Diese Situation hat es an einem 23. Spieltag in der Bundesliga so noch nie gegeben. Vier Vereine stehen punktgleich am Tabellenende. Und dann gesellt sich auch noch die strauchelnde “alte Dame” aus Berlin dazu. Für Spannung und Dramatik ist bei dieser seltsamen Konstellation tüchtig gesorgt!
“Hallo, hier ist Nürnberg, wir melden uns vom Abgrund!” Es ist dieser Ausruf des Rundfunkreporters Günther Koch vom 34. Spieltag der Saison 1998/99, der in die Annalen der Bundesliga eingegangen ist. Damals kämpften fünf Teams im absoluten Finish der Saison um die Rettung. Denn von Eintracht Frankfurt (34 Punkte) an, konnte es mit Hansa Rostock (35 Punkte), dem SC Freiburg (36 Punkte), dem VfB Stuttgart (36 Punkte) und dem 1. FC Nürnberg (37 Punkte) noch jeden treffen – auch wenn sich der Club aus dem Frankenland, bei dem an diesem Tag Günther Koch vor Ort am Mikrofon saß, aufgrund des Torverhältnisses schon in einer – wie man später wusste – falschen Sicherheit wog.
Damals waren Borussia Mönchengladbach und der VfL Bochum vor dem letzten Spieltag bereits abgestiegen, doch anders als heute führte der 16. Tabellenplatz direkt in die Zweite Liga. Es traf schließlich völlig überraschend den 1. FC Nürnberg – den Klub mit der besten Ausgangslage.
Überraschend ist auch die momentane Situation am Tabellenende der ersten Fußball-Bundesliga. Erstmals in der Liga-Geschichte stehen nach dem 23. Spieltag vier Mannschaften punktgleich am Ende der Tabelle. Das neue Schlusslicht VfL Bochum, der Vorletzte FC Schalke 04, die TSG Hoffenheim als 16. und der VfB Stuttgart auf Platz 15 haben jeweils 19 Zähler auf dem Konto.
Quintett mit gleichen Sorgen und verschiedener Laune
Nur die Tordifferenz unterscheidet zu diesem Zeitpunkt der Saison die vier Teams. Und dazu gesellt sich mit dem Hauptstadtklub Hertha BSC, der nur einen Punkt mehr aufweist als die vier Mannschaften am Tabellenende, noch ein Verein in akuter Abstiegsnot. Das Besondere an dieser seltsamen Konstellation rund um das trübe Licht der roten Laterne: Alle fünf Klubs haben eine ganz spezielle Geschichte zu erzählen, die sie in diese unrühmliche und äußerst delikate Lage gebracht hat.
Fangen wir an mit dem Schlusslicht der Liga, dem VfL Bochum. Der Verein war quasi nach dem sechsten Spieltag und der sechsten Niederlage in Folge bereits so gut wie abgestiegen. Doch dann wurde Thomas Reis nach der 1:3-Schlappe auf Schalke entlassen und der VfL startete mit einem 1:1 zu Hause gegen den 1. FC Köln unter Interimstrainer Heiko Butscher und danach unter dem neuen Chefcoach Thomas Letsch eine imponierende Aufholjagd. Unter anderem schafften es die Bochumer einen alten Rekord aus den 70er-Jahren einzustellen, als sie fünf Mal nacheinander zu Hause im altehrwürdigen Ruhrstadion gewannen.
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Man wähnte sich beim VfL bereits auf einem guten Weg, doch zuletzt hagelte es vier Niederlagen in Folge ohne einen eigenen Torerfolg. Die Stimmung ist in Bochum spätestens nach dem Wochenende und der verheerenden Heimpleite, ausgerechnet gegen Reis’ Schalker, desolat. Denn im Verein, der noch vor rund einem Jahr so prächtig dastand, schwelt seit dem nie ganz geklärten Ausscheiden von Sportdirektor Sebastian Schindzielorz (mittlerweile VfL Wolfsburg) und den kuriosen Vorgängen in der Sommerpause um Ex-Trainer Reis ein Konflikt, der durch fortdauerndes Schweigen seitens aller Beteiligten nicht aus der Welt geschaffen werden wird.
Schalke auf der Überholspur
Und genau dieser Konflikt, den der neue Schalke-Coach Thomas Reis dem VfL hinterlassen hat, stärkt momentan die Position der Königsblauen in direkter Konkurrenz zum Reviernachbarn. Denn was Thomas Reis in den letzten Wochen aus der Mannschaft des S04 herausgeholt hat und wie er ein Team geformt hat, das kompakt aus einer sattelfesten Abwehr leidenschaftlich für den Verein kämpft, imponiert der Liga. In dieser Verfassung ist der FC Schalke 04 im Augenblick der Klub, der am besten für den nervenaufreibenden Abstiegskampf gerüstet ist.
Eigentlich und gefühlt schon fast abgestiegen können die Königsblauen mittlerweile befreit aufspielen. Sollten nicht größere Verletzungssorgen für neue Probleme sorgen, wird es für die anderen vier Vereine im Tabellenkeller schwer, den S04 in seinem Zwischenspurt aufzuhalten. Denn eines überrascht an diesem seltsamen Abstiegskampf zudem: Die Mannschaften ab Platz 14 bewegen sich, bis auf den FC Schalke 04, in einem Schneckenrennen seit Wochen kaum vom Fleck weg.
Und genau das wird langsam für die TSG Hoffenheim zu einem echten Problem. Denn die Kraichgauer reiben sich immer noch verwundert die Augen, wie sie in diese delikate Lage überhaupt geraten konnten. Woche für Woche geben sie zumeist alles, doch punktemäßig macht sich das auf dem Tabellenkonto nicht bemerkbar. Eine ungewohnte Situation für die TSG Hoffenheim. Als es in der Spielzeit 2012/13 schon einmal überraschend für die Kraichgauer nach unten ging, endete die Saison mit der Relegation. Damals konnte sich Hoffenheim in zwei Partien gegen den 1. FC Kaiserslautern am Ende durchsetzen. Momentan steht die TSG auch wieder genau auf diesem Platz.
In Stuttgart hatten sich die Fans viel vom bekannten “Retter” Bruno Labbadia versprochen, doch auch unter dem alten, erfahrenen Bundesliga-Trainer punkten die Stuttgarter einfach zu wenig. Mittlerweile ist auch beim VfB die Stimmung wieder eher destruktiv – und das, obwohl man schon vor der Saison damit rechnen musste, wieder eine nervenzehrende Spielzeit wie vor einem Jahr zu erleben.
… und das macht es so reizvoll!
Doch natürlich hatten die Anhänger wie die Führung des Klubs zwischenzeitlich die Hoffnung, endlich mal wieder eine Saison im gesicherten Mittelfeld der Liga erleben zu dürfen. Die Realität sieht nun anders aus. Man darf gespannt sein, ob es dem VfB noch gelingt, ähnlich wie Schalke momentan oder der VfL Bochum vor einigen Monaten, eine Serie zu starten und somit für die nötigen Punkte zu sorgen, um dem Schicksal Abstieg wieder einmal erfolgreich zu entgehen.
Auch in Berlin hatten sie nach der letztjährigen Relegation gegen den Hamburger SV gehofft, endlich mal wieder unter dem neuen Präsidenten Kay Bernstein in ein ruhigeres Fahrwasser zu kommen. Doch die “Entrümplungsaktion” bei der Hertha nach hollywoodreifen Jahren dauert augenscheinlich immer noch an. Ein Vorteil für die Berliner könnte aber tatsächlich, ähnlich wie beim VfB, die Erfahrung des Abstiegskampfs in der vergangenen Spielzeit sein. Klub und Mannschaft sollten mit dem besonderen Druck umzugehen wissen. Denn überraschend sollten die sportlichen Ereignisse für den Verein in dieser Saison wenigstens nicht gekommen sein.
Doch egal, wie sich die Lage in den nächsten Wochen für die fünf Klubs am Tabellenende auch entwickeln mag, am Ende gilt es für alle Vereine den letzten Schritt am Abgrund zu verhindern. Wem dies gelingen wird? Das weiß bei diesem seltsamsten Abstiegskampf aller Zeiten noch niemand. Doch genau das macht es ja so reizvoll!