Vor einem Jahr schreibt Eintracht Frankfurt deutsche Fußballgeschichte: Das Team um Coach Glasner gewinnt das Endspiel in der Europa League gegen die Glasgow Rangers – und sichert sich damit die erste Champions-League-Teilnahme der Vereinsgeschichte. Ein Jahr später herrscht Tristesse am Main. Oder?
18. Mai 2022. Kurz vor Mitternacht. In Sevilla brennt die Luft. Hunderttausende Fußballfans bevölkern die spanische Stadt. Trinken. Feiern. Fußballschauen. Alles friedlich. Sevilla ist Austragungsort des Europa-League-Finales 2022. Die Gegner heißen Eintracht Frankfurt und Glasgow Rangers. Zwei Fußball-Traditionsvereine. Einen Sieger gibt es nach 90 Minuten nicht, auch nicht nach 120 Minuten. Die Entscheidung fällt im Elfmeterschießen. Die Fans der Eintracht halten den Atem an, als Rafael Borre antritt. Trifft er, können die Frankfurter feiern. Borre läuft an, schießt – und netzt ein. Der Rest ist Geschichte: Die SGE holt ihren zweiten internationalen Titel nach dem UEFA-Cup-Sieg 1980 – und qualifiziert sich für die Champions League. Es ist die erste Teilnahme an der Königsklasse für den Verein.
Nun, ein Jahr später, ist der Jubel verflogen: Nur der erfolgreichsten Hinrunde seit fast 30 Jahren hat es die Eintracht zu verdanken, dass sie nichts mit dem Abstieg zu tun hat. Statt des erneuten Anklopfens an die Königsklasse-Pforten droht eine internationale Saison ohne die SGE. Der vierte Platz in der Tabelle nach der Hinrunde ist zwei Spieltagen vor Schluss einem achten Rang gewichen. Eine zehn Spieltage andauernde Serie ohne Sieg konnten die Frankfurter erst vergangenen Samstag mit einem 3:0-Erfolg gegen den Tabellennachbarn aus Mainz beenden. Es herrscht Tristesse am Main, der ereignisreiche Wochen und Monate vorausgegangen sind und die an die früheren Zeiten der “launischen Diva vom Main” erinnern.
Die launische Diva vom Main
Es gab Knatsch auf der obersten Chefebene zwischen Vorstandssprecher Axel Hellmann und Aufsichtsratschef Philip Holzer. Vereinspräsident Peter Fischer sieht sich plötzlich in eine Kokain-Affäre verwickelt. Sportvorstand Markus Krösche und Coach Glasner kriegen sich immer wieder wegen der Transferpolitik in die Haare. Die Quittung: Glasner muss nach Saisonabschluss und damit ein Jahr vor Vertragsende den Hut nehmen.
Und die Mannschaft? Die underperformt. Verliert auswärts regelmäßig, gewinnt zu Hause nicht mehr. Neben fehlendem Spielglück fällt immer mehr auf, dass Leistungsträger aus der Hinrunde ihrer Bestform hinterherlaufen. Die Gründe liegen auf und neben dem Rasen: Mario Götze beispielsweise wirkt überspielt, was der Teilnahme an der unsäglichen Fußball-Weltmeisterschaft im Winter 2022 in Katar geschuldet sein dürfte. Daichi Kamada tut das auch, will seinen in Frankfurt auslaufenden Vertrag auch nicht verlängern und wird von einem Transfergerücht zum nächsten gescheucht: Atlético Madrid soll ebenso locken wie die halbe Premier League. Bei Benfica Lissabon ist das Interesse schon handfester. Unterschrieben ist bis heute nichts – auch Kamadas eigener Marktwert dank seiner enttäuschenden Rückrunde dramatisch gesunken ist.
Das gleiche Bild bei Evan N’Dicka. Der junge Franzose und die SGE gehen nach fünf Jahren getrennte Wege – so will es N’Dicka. Sollen in der Hinrunde noch der FC Barcelona und auch PSG Interesse am schnellen und kopfballstarken Innenverteidiger gehabt haben, dürfte es nun nach der – auch durch Verletzungen – eher schmeichelhaften Rückrunde “nur” nach Italien gehen. Es werden also kleinere Brötchen gebacken.
Und da ist auch der neue Superstar der Eintracht, um den es eine Menge Unruhe gibt: Randal Kolo-Muani. Der 24 Jahre alte Stürmer war zu Saisonbeginn ablösefrei vom FC Nantes gekommen, fuhr dann mit zur Fußball-WM nach Katar und hatte im Finale gegen Argentinien dann das Siegtor auf dem Fuß. Nicht nur deshalb wird der Franzose aus Paris bei den internationalen Topklubs heiß gehandelt. An dem Topscorer der Bundesliga, der für die Eintracht auch in der Champions League und im Pokal getroffen hat, soll neben Bayern München und Manchester United auch Paris St. Germain interessiert sein. Kolo Muanis Vertrag bei den Frankfurtern läuft noch bis 2027. Mögliche Ablösesummen bewegen sich zwischen 90 Millionen und 120 Millionen Euro. Wo Kolo Muani nächste Saison spielt, ist weiterhin offen.
Mehr Eintracht ist gefordert
Wo Kolo Muani am 3. Juni aufläuft, ist dagegen klar: im Berliner Olympiastadion. Mit der Eintracht wird der pfeilschnelle Goalgetter versuchen, den deutschen Pokal zu gewinnen. Das hätte gleich mehrere positive Effekte: Zum einen wäre die SGE, egal wie sie in der Bundesliga abgeschnitten hat, dann erneut für die Europa League qualifiziert und die Fans wieder “on tour” durch Europa ziehen können. Vorteile bei etwaigen Spielerverpflichtungen dürften auch nicht von der Hand zu weisen sein, wenn man erneut international spielt.
Zum anderen wäre es der zweite Titel unter dem Trainer Glasner binnen zwei Jahren – und so ein beruhigendes Ende einer sehr erfolgreichen Zusammenarbeit mit dem Österreicher. In den Herzen der Fans würde Glasner seinen festen Platz damit zementieren. Inne hat er ihn schon lange, zu frisch sind immer noch die Erinnerungen an den 18. Mai 2022, kurz vor Mitternacht in Sevilla.