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Wie Orban seine Gegner zermürben will

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Obwohl die EU ihm Milliardenhilfen streicht, treibt Ministerpräsident Orban den Umbau Ungarns zum Mafia-Staat voran. Wer sich gegen ihn stellt, muss sich wappnen. Oppositionspolitikerin Dobrev erzählt, wie sie als Kriegstreiberin diffamiert und mit Gerichtsverfahren gepiesackt wird.

Klára Dobrev hat vor zwei Wochen in Budapest einen Prozess gewonnen. Ihr war eine Vielzahl illegaler Finanzmanipulationen vorgeworfen worden. Es war nicht der erste Gerichtstermin in diesem Jahr für Dobrev, die als Mitglied der ungarischen Oppositionspartei Demokratische Koalition (DK) im Europäischen Parlament sitzt. Wer sich gegen die Regierung von Ministerpräsident Viktor Orban stellt, muss damit rechnen, von der Staatsanwaltschaft verfolgt zu werden – auch wegen angeblicher Vergehen, für die es keine Beweise gibt. Verfahren gehören für Dobrev inzwischen zum Alltag. “Ich und andere Oppositionelle müssen beinahe jede zweite Woche vor Gericht”, sagt sie im Gespräch mit ntv.de. Dabei lacht sie bitter.

Dobrev ist als führende Oppositionspolitikerin beliebtes Ziel dieser Nadelstiche, die Orban seinen Gegnern versetzt, nachdem er den Rechtsstaat in Ungarn zerstört hat. Sie ist mit Orbans Amtsvorgänger Ferenc Gyurcsány verheiratet, der 2011 die sozialliberale, pro-europäisch ausgerichtete DK gründete. Vor der Parlamentswahl im vergangenen Jahr trat Dobrev für ein Bündnis aus sechs Oppositionsparteien als Kandidatin für das Amt der Premierministerin an. In der Stichwahl des Verbunds unterlag sie jedoch dem parteilosen Kandidaten Péter Márki-Zay, den Orban mit einem überwältigenden Ergebnis für seine rechtsnationale Fidesz-Partei im April 2022 besiegte. Nachdem die DK bei den letzten Europawahlen 16 Prozent geholt hatte, zog Dobrev als Abgeordnete in das Europäische Parlament ein, wo sie sich der Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten (S&D) anschloss.

Die ungarische Opposition gerät nicht nur wegen Anschuldigungen gegen einzelne Politiker unter Druck. Nun nimmt Orban auch die Finanzierung der Parteien ins Visier. “Erst vor wenigen Tagen haben alle Oppositionsparteien einen Brief von der ungarischen Regierung erhalten, in dem steht, dass wir Informationen über unsere Finanzierung zur Verfügung stellen sollen. Wir werden beschuldigt, ausländische, nicht erlaubte Spenden zu erhalten”, erzählt Dobrev. Sie bestreitet den Vorwurf, der sich auf die Unterstützung einer zivilen Organisation für die damalige Wahlkampagne Márki-Zays bezieht. “Wenn Bußgelder verhängt werden, haben wir keine Möglichkeit, vor Gericht dagegen vorzugehen”, sagt Dobrev.

“Ukraine-Krieg hat Orban geholfen, Wahl zu gewinnen”

Orban hat die ungarische Justiz durch mehrere Gesetzesänderungen unter seine Kontrolle gebracht. Viele Staatsanwälte und Richter haben sich ihm gebeugt, sodass ausnahmslos Verfahren gegen Oppositionelle oder Feinde des Fidesz eingeleitet werden. Wegen Orbans Feldzug gegen den Rechtsstaat fror die EU mehrere Gelder ein. Sie enthält Ungarn Coronahilfen in Höhe von 5,8 Milliarden Euro sowie 6,3 Milliarden an Strukturhilfen vor. Auch Geld aus dem EU-Haushalt wurde im Dezember letzten Jahres gestrichen, weitere 6,3 Milliarden.

Die Europäische Union habe zu spät begonnen, Orbans Regierung die Mittel zu entziehen, moniert Katharina Barley, Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments und ehemals deutsche Justizministerin, im Gespräch mit ntv.de. Die Kommission habe “ebenso wie der Rat zugesehen, wie Orban die Demokratie Stück für Stück abbaut – seit über zehn Jahren”, sagt Barley. Der Autokrat nutzte die EU-Gelder, um seine Macht zu festigen. Berichte deuten darauf hin, dass diese Mittel nicht selten in korrupten Kanälen verschwanden. Momentan ist Orban damit beschäftigt, die Verstaatlichungen in der Bau- und Lebensmittelindustrie voranzutreiben, um Unternehmen anschließend unter seinen Gefolgsleuten aufzuteilen. Dabei werden viele ausländische Unternehmen, auch deutsche, mit mafiösen Methoden aus dem Land gemobbt. “Inzwischen hat Orban ausnahmslos alle Strukturen in der Hand, es gibt keinerlei demokratische Kontrolle mehr”, so Barley.

Auch der überwiegende Teil der ungarischen Medienlandschaft besteht aus Unternehmen, die Orban freundlich gesinnt sind. Russlands Invasion in die Ukraine instrumentalisiert Orban, um in Medien Stimmung gegen die Opposition zu machen. Er selbst inszeniert sich gerne als Vertrauter von Präsident Wladimir Putin, wobei er betont, dass sich Ungarn aus dem Krieg heraushalten solle. Während er sich als pazifistischen Landesvater darstellt, wird Dobrev in der Propaganda als Kriegstreiberin diffamiert. “Der Ukraine-Krieg hat Orban geholfen, die letzte Wahl zu gewinnen”, sagt sie. In den vergangenen Monaten tauchten überall in Ungarn Plakate auf – zunächst in Budapest, dann in ländlichen Gegenden – die Dobrev, ihren Ehemann Gyurcsány und weitere Oppositionelle als “Kriegsbefürworter” bezeichnen, denen das Handwerk gelegt werden müsse.

“Orban ist ein Kleptokrat, der sich bei Putin anbiedert”

Dobrev spricht von “character killing campaigns”, die auch im Staatsfernsehen verbreitet werden. Insbesondere im ländlichen Raum erreiche die Bevölkerung keine unabhängige Information über andere Parteien als die Fidesz. Auch in sozialen Medien kaufe die Regierung Werbeplätze, um Fake News zu verbreiten. Zudem nutzt Orban ausgefallene Methoden, um ältere Menschen zu erreichen. Während des Wahlkampfs im vergangenen Jahr schenkte die Fidesz Senioren Fitness-Armbänder, die laut Dobrev von der EU finanziert wurden. “Eine Woche vor der Wahl ertönte plötzlich Orbans Stimme aus dem Armband. Er sagte den Leuten, wenn Sie verhindern wollten, dass ihre Kinder in den Krieg ziehen, müssen sie Fidesz und nicht die Opposition wählen”, sagt sie.

Zu Orbans Narrativ gehört auch, die Sanktionen der Europäischen Union gegen Russland zu verteufeln. Weitere Plakate, die seine Partei in Budapest aufhängen ließ, tragen den Schriftzug “Die Brüsseler Sanktionen ruinieren uns”. Die Inflation in Ungarn liegt zurzeit bei 25 Prozent, die Preise für Lebensmittel sind sogar um 55 Prozent gestiegen. Orban lässt keine Gelegenheit aus, um die Verantwortung für die katastrophale ökonomische Lage in dem Land, das eigentlich seinem Nepotismus zum Opfer fällt, der EU zuzuschieben.

Im Rat der europäischen Staats- und Regierungschefs hatte er Entscheidungen über Sanktionen immer wieder verzögert. Waffenlieferungen für die Ukraine lehnt er rundheraus ab, leistet lediglich humanitäre Hilfe für Kiew. Derweil handelte er für Ungarn eine Ausnahme vom Ölembargo heraus. Zudem schloss er mit dem russischen Staatskonzern Gazprom einen Vertrag, um die Gaslieferungen seit dem Herbst weiter zu erhöhen.

“Orban ist ein Autokrat und Kleptokrat, der sich bei Putin anbiedert und darüber sein eigenes Land ruiniert”, sagt Barley. In Deutschland werde oft unterschätzt, wie schlimm die Lage sei. “Das ungarische Volk hat Besseres verdient”, so Barleys Überzeugung.

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