Deutschlands Eishockey-Nationalmannschaft kann kaum glauben, was in den ersten Tagen der Weltmeisterschaft passiert. Trotz teilweise herausragender Leistungen gegen die drei großen Favoriten Schweden, Finnland und USA steht das Team noch ohne Punkte da. Dabei hätten es auch schon neun Zähler sein können. Nun könnte ein ganz wichtiger Push aus den USA kommen, denn womöglich reist Superstar Leon Draisaitl nach Finnland nach.
Wie ist die Stimmung im Team?
Ach, nett, dass Sie fragen. So lala, trifft es wohl am besten. Und niemand kann es besser auf den Punkt bringen als Top-Verteidiger Moritz Seider. “Wir haben wirklich den geilsten Auftakt seit langem gespielt. Wir haben gegen unglaublich gute Mannschaften dominiert, besser gespielt und jetzt stehst du mit null Punkten da. Das tut ziemlich weh”, stöhnte er bei MagentaSport. Aus den Schmerzen zieht der NHL-Star indes auch neue Motivation. “Jetzt geht es einfach darum, weiter geiles Eishockey zu spielen. Den Rückenwind mitzunehmen, dass wir gegen absoluten Top-Spiel der Welt mithalten können und auch dominieren können.”
Ist die Mannschaft wirklich so gut, wie sie selbst sagt?
Ja, findet MagentaSport-Experte Kai Hospelt – allerdings mit Einschränkungen (siehe unten). “Ich bin ich positiv angetan von der Mannschaft. Sie haben super gespielt, zwischen null und neun Punkten war alles möglich”, sagt er ntv.de. “Die Mannschaft wirkt sehr homogen auf mich, alle Spieler füllen ihre Rollen perfekt aus. Die vierte Reihe etwa mit Wojciech Stachowiak, mit Justin Schütz und Parker Tuomie, die macht einen super Job, die haben auch die Geschwindigkeit, um auf diesem hohen Niveau zu bestehen. Das sind alles insgesamt wirklich gut aus.”
12. Mai, ab 18.30 Uhr: Schweden-Deutschland (1:0)
13. Mai, ab 18.30 Uhr: Deutschland-Finnland (3:4)
15. Mai, ab 14.30 Uhr: Deutschland-USA (2:3)
18. Mai, ab 18.30 Uhr: Dänemark-Deutschland
19. Mai, ab 18.30 Uhr: Österreich-Deutschland
21. Mai, ab 14.30 Uhr: Deutschland-Ungarn
23. Mai, ab 10.30 Uhr: Deutschland-Frankreich
25. Mai, ab 14.30 Uhr: Konferenz und Einzelspiele Viertelfinale
27. Mai: Halbfinalspiele
28. Mai: Spiel um Platz drei und Finale
Aber warum hat Deutschland dann noch keinen Punkt?
Tja, die Chancenverwertung bleibt das leidige Thema. Auch gegen die USA blieben besten Chancen ungenutzt – aus dem Positionsspiel heraus, in Überzahl oder im Konter. Es ist fast schon ein chronisches Leiden, über dem immer noch der zermürbende Schatten der Torjäger-Debatte lauert. In Daniel Schmölz, Dominik Bokk und Maximilian Kammerer verzichtete Kreis freiwillig auf drei der vier besten deutschen Torjäger der abgelaufenen DEL-Saison. “Ja, die Chancenverwertung bleibt ein Thema, aber was mich zuversichtlich stimmt, die Mannschaft erspielt sich richtig gute Gelegenheiten gegen die Top-Nationen”, sagt Hospelt. Wie Kreis wünscht sich der ehemalige Nationalspieler mehr Verkehr vor dem gegnerischen Goalie. “Du musst ihm die Sicht nehmen, auf diesem Niveau musst es den Torhütern einfach schwerer machen.”
Deutschland will ins Viertelfinale, dafür muss nun jedes Spiel gewonnen werden. Klappt das?
Nun, sicher vorhersagen kann das natürlich niemand. Die Lage ist ebenso machbar, wie brenzlig. Denn wie gesagt, eine weitere Niederlage darf sich die Mannschaft nicht leisten. Mit Dänemark, Österreich, Ungarn und Frankreich warten jetzt aber Teams auf Deutschland, die entweder auf Augenhöhe agieren (Stand vor dem Turnier) oder gegen die man klarer Favorit ist. Und genau hier sieht Hospelt die große Gefahr: “Die Jungs dürfen sich jetzt nicht entspannen und denken: Wenn wir so weiterspielen, dann gewinnen wir alles.” Ganz egal, ob mit Dominanz oder mal einem Zittersieg. In jedem Spiel braucht es das Maximum an Einstellung und Leidenschaft. Wenn das gelingt, macht sich unser Experte “keine Sorgen.”
Ist dieses Verständnis in der Mannschaft bereits angekommen?
Aber ja! “Jetzt dürfen wir nur nicht den Faden verlieren”, warnte Seider. “Man hat vielleicht mal einen schlechten Tag, verliert gegen einen Gegner, gegen den man eigentlich gewinnen muss, denn dann sieht es auf einmal ganz dünn aus.” Was Hoffnung macht: Deutschland spielt gut organisiert und kompakt. Die Defensive um den starken Seider und die AHL-Verteidiger Kai Wissmann und Leon Gawanke steht sicher und ist wichtig für den Spielaufbau. Torhüter Mathias Niederberger ist ein sicherer Rückhalt und womöglich kommt mit Top-Goalie Philpp Grubauer noch eine weitere Verstärkung aus der NHL. Der Rosenheimer scheiterte mit seinen Seattle Kraken in einer äußerst spannenden Playoff-Serie an den Dallas Stars.
Torwart: Maximilian Franzreb (Fischtown Penguins), Mathias Niederberger (Red Bull München), Dustin Strahlmeier (Grizzlys Wolfsburg)
Verteidiger: Leon Gawanke (Manitoba Moose), Leon Hüttl (ERC Ingolstadt), Jonas Müller (Eisbären Berlin), Moritz Müller (Kölner Haie), Moritz Seider (Detroit Red Wings), Maksymilian Szuber (Red Bull München), Fabio Wagner (ERC Ingolstadt), Kai Wissmann (Providence Bruins)
Angreifer: Alexander Ehl (Düsseldorfer EG), Daniel Fischbuch (Düsseldorfer EG), Dominik Kahun (SC Bern), Maximilian Kastner (Red Bull München), Marcel Noebels (Eisbären Berlin), John-Jason Peterka (Buffalo Sabres), Justin Schütz (Red Bull München), Samuel Soramies (Augsburg Panther), Wojciech Stachowiak (ERC Ingolstadt), Nico Sturm (San Jose Sharks), Frederik Tiffels (Red Bull München), Parker Tuomie (Straubing Tigers), Filip Varejcka (Red Bull München), Manuel Wiederer (Eisbären Berlin)
Bundestrainer: Harold Kreis
Apropos Verstärkung: Womöglich kommt ja auch noch Leon Draisaitl. Wäre der NHL-Superstar der deutsche “Gamechanger” in diesem Turnier?
Was wäre die Freude groß, wenn der Superstar aus der NHL kommen würde. Sportlich und emotional würde er der Mannschaft einen “unglaublichen Push” verleihen, sagt Hospelt. “Leon gehört zu den drei besten Spielern der Welt. Das würde allein schon den Respekt der anderen Mannschaften vor Deutschland nochmal deutlich erhöhen.” Der nach dem abermaligen vorzeitigen Playoff-Aus mit seinen Edomton Oliers frustrierte Draisaitl könnte im Optimalfall wenige Stunden vor dem Dänemark-Spiel in Finnland landen.
Die Vergangenheit hat oft bewiesen, dass Mannschaften mit einem Superstar schnell in eine Abhängigkeit geraten. Dirk Nowitzki und die deutschen Basketballer haben das erlebt, Draisaitl auch schon, eine Gefahr?
Nein, findet unser Experte. “Die deutsche Mannschaft ist als Team so gefestigt, dass sie nicht abhängig sind von unglaublichen Leistungen von Leon und massiv viel Eiszeit.” Es würde vermutlich reichen, wenn er einfach nur gut und nicht außergewöhnlich agieren würde. Was ja schon eine immense Erwartungshaltung ist, “denn er hat die Latte in den vergangenen Jahren mit seinen Leistungen immer höher gelegt”, erklärt Hospelt.
Wie groß ist die Chance, dass Draisaitl kommt?
Immerhin, Zeit hätte er. Mit seinen Edmonton Oilers ist er in den NHL-Playoffs ausgeschieden. DEB-Sportdirektor Christian Künast ließ am Rande des Spiels gegen die USA offen, ob es bereits eine Kontaktaufnahme gegeben habe. “Wenn es was zu vermelden gibt, werden wir es vermelden. Es sind sehr viele Dinge zu erledigen. Wir sind sehr akribisch im Hintergrund. Wir sind auf alles vorbereitet.” An Begeisterung für die Nationalmannschaft würde es dem Superstar jedenfalls nicht mangeln, weiß Hospelt. “Leon ist eishockeyverrückt, er spielt gerne für Deutschland. Aber er hat in den vergangenen Jahren unfassbar viel Eiszeit für die Oilers abgerissen und wurde in den Playoffs gegen Vegas brutal gefoult.” Man könne es Draisaitl nicht verdenken, wenn er nicht zur WM käme und stattdessen seinen Körper ausruhe.
Auf wen oder was kommt es jetzt noch an?
Interessant wird, ob das Team in den kommenden Spielen eine andere Herangehensweise schafft. Anders als gegen die Top-Nationen wird Deutschland das Spiel nun selbst gestalten müssen. Von Spielern wie Marcel Noebels von den Eisbären Berlin kommt noch zu wenig. Auch die Münchner Meisterspieler Frederik Tiffels und Maximilian Kastner müssen sich offensiv steigern. Stanley-Cup-Sieger Nico Sturm von den San Jose Sharks befindet zudem: “Ich glaube, die dritten Drittel waren immer unsere schwächsten. Da sind wir irgendwie von unserem Gameplan weggekommen.” Tatsächlich wurde es oft wild und unstrukturiert hinten raus.