Selten startete ein deutscher Spieler bei der Darts-WM besser: Gabriel Clemens feiert am siebten Turniertag einen beeindruckenden Auftaktsieg. Das Turniertableau gibt Anlass für Optimismus, denn den formstärksten Spielern geht der “German Giant” zunächst aus dem Weg.
Am Ende des Spiels sind die deutschen Fans im Londoner Alexandra Palace lautstark zu hören. “Oh wie ist das schön” singen die Anhänger von Gabriel Clemens im Sehnsuchtsort für Darts-Enthusiasten. Der “German Giant” hat sich die Gesänge an diesem Mittwochabend redlich verdient. Überraschend klar mit 3:0 in den Sätzen gewinnt Clemens sein erstes Spiel bei der Darts-WM 2023 gegen den Iren William O’Connor.
Im Vorfeld war ein ausgeglichenes Spiel erwartet worden, allenfalls mit leichten Vorteilen für Clemens. Und obwohl die Partie am Ende klar an den Deutschen geht, gibt der Spielverlauf den Experten dennoch recht. Clemens und O’Connor bieten den knapp über 3.000 Zuschauer im “Ally Pally” zwei Sätze lang Weltklasse-Darts. O’Connor, der in der ersten Runde die 18-jährige Beau Greaves besiegt hatte, darf im ersten Satz zunächst vorlegen.
Als der Ire Durchgang eins mit 2:1 anführt, vergibt er seinen ersten Dart zum Satzgewinn. Clemens nutzt die Chance, gleicht aus. Im Entscheidungs-Leg ist es erneut O’Connor, der als erster auf Doppel werfen darf. Doch der 36-Jährige verfehlt, sogar gleich zweimal. Clemens trifft die Doppel 18 dagegen im ersten Versuch zum Satzgewinn.
Satz zwei wird ebenfalls erst im “Decider” entschieden. Und Clemens spielt im entscheidenden Moment überragend. Der “German Giant” spielt die 501 Punkte in 12 Darts auf null. O’Connor, der anfangs sogar etwas besser unterwegs war als Clemens, ist von nun an chancenlos. Der dritte Satz geht glatt mit 3:0 an den Deutschen.
Nach Weihnachten gegen James Wade?
“Ich bin absolut glücklich mit dem, was ich heute gespielt habe. Jetzt kann Weihnachten kommen”, sagte Clemens nach seinem überzeugenden Erfolg bei Sport1. Zum ersten Mal seit 2019 kann Clemens Heiligabend in diesem Jahr im Kreise seiner Familie verbringen. In den beiden vergangenen Jahren ließen die Corona-Einschränkungen einen Trip nach Deutschland über die Feiertage nicht zu. “Am ersten oder spätestens am zweiten Weihnachtstag werde ich nach London zurückreisen”, kündigte Clemens am Abend an.
Für den Weltranglisten-25. geht es direkt nach der Weihnachtspause im “Ally Pally” weiter. Am Abend des 27. Dezember trifft Clemens entweder auf den Engländer James Wade oder den Waliser Jim Williams. Die beiden ermitteln den Clemens-Gegner am heutigen Donnerstagabend. Wade ist zwar auf Platz acht in der Weltrangliste notiert, blickt aber auf ein äußert kompliziertes Jahr inklusive eines Krankenhausaufenthalts zurück.
Clemens darf sich also berechtigte Hoffnungen auf den Einzug ins Achtelfinale machen, wenn er seine Leistung aus dem Auftaktspiel wiederholen kann. In die Runde der letzten 16 hatte es der Saarländer bereits vor zwei Jahren geschafft. Damals bezwang Clemens sensationell den damaligen und aktuellen Titelverteidiger Peter Wright. Nie war ein Deutscher bei der Darts-WM besser. Seine Fans träumen von noch mehr. Sie spekulieren auf ein Achtelfinale gegen den Niederländer Danny Noppert. Der Weltranglisten-Neunte hat in diesem Jahr zwar erstmals ein großes TV-Turnier gewonnen, ist aber noch nicht so gefestigt, als dass Clemens klarer Außenseiter wäre. Bei optimalem Verlauf ist für den “German Giant” also vielleicht sogar das Viertelfinale drin. Nach dem Top-Start in die WM ist Träumen für die Fans des 39-Jährigen erlaubt.
Topfavorit hat keine Probleme
Was für Darts-Deutschland ein historisches Ergebnis bedeuten würde, wäre unterdessen für Michael van Gerwen eine herbe Enttäuschung. Vor allem nach diesem beeindruckenden Turnierauftakt des niederländischen Spitzenspielers. Der Weltmeister von 2014, 2017 und 2019 untermauert am Mittwochabend direkt nach dem Clemens-Match seine Favoritenstellung. Die aktuelle Nummer drei der Welt lässt seinem Gegner Lewy Williams keine Chance. “MvG” gibt nur ein einziges Leg ab, Williams darf überhaupt nur fünf Mal auf Doppel werfen. Pro Aufnahme ist van Gerwen im Schnitt 20 Punkte besser als sein walisischer Gegner.
Gut gebrüllt: Darts-Superstar Michael van Gerwen
(Foto: PDC)
“Ich musste hart dafür arbeiten, eine Leistung wie diese kommt nicht von ungefähr. Es war nicht perfekt, aber ich denke, ich habe ganz gut gespielt”, so van Gerwen nach seinem lockeren Sieg. Im Vorjahr hatte der Niederländer das Turnier wegen eines positiven Corona-Tests schon nach der zweiten Runde verlassen müssen. “Es macht mir viel Freude, wieder auf dieser Bühne zu stehen, der ‘Ally Pally’ hat einen besonderen Platz in meinem Herzen. So einen tollen Empfang vom Publikum zu bekommen, bedeutet mir sehr viel.”
Der Konkurrenz um Titelverteidiger Peter Wright, dem Weltranglisten-Ersten Gerwyn Price oder Vorjahres-Vizeweltmeister Michael Smith, gibt Michael van Gerwen an diesem Abend noch eine Warnung mit auf den Weg. “Alle fürchten sich vor mir. Ich müsste nicht mal gut spielen, sie hätten trotzdem Angst vor mir. Ich muss das eigentlich gar nicht mehr erzählen. Jeder weiß, wozu ich fähig bin.”
Eine Aussage, die typisch für den selbstbewussten Niederländer ist. “MvG” versucht häufig, mit derartigen Aussagen für Reibung zu sorgen. Auch wenn er sich damit zusätzlichen Druck aufbürdet, Understatement ist nicht die Sache von Michael van Gerwen. “Alles außer der WM-Titel wäre ein Desaster für mich.”
“Wunderkind” souverän in Runde drei
Überraschend forsch geht auch WM-Debütant Josh Rock das Turnier an. Das “Darts-Wunderkind” aus Nordirland ist erst seit einem Jahr auf der Profitour aktiv, hat aber bereits beachtliche Erfolge eingefahren. Bei der WM steht “Rocky” nun auch bereits in Runde drei. Am Mittwochnachmittag setzt sich der 21-Jährige glatt mit 3:0 gegen Callan Rydz durch, der im Vorjahr noch das Viertelfinale erreicht hatte. Zufrieden ist Rock nach dem souveränen Erfolg trotzdem nicht. “Ich freue mich über den Sieg, aber bin trotzdem enttäuscht, dass ich noch nicht mein bestes Spiel gezeigt habe.”
Am heutigen achten Turniertag steigen weitere Mitfavoriten ins Turnier ein. Ex-Weltmeister Gary Anderson trifft in der ersten Partie des Abends auf den Letten Madars Razma. In den vergangenen beiden Jahren war die Weltmeisterschaft das einzige Turnier im Jahr, in dem die schottische Darts-Legende gute Leistungen zeigen konnte. 2021 zog Anderson ins Finale ein, Anfang dieses Jahres ins Halbfinale. Ob es diesmal erneut so weit geht, ist aber mehr als fraglich. Mit dem Einzug in Runde drei sollte es aber zunächst einmal klappen.
Als klarer Favorit geht auch Luke Humphries heute Abend gegen den Deutschen Florian Hempel ins Spiel. Humphries ist die Nummer fünf der Welt, Hempel steht auf Platz 60. Der Wahl-Kölner hat aber gute Erfahrungen mit dem “Ally Pally” gemacht. Bei seinem Debüt im Vorjahr bezwang er in Runde zwei den belgischen Topspieler Dimitri Van den Bergh. Der war damals ebenfalls an Position fünf gesetzt.