Der Olympia-Zweite und WM-Dritte Frankreich ist bereits in der WM-Vorrunde ausgeschieden. Eine der größten Blamagen der jüngsten Vergangenheit hat viele Fragen aufgeworfen. Die “Grande Nation” steht am Scheideweg, zwölf Monate vor den Olympischen Sommerspielen 2024 in Paris.
Die französische Herren-Basketballmannschaft hat sich nach zwei blamablen Auftritten bereits in der Vorrunde aus der FIBA-WM verabschiedet. Der olympische Silbermedaillengewinner 2020 und WM-Dritte von 2019 und 2014 steht damit noch vor Beginn der Zwischenrunde als größter Verlierer dieser Weltmeisterschaft in Indonesien, Japan und auf den Philippinen fest.
Mit Gold-Hoffnungen war die “Grande Nation” des Basketballs ins Turnier gestartet. Angeführt von den NBA-Stars Rudy Gobert (Minnesota Timberwolves), Evan Fournier (New York Knicks) und Nicolas Batum (Los Angeles Clippers), dazu verstärkt durch zahlreichen Euroleague-Veteranen, war die Frage im Vorfeld eigentlich nur, welches Edelmetall am Ende herausspringen würde.
Eine peinliche 30-Punkte-Klatsche beim Auftakt gegen Kanada (95:65) und eine in dieser Art schockierende Crunchtime-Implosion gegen WM-Debütant Lettland (88:86) später muss das Team von Vincent Collet bereits die Koffer packen – wenngleich die Platzierungsspiele 17-32 noch ausstehen. Gegen Libanon, den 43. der Weltrangliste, reichte es in der letzten Gruppenpartie am Dienstag nur zu einem knappen 85:79 Sieg.
Einen Albtraum nannte Cheftrainer Collet die Situation, wenige Augenblicke nach der entleerenden 2-Punkte-Niederlage gegen Lettland. Die erfahrenen, erfolgsverwöhnten Franzosen hatten sich im Schlussviertel eine zwischenzeitliche 12-Punkte-Führung noch abnehmen lassen. Bei neun Punkten Vorsprung sieben Minuten vor dem Ende verlor Nando DeColo für einen Moment die Nerven. Die Referees entschieden hart und schmissen DeColo vom Parkett. Das Momentum drehte sich komplett. In der Crunchtime vergab Frankreich dann gleich mehrere Chancen auf den Sieg – oder zumindest die Verlängerung.
Während die lautstarken lettischen Fans die “Indonesia Arena” in Jakarta auch Minuten nach dem Schlusspfiff beben ließen, und mit ihren aufopferungsvoll kämpfenden Spielern den größten interkontinentalen Erfolg des kleinen Landes feierten, waren die Protagonisten der “Les Bleus” längst in den Katakomben verschwunden. Geschockt, gedemütigt, in Gedanken vertieft und nach Antworten ringend.
Für den dreimaligen Olympiateilnehmer Nicolas Batum war es die größte Enttäuschung seiner Nationalmannschaftskarriere. “Ich schäme mich. Zum ersten Mal überhaupt schäme ich mich, dieses Trikot zu tragen”, sagte der 34-Jährige, für den es die letze WM seiner Laufbahn gewesen ist. “Ich habe Angst, nach Hause zu gehen, weil wir viele Leute im Stich gelassen haben. Viele Menschen im Land glaubten daran, dass wir wirklich etwas Besonderes schaffen würden. Sie haben daran geglaubt und wir haben es nicht getan.”
Probleme an allen Fronten
Batum nahm sich selbst und seine NBA-Kollegen Gobert und Fournier besonders in die Verantwortung, verwies auf die schwache Verteidigungsleistung seiner Truppe und den Mangel an Führungsqualitäten. In der Vergangenheit stets eines der zwei, drei besten Defensiv-Teams bei internationalen Turnieren, versagte Frankreich hinten auf ganzer Linie. Switches wurden reihenweise verpasst, Schützen frei stehengelassen, die Arbeit am Brett vernachlässigt. In sechs von acht Vierteln der ersten beiden Partien erzielten die Gegner mindestens 23 Punkte.
Auch im Angriff ließen die Mitfavoriten jegliche Durchschlagkraft vermissen. Niemand ausser Fournier verstand es, mit dem Ball konstant für Druck zu sorgen. Spieler vergaben offene Würfe, zögerten bisweilen sogar, diese überhaupt zu nehmen. Aus dem Rückraum kam zu wenig, der Frontcourt war trotz Gobert eine einzige Enttäuschung. Auch Trainer Collet wurde in der Heimat für seine Personal-Rotationen und taktischen Entscheidungen heftig kritisiert.
Batum holte final zum großen Rundumschlag aus, als er den französischen Basketballverband für die Nichtnominierung von Guard Thomas Heurtel anging. Heurtel war im Vorfeld suspendiert worden, weil er nach Russlands Invasion in die Ukraine einen Vertrag bei Zenit St. Petersburg unterschrieben hatte. “Jeder muss sich nach dem, was diesen Sommer passiert ist, hinterfragen: Trainer, Spieler, Verband, alle”, so Batum.
Nächste Chance: Paris 2024
Einen Tag nach der Klatsche war kein französischer Spieler für die Medien verfügbar. Team-Manager Boris Diaw bat derweil um Zeit. Man wolle das Geschehene erst verarbeiten und analysieren. Man müsse sich jedoch “auf die Spieler vor Ort fokussieren, schließlich hat man mit ihnen verloren.”
Es ist klar, dass nicht nur der Haussegen etwas schief hängt, sondern dass bis zu den Olympischen Sommerspielen in Paris im kommenden Sommer noch viel Arbeit wartet. Die Leistungsträger sind allesamt älter als 30 Jahre, der Spielstil ist ebenfalls in die Jahre gekommen. Es fehlt an Ideen, Elan, Esprit.
Als Gastgeber ist Frankreich für Olympia 2024 automatisch qualifiziert. Superstars wie Victor Wembanyama, der sich in diesem Sommer lieber auf seine anstehende Rookie-Saison bei den San Antonio Spurs konzentrieren wollte, und Joel Embiid, der kürzlich die französische Staatsbürgerschaft erworben hat und noch abwägt, ob er lieber für Frankreich oder Team USA auflaufen will, würden das Gesicht dieser Mannschaft komplett verändern. Sie würden ihr neues Leben einhauchen. So, wie sich die Blauen 2023 präsentiert haben, ist das auch überlebensnotwendig.