würden, dass eine derartige Nachsicht auch auf anderen Strecken eingefordert wird, wenn die Ideallinie über die Begrenzungen hinausführt. Und natürlich müssen sich auch die Fahrer die Frage gefallen lassen, warum sie als Weltbeste ihres Fachs augenscheinlich nicht in der Lage sind, eine derart einfache Regel zu befolgen. In letzter Konsequenz muss die Änderung vor allem eins: funktionieren. Sonst wartet 2024 die nächste Fahrt in die Lächerlichkeit.

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