Bei den Gegenspielern war Horst-Dieter Höttges gefürchtet. Beckenbauer hatte schon “blaue Flecken”, bevor er den Platz betrat. Doch der “Eisenfuß” erlebte auch einen rabenschwarzen Tag. Ebenso legendär ist sein Einschreiten, als Schiri Ahlenfelder einmal bereits nach 32 Minuten zur Pause bat.
Stan Libuda zeigte seinem Coach Ivica Horvat einen Vogel: “Nee, Trainer, da brauch’ ich gar nicht erst mitfahren!” Die Schalker Mannschaft guckte ihren Stan wissend an, nur Horvat schaute etwas verdutzt. Libuda sah sich genötigt, die Sache dem Coach etwas genauer zu erklären: “Mensch, Trainer, da geht es gegen den Höttges. Da seh ich den Ball genau zweimal: beim Anstoß und wenn die das Tor geschossen haben!” Und damit war die Diskussion für Libuda beendet – nach Bremen würde die königsblaue Legende gar nicht erst mitfahren. Gegen den Höttges könnten sie mal schön alleine spielen!
Manchmal ist es etwas komplizierter, die Spitznamen von Fußballern zu ergründen. Bei Horst-Dieter Höttges fällt dies leichter. “Eisenfuß” haben ihn die Gegner und Mitspieler ehrfürchtig gerufen. Und was das genau bedeutet, erklärte auch einmal Franz Beckenbauer: “Die Spiele gegen Werder Bremen werde ich nie vergessen. Wegen Horst-Dieter Höttges und Sepp Piontek. Wir nannten sie nur die ›Mörder-Brüder‹. Wer gegen die antreten musste, war noch nicht richtig auf dem Platz und hatte schon blaue Flecken. Sie grätschten von hinten, von der Seite, ganz nach dem Motto: ›Wenn wir den Ball treffen, auch gut. Aber es muss nicht sein.‹” Und auch die Schiedsrichter-Legende Walter Eschweiler merkte zu den beiden pointiert an: “So wie ihr tretet, wächst hier kein organischer Rasen mehr!”
Es waren damals andere Zeiten in der Bundesliga. Manchmal stand eine einzige Kamera im Stadion – manchmal auch gar keine. Das ermöglichte insbesondere den Verteidigern noch ein ganz anderes Spiel. Horst-Dieter Höttges reizte sicherlich hier und da, wie all die Aussagen über ihn zeigen, manche Grenze aus. Und so entstanden manchmal aus Zweikämpfen auch giftige Rivalitäten.
Höttges spielt ohne Gefühl im Bein
Nach einem Foul des Bremers hatte sein Frankfurter Gegner Horst Heese einst das Feld verlassen müssen. Und so schwor er bittere Rache: “Wenn der Höttges nach Frankfurt kommt, geht seine Laufbahn zu Ende.” Heese ließ seinen bösen Worten im Rückspiel tatsächlich Taten folgen – und setzte Höttges außer Gefecht. Doch bevor es zu einer Verhandlung vor dem DFB-Sportgericht kommen konnte, versöhnten sich die beiden rabiaten Streithähne wieder.
Und das lag auch daran, dass “Eisenfuß” Höttges nicht nur gegenüber seinen Gegenspielern unerbittlich sein konnte. Auch sich selbst schonte er nicht. “Das Bein war nur gefühllos!”, sagt er einst nach einer Partie und fügte mit schmerzverzerrtem Gesicht hinzu: “Ich hoffe, dass ich beim Abschiedsspiel für Hoppy Kurat wenigstens eine Halbzeit mitmachen kann.”
420 Mal lief Horst-Dieter Höttges in seiner Karriere für den SV Werder Bremen auf. Bis heute ist das ein Rekord für Feldspieler. In Bremen wurde er zu einer Legende. Vielleicht auch, weil seine Ankunft damals im Sommer 1964 durchaus kurios war. Werders “Chefeinkäufer” Hans Wolff (“Ich kann jeden Spieler der Welt holen. Egal, ob Indianer, Eskimo oder Chinese”) hatte sich das Mönchengladbacher Nachwuchstalent ausgeguckt – doch die Konkurrenz schlief nicht.
Mit Höttges gibt es keinen Abstieg
Also holte Wolff den heißbegehrten Horst-Dieter Höttges heimlich in einer Nacht-und-Nebel-Aktion aus Mönchengladbach ab. Die anderen interessierten Klubs verloren die Fährte und waren sauer. Während sich Höttges morgens bei den Wolffs ausschlief, wachte die 16-jährige Tochter vor seinem Zimmer. Vater Hans hatte ihr bei der Abfahrt zur Geschäftsstelle eingeschärft: “Du lässt ihn mir nicht aus den Augen!”
Anschließend kam es im Büro zu folgendem Dialog mit dem staunenden Spieler Sepp Piontek. Wolff: “Was hast du im Moment vor, Sepp?” Piontek: “Nichts Besonderes.” Wolff: “Könntest du dich ein wenig um Horst kümmern?” Piontek, fröhlich: “Na, wo soll es denn hingehen? Kopenhagen, London, Paris?” Wolff ernst: “Paris ist gut. Hier habt ihr 500 Mark. In einer Woche kommt ihr wieder!” Gut angelegtes Geld, wie sich schon recht bald zeigen sollte.
Denn nur ein Jahr später war “Eisenfuß” Höttges mit Werder Bremen Deutscher Meister geworden. Sein Credo war in den Folgejahren stets: “Solange ich spiele, steigt Werder Bremen nicht ab!” Und Höttges hielt Wort. Doch leider traf es die Elf vom Weserstrand genau in der Saison, nachdem Horst-Dieter Höttges zurückgetreten war. Der Abstieg der Spielzeit 1979/80 sollte für lange Zeit der letzte sein.
Für die deutsche Nationalmannschaft lief Horst-Dieter Höttges in insgesamt 66 Partien auf und wurde 1972 Europameister und gewann 1974 im eigenen Land den Weltmeister-Pokal. Am legendären Tor des DDR-Stürmers Jürgen Sparwasser in der Vorrunde der WM war Höttges auch beteiligt – wenn auch etwas unglücklich, wie sich Torhüter Sepp Maier einst erinnerte: “Wo ich war, als das Sparwasser-Tor fiel? Blöde Frage. Am Boden war ich gelegen. Deswegen kann ich mich auch gar nicht so genau erinnern, wie das Tor fiel. Ich glaube, der Verteidiger Höttges hat ein bisserl geschlafen, der Sparwasser hat den Ball an mir vorbeigehauen und ist damit berühmt geworden. Für uns war das gut so, sonst wären wir nicht Weltmeister geworden.” Also verhalf der “Sekundenschlaf” von Höttges damals indirekt sogar zum WM-Titel.
“Wo saust denn nur der Höttges rum?”
Und noch einmal sah Horst-Dieter Höttges bei einem anderen legendären Spiel nicht gut aus. Der 17. August 1977 sollte ein rabenschwarzer Tag in der Laufbahn des “Eisenfußes” werden – dabei begann die Geschichte eigentlich schon zwei Jahre vorher. Damals war der Kölner Trainer Tschik Cajkovski richtig sauer auf seinen Stürmer Dieter Müller gewesen: “Da habe ich ihm die ganze Woche beizubringen versucht, wie er gegen Höttges spielen soll, und trotzdem machte er beinahe alles falsch. Als ich ihm in der Pause deshalb Vorhaltungen machte, war er so fertig, dass er seinen Namen nicht mehr kannte.” Tschik schob damals, nach weiteren vergebenen Torchancen von Müller, noch einen unvergesslichen wie bitterbösen Satz hinterher: “Das ist kein Unvermögen. Bei uns ist das Kunst.” Dabei erzielte Dieter Müller bereits in dieser Spielzeit 24 Tore für den FC.
Doch dann kam es zu ebendiesem 17. August 1977. Es sollte der Tag werden, an dem ein Tor-Rekord für die Ewigkeit aufgestellt wurde. Beim 7:2 gegen Bremen erzielte der FC-Stürmer Müller sechs Tore. Und das ausgerechnet im Duell mit seinem knüppelharten und sonst so souveränen Gegenspieler Horst-Dieter Höttges. Werder-Trainer Hans Tilkowski fragte während des laufenden Spiels ständig und erstaunt seine Nebenleute: “Wo saust denn nur der Höttges rum?” Tilkowski war auch deshalb so irritiert, weil diese Leistung in Höttges Karriere die absolute Ausnahme bleiben sollte.
Bei einer anderen unvergesslichen Bundesligabegegnung spielte Höttges ebenfalls, allerdings eher zufällig, eine Hauptrolle. Bei der Partie am 8. November 1975 zwischen dem SV Werder Bremen und Hannover 96 hatte Schiedsrichter Wolf-Dieter Ahlenfelder bereits nach 32 Minuten die beiden Mannschaften in die Kabinen bitten wollen – doch das beherzte Einschreiten von Höttges konnte die fatale Fehlentscheidung des Schiris noch verhindert.
Unvorstellbare Szenen mit Ahlenfelder
Horst-Dieter Höttges ging damals zu Ahli und fragte ihn: “Schiri, sind Sie sicher, dass schon Halbzeit ist?” Ahlenfelder antwortete irritiert: “Warum denn nicht, Höttges?” Der Bremer “Eisenfuß” erklärte betont langsam und ausführlich: “Mein Trikot, wissen Sie, ist in der Halbzeit immer klitschnass. Und schauen Sie mal, das ist ja noch fast staubtrocken!” Ahlenfelder guckte auf das Shirt, blickte dann an die Seitenlinie und sah seinen Linienrichter, wie er intensiv Richtung Uhr zeigte. Da entschloss sich der Oberhausener Newcomer in seinem dritten Bundesligaspiel spontan, die Halbzeitpause noch ein wenig hinauszuzögern – dank Höttges.
Später erzählte Horst-Dieter Höttges noch eine andere Geschichte von diesem Tag: “Ahli kommt vorher bei uns in die Kabine, mit nacktem Oberkörper. Unser Masseur hatte damals Geburtstag. Dem hat er gratuliert und da habe ich gemerkt, dass ein bisschen Alkohol im Spiel war. Da habe ich ihn genommen, bei uns unter die Dusche, und habe ihn mit Wick eingerieben, den ganzen Körper. Dann haben wir ihn wieder rausgelassen und da roch der ja nach Wick.” Unvorstellbare Szenen, die so heute natürlich nicht mehr möglich sind.
Seit einigen Jahren litt Horst-Dieter Höttges an Demenz. Zusammen mit seiner Frau lebte er zuletzt in einer Seniorenresidenz. Noch im Dezember 2022 hatte sein Sohn zusammen mit dem Deutschen Fußballmuseum in Dortmund die private Sammlung von 400 Stücken (darunter das Trikot aus dem WM-Finale von 1974) des Bremer Ehrenspielführers versteigert. Insgesamt wurden unglaubliche 148.800 Euro für gute Zwecke gesammelt. Heute nun kam die Nachricht, dass die Werder-Legende Horst-Dieter Höttges bereits am 22. Juni verstorben ist.