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Was ist über “Sabotage-Aktion” in Russland bekannt?

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Die vermeintliche “Sabotage-Aktion” ukrainischer Kämpfer in einem russischen Dorf schlägt hohe Wellen. Präsident Putin beruft den Sicherheitsrat ein, russische Hardliner fordern Racheaktionen, die Ukraine weist jede Verantwortung von sich, und in einem Video taucht ein russischer Neonazi auf, der gegen Putin kämpft.

Die Nachricht am Donnerstag lässt aufhorchen: “Ukrainische Saboteure” hätten auf russischem Staatsgebiet eine Attacke auf Zivilisten gestartet und Geiseln genommen. Es gäbe zwei Tote, ein Kind sei zudem verletzt und müsse im Krankenhaus behandelt werden. Präsident Wladimir Putin sagt eine angeblich geplante Reise ab und beruft den Nationalen Sicherheitsrat ein. Die Gemengelage ist unübersichtlich, vor allem, da ausschließlich russische Quellen über die Vorgänge berichten.

Was soll passiert sein?

Um die Mittagszeit, gegen 11.30 Uhr, berichtet der Gouverneur der russischen Region Brjansk, Alexander Bogomas, auf seinem Telegram-Kanal von einer Sabotagegruppe, die in das russische Dorf Ljubetschane eingedrungen sei. Dort hätten die Kämpfer das Feuer auf ein Auto eröffnet. Zwei Personen sollen getötet worden sein, ein zehn Jahre alter Junge schwer verletzt. Ihm sei später, so heißt es weiter, in einem Krankenhaus eine Kugel entfernt worden. Angeblich sei er bei der Rettung zweier Kinder aus dem beschossenen Fahrzeug getroffen worden.

Später heißt es in einem Bericht des Geheimdienstes FSB, die Kämpfer hätten zudem Geiseln genommen. Davon ist später allerdings nicht mehr die Rede. Stattdessen berichten russische Nachrichtenagenturen, dass die Kämpfer auf ukrainisches Staatsgebiet zurückgedrängt worden und dort mit einem “massiven Artillerieschlag” getroffen worden seien.

Parallel dazu soll eine ukrainische Drohne in dem Dorf Suschany einen Angriff verübt haben. Es befindet sich rund 15 Kilometer südwestlich von Ljubetschane und ebenfalls nur wenig hundert Meter von der Grenze zur Ukraine entfernt. Dabei soll ein Haus in Brand geraten sein, Angaben zu möglichen Opfern gibt es dagegen nicht. Einen weiteren Angriff soll es nach Aussage Borgomas’ im Ort Lomakowa in der Region Brjansk gegeben haben. Auch hier fehlen weitere Angaben.

Welche Informationen gibt es darüber hinaus?

Abgesehen von russischen Quellen existieren nur kurze Videoclips einer Gruppe bewaffneter Kämpfer, die offenbar die vermeintlichen Saboteure sind. Das entscheidende Video ist mit rund 20 Sekunden enorm kurz. Es zeigt zwei mutmaßlich schwerbewaffnete Kämpfer, die vor einem Gebäude stehen. Einer von ihnen, der gebürtige Russe Denis Kapustin, klopft auf eine Plakette am Gebäude, die belegen soll, dass sie sich auf russischem Staatsgebiet befinden. Er sagt, dass die russischen Bürger erkennen müssten, dass sie keine Sklaven seien. Sie sollten gemeinsam gegen den Kreml kämpfen. Kampfhandlungen, oder die angebliche Geiselnahme sind dagegen nicht dokumentiert. Es wird auch nicht klar, wen oder was die Kämpfer sabotieren wollen. Das RTL-Verifizierungsteam konnte zumindest bestätigen, dass das Video im russischen Dorf Ljubetschane an der ukrainisch-russischen Grenze entstanden ist.

Wie reagiert Russland?

Nach Angaben von Kreml-Sprecher Dmitri Peskow rief Russlands Präsident Wladimir Putin in Reaktion auf die angebliche Sabotage-Aktion den Nationalen Sicherheitsrat für den heutigen Freitag zusammen. Aus diesem Grund habe er eine geplante Reise in die südrussische Stadt Stawropol abgesagt. Putin sprach von einem “Terrorakt” von “Neonazis” gegen russischen Zivilisten.

Harte Reaktionen forderten der Chef der Wagner-Gruppe, Jewgeni Prigoschin, und Tschetschenenführer Ramsan Kadyrow. Prigoschin sah eine “rote Linie”, die die Ukraine überschritten hätte. Kadyrow verlangte Racheaktionen gegen die ukrainische Zivilbevölkerung. Nicht näher genannte russische Militärblogger sollen laut “Focus” sogar die Aufstellung von Hinrichtungskommandos gefordert haben, die hochrangige ukrainische Politiker töten sollen. Der Chef der russischen Besetzung der Krim, Sergey Aksyonow, verlangte vom Kreml deutlich erhöhte Sicherheitsmaßnahmen.

Was sagt Kiew?

Kiew dementierte, etwas mit der Aktion zu tun zu haben. Michailo Podoljak, Berater des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, erklärte auf Twitter, es handle sich dabei um eine klassische Provokation Russlands. Dort wolle man den Menschen Angst machen, um den eigenen Angriff auf die Ukraine zu rechtfertigen und über die wachsende Armut im eigenen Land hinwegzutäuschen.

Nach Angaben des “Spiegel” soll ein Sprecher des ukrainischen Militärnachrichtendienstes von einer Konfrontation unter Russen gesprochen haben. Das eigene Volk würde sich demnach langsam gegen Putin erheben.

Wem nützt die Aktion?

In sozialen Medien wird von westlichen Vertretern nach ersten Berichten schnell der Vorwurf einer False-Flag-Aktion laut. Sprich: Russland habe den Vorfall inszeniert, um seine Invasion der Ukraine zu rechtfertigen, oder um weitere politische Maßnahmen innerhalb Russlands damit begründen zu können. Tatsächlich ist der Hauptprotagonist des kurzen Videoclips der gebürtige Russe Denis Kapustin. Dieser lebt aber seit einigen Jahren in der Ukraine und hat nach eigenen Angaben um Sommer 2022 das russische Freiwilligenkorps gegründet, um gegen die russischen Invasoren zu kämpfen. Die politische Agenda des bekennenden Neonazis ist ambivalent. Das aktuelle Regime in Russland scheint er aber tatsächlich abzulehnen. Inwiefern das Freiwilligenkorps tatsächlich Kampfhandlungen involviert ist, ist dagegen unklar. Auch über die Größe der Gruppe wird nur spekuliert. Auf Twitter wird die Zahl 50 kolportiert, worauf sie beruht, ist nicht klar.

Egal, ob inszeniert oder nicht, die russische Politik kann aus dem Vorfall Kapital schlagen. Putin kann die Bedrohung durch die Ukraine auch innerhalb der eigenen Grenzen als real verkaufen. So lässt sich noch leichter rechtfertigen, warum russische Truppen zwingend gegen die Kiewer Regierung vorgehen, und die Ukraine vollends unterwerfen müssten. Es bestünde aber ebenso die Möglichkeit, dass der Kreml-Chef die Maßnahmen gegen die eigene Bevölkerung verschärft, die Überwachung weiter erhöht, oder noch intensiver gegen Oppositionelle oder andere missliebige Personen vorgeht. Denn eine solche Aktion auf russischem Boden wäre ein Novum im aktuellen Krieg. Es zeugte nicht von sonderlich wirksamer Grenzverteidigung, wenn eine Gruppe Bewaffneter in ein Dorf eindringen und dort angeblich russische Zivilisten töten könnte.

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