Die Telekom Baskets Bonn bannen den Fluch und holen den ersten Titel ihrer Vereinsgeschichte. Im Finale gegen Hapoel Jerusalem trumpft einmal mehr TJ Shorts auf. Der Aufbauspieler ist Protagonist des Märchens. Und das soll noch lange nicht zu Ende sein.
Ventspils, Hamburg, Crailsheim, Bonn. Das klingt auf den ersten Blick nicht nach einer Sensations-Karriere. Und doch schreibt TJ Shorts zusammen mit seinen Baskets Bonn in Deutschland gerade ein großes Stück Basketball-Geschichte. Der kleine Point Guard ist am Sonntagabend mit dem Triumph in der Champions League auf dem vorläufigen Höhepunkt seiner Karriere angekommen.
TJ Shorts hat mit seinen 25 Jahre schon viel gesehen – die ganz großen Basketball-Standorte und Erfolge aber blieben bislang aus. Doch mit dem Team aus dem Bonner Stadtteil Hardtberg gelingt dem Amerikaner nun ein historischer Erfolg, der ihn in Bonn unsterblich macht und Begehrlichkeiten weckt. Beim Final Four der FIBA Champions League (nach der Euroleague der zweitwichtigste europäische Wettbewerb) in Málaga schlägt der Bundesligist erst die Gastgeber knapp 69:67, dann in einem aufregenden Finale auch Hapoel Jerusalem 77:70. Nach acht verlorenen Endspielen ist es der erste Sieg auf großer Bühne in der 28-jährigen Klub-Geschichte.
Gruß und Dank an Mama
Im Moment des größten Erfolgs zeigte Shorts vor allem eines: Bescheidenheit und Größe. Der gläubige Christ dankte Gott, seinem Trainer und natürlich dachte er an diesem Muttertag auch an seine Mama. “Daran werde ich mich für den Rest meines Lebens erinnern”, sagte der 25-Jährige, Coach Tuomas Iisalo habe “im August den Standard gesetzt”. Dabei hätte er allen Grund, sich zuvörderst selbst abzufeiern.
Das Finale in Málaga ist ein Abriss davon, was das Energiebündel abrufen kann. Der Linkshänder erzielt mit einem wilden Drive die ersten Punkte und diktiert fortan das Spielgeschehen. Er zieht zum Korb, ist mit Layups, Mitteldistanz- und Dreipunktwürfen erfolgreich, Shorts kreiert für seine Mitspieler, da sich die Defensive auf ihn stürzt. Kurzum: Er übernimmt Verantwortung im wichtigsten Spiel seiner Karriere und der Vereinsgeschichte. Auf dem Freiplatz würde man sagen: Er ist ein gnadenloser Zocker. Einer, der sich nicht davon abbringen lässt, nach einem geblockten Wurf, direkt den nächsten zu nehmen. Weil er das Selbstvertrauen hat, den nächsten Korb mit an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit zu treffen. All das bei einer, damit tritt man ihm als Basketballer nicht zu nahe, kleinen Körpergröße von gerade einmal 1,75 Metern und einem Kampfgewicht über 73 Kilogramm. Die fehlende Körperlänge macht der wie ein Flummi wirkende Shorts mit anderen Attributen wett. Athletik, Schnelligkeit, Antritt, Übersicht und Antizipation. Die Energiebombe Shorts.
Tränenüberströmt sackt er mit dem Ball zu Boden
Auch in der zweiten Halbzeit, vor allem im vierten Viertel, als es plötzlich eng wird, übernimmt TJ Shorts das Spiel. Wie eine Urgewalt reißt er Spiel und damit auch den ersten Titel an sich. Hapoel kommt auf zwei Zähler ran, da macht Shorts sieben ganz wichtige Punkte in Folge. Mit dieser Mini-Serie legt er den Grundstein für den Final-Triumph. Am Ende trifft er noch mehrmals von der Freiwurflinie und setzt mit 29 Punkten den Endpunkt.
Dann brachen bei ihm alle Dämme. Tränenüberströmt sackt er mit dem Ball zu Boden, umarmte innig seinen ebenfalls hemmungslosen weinenden Trainer Tuomas Iisalo. Die beiden sind nicht die einzigen, aber die wichtigsten Köpfe der Bonner Erfolgsgeschichte. Coach Iisalo übernahm vor zwei Jahren das Team, das damals im hinteren Mittelfeld der Basketball-Bundesliga (BBL) festgefahren war. Mit dem neuen Coach kam der Aufschwung. Im vergangenen Jahr war die Reise für das Team des finnischen Trainers erst im 5. Spiel gegen den FC Bayern im Playoff-Halbfinale beendet. Es war nur ein Vorgeschmack, was noch kommen sollte.
MVP-Triple für den Serientäter
Denn 2022/23 ist bislang das Jahr der Bonner. Noch immer ist das Team mit seiner Offensiv-Power in der heimischen Halle ungeschlagen. Der Klub pflügt durch die Liga, zerschmetterte die Hauptrunden-Hoffnungen von Alba mit einem Sieg im Giganten-Duell Ende April. Als bestplatziertes Team schreitet Bonn mit einer extrem breiten Brust in die Playoffs. Angeführt von Tausendsassa Shorts, der im Schnitt auf 18,3 Punkte und 7,6 Assists kommt und für diese Leistungen zum Liga-MVP gewählt wurde. Diese Ehre erhielt er auch für die abgelaufene Champions-League-Spielzeit, in der er 19,5 Punkte und 6,8 Assists erzielte. Der Finalauftritt brachte dem Serientäter das MVP-Triple ein.
Shorts Karriere begann weit weg von Málaga oder Bonn. An den kalifornischen Colleges Saddleback und University of California, Davis begann er seine Basketball-Laufbahn. Als erstes Familienmitglied machte er einem Uni-Abschluss – in Kommunikationswissenschaften. Für den ganz großen Sprung in die NBA reichte es nicht. Immer wieder hafteten Zweifel an Shorts, vor allem wegen der Größe. Aus Trotz entschied er sich für die Rückennummer 0. Der künstliche Blondschopf zog zu Ventspils nach Lettland, spielte dort erstmals europäisch, dann folgte der Sprung nach Deutschland. Erst Hamburg, dann Crailsheim, wo ihm der Durchbruch gelang und das Angriffs-Monster mit den schnellen Händen (1,2 Steals pro Partie in dieser Saison) zum besten Offensivspieler ausgezeichnet wurde. Bonn wurde hellhörig, schnappte sich den Aufbaumann. Nach einer Brustmuskelverletzung zu Ende der Saison ackerte Shorts stundenlang an der Ballmaschine für sein Comeback. In Bonn ist er der perfekte Katalysator. Das eine Stück, das die ein Team von einer Spitzenmannschaft zum Meisterkandidat machte. Dabei dominiert in der ehemaligen Bundeshauptstadt der Teamgedanke.
Bestes Kollektiv im europäischen Basketball?
“Ich denke nicht, dass es ein besseres Kollektiv im europäischen Basketball gibt”, sagte Coach Iisalo nach dem Titelgewinn in Málaga. “Ich freue mich schon jetzt darauf, wenn wir uns in 20 Jahren wiedersehen und uns auf den Bahamas betrinken.” Neben Iisalo und Shorts gehören zum zukünftigen “Team Bahamas” Leistungsträger wie Center und Reboundmaschine Leon Kratzer, Scharfschütze Sebastian Herrera, Allrounder-Forward Tyson Ward, Routinier Karsten Tadda und Comebacker Jeremy Morgan. Die Fäden der Bonn-Show aber hält Shorts in seinen Händen.
Deshalb werden alle Augen auf den Liga-MVP schauen, wenn es nun auch in der Liga in die heiße Phase geht. Zeit zum Feiern nach dem CL-Titel bleibt für die Champions eigentlich gar nicht. Schon am Montag ging es per Flieger zurück, am Dienstag wird trainiert und am Mittwoch steigt dann zuhause das erste Spiel gegen Chemnitz im Viertelfinale der Playoffs. Bonn gilt seit langer Zeit mal wieder als Top-Favorit für die BBL-Krone, nur Alba und der FC Bayern können dem Team wohl gefährlich werden. Egal wie die Playoffs enden, eines haben sie in Bonn schon mal zurechtgerückt.: Der unrühmlichen Stempel als “ewiger Zweite” ist Geschichte. Die Baskets, quasi als das “Vizekusen” des Basketballs verschrien, haben diese Phrase mit dem europäischen Märchen im Final Four zerfetzt. Bonn ist jetzt als Champions-League-Sieger offiziell eine Siegerstadt.
Bleibt Shorts bei den Baskets?
Bei all der Euphorie und Zeitstress bleiben aktuell wenige Gedanken über die ungewisse Zukunft. Der Vertrag von Shorts läuft nach der Saison aus, seine Auftritte locken naturgemäß finanzkräftige Klubs an. Es dürfte schwerfallen, den Guard zu halten. Halb Europa jagt Shorts. Genauso begehrt ist Coach Iisalo, der mit den Bayern und Paris in Verbindung gebracht wurde. Auch wie es mittelfristig mit dem Basketballstandort Bonn weitergeht, steht noch in den Sternen. Hauptsponsor Telekom gab schon 21/22 bekannt, sich als Namenssponsor zurückzuziehen, die Partnerschaft läuft noch bis mindestens 2024. Schon jetzt kann Bonn mit seinem Etat nicht mit den Platzhirschen Alba oder München mithalten. Doch all das ist in diesen Gänsehaut-Momenten seit Sonntag erst einmal egal. Denn noch zaubert das Energiebündel in Bonn. Und noch ist der Weg ja gar nicht vorbei. “Der Marathon geht weiter”, sagte Shorts mit Blick auf die BBL-Playoffs. “ich laufe weiter dieses Rennen.”
An der Einstellung und Gier wird es nicht scheitern. Shorts’ großes Vorbild ist Kobe Bryant, die verstorbene NBA-Ikone ziert als Tattoo seine Wade. Auch wenn die Spieler vom Aussehen und der Spielweise Welten trennen, sieht man den Einfluss auf den Kalifornier. Bryants Arbeitsethos war legendär, sein Killerinstinkt noch mehr. So titelgierig wie die Basketball-Legende (fünfmaliger Champion, mehrfacher MVP) scheint Shorts jetzt schon zu sein.