Der “heiße Herbst” ist ausgeblieben – dennoch ist der Chef des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes unzufrieden mit den Entlastungspaketen der Bundesregierung. Zu Weihnachten diagnostiziert Ulrich Schneider einen Armutsrekord.
Der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes hat kurz vor Weihnachten eine düstere Bilanz der sozialen Lage in Deutschland gezogen. “Es wird natürlich für einige ein besonders bitteres Fest, weil hier nicht nur ein Krieg tobt in Europa, sondern weil sich viele Weihnachten schlechterdings nicht mehr leisten können”, sagte Ulrich Schneider im “Frühstart” von ntv. Die explodierenden Lebenshaltungskosten würden viele Menschen an den Rand und sogar darüber hinaus bringen. “Die Lage ist wirklich nicht so gut, als dass wir jetzt ein frohes Weihnachten feiern könnten.”
Schneider zeigte sich erschrocken von neuen Forsa-Umfragezahlen, wonach ein Drittel der Bevölkerung weniger für Weihnachtsgeschenke ausgibt als im Vorjahr. “Das ist jeder Dritte unter uns, der nicht mehr den Lebensstandard halten kann wie sonst.” Es gebe 13,8 Millionen Menschen in Armut, die bereits im Vorjahr so gut wie nichts für Geschenke hätten ausgeben können. “Wir haben, und das müssen wir einfach zur Kenntnis nehmen, an diesem Weihnachtsfest einen traurigen Rekord an Armut.”
Der Chef des Wohlfahrtsverbandes kritisierte die Entlastungsmaßnahmen der Bundesregierung als sozial unausgewogen. Die Ampelkoalition habe sehr viel Geld ausgegeben, allerdings hätten diejenigen am wenigsten bekommen, die am meisten auf Hilfen angewiesen seien. Empfänger der Grundsicherung hätten lediglich eine Einmalzahlung von 200 Euro bekommen. “Das ist nicht die Entlastung, die sie brauchen.” Diese Menschen seien stattdessen noch tiefer in die Armut gerauscht.
“Winter der Enttäuschung”
Schneider widersprach dem Eindruck, dass die Bevölkerung insgesamt zufriedener mit der politischen Reaktion auf die hohen Energiepreise sei als allgemein angenommen. “Es ist das eingetreten, was ich prophezeit habe: ein Winter der Enttäuschung.” Angesprochen darauf, dass der sogenannte “heiße Herbst” mit möglichen Massendemonstrationen ausgeblieben sei, sagte Schneider, diese Demos seien schlecht vorbereitet gewesen. Zudem habe eine klare Botschaft gefehlt. “Der Begriff ‘heißer Herbst’ war extrem unglücklich. Der zieht auch Menschen an, die man auf Demonstrationen gar nicht haben will.” Die Ankündigung des Kanzlers zu weiteren Hilfen habe den Protestlern zudem den Wind aus den Segeln genommen. Schneider erkannte auch an, dass die Gas- und Strompreisbremse vielen Bürgern immerhin Hoffnung machten.
Der Geschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes forderte weitere Hilfen im neuen Jahr. “Wir brauchen ein weiteres Entlastungspaket.” Sollte die Not wie erwartet weiter zunehmen, werde die Regierung reagieren müssen, so Schneider. “Was soll sie sonst tun: Zusehen, wie Deutschland auseinanderbricht?” Es brauche sehr schnell eine Erhöhung des Bürgergeld-Regelsatzes auf 725 statt 502 Euro. Zudem müssten die zuständigen Stellen das erweiterte Wohngeld zügig im Januar oder Februar an die Berechtigten auszahlen.
Schneider kritisierte den Bautzener CDU-Landrat Udo Witschas, der in einer Weihnachtsbotschaft die Unterbringung von Geflüchteten in Turnhallen und leerstehenden Wohnungen als Gefahr für den sozialen Frieden bezeichnet hatte. “Wenn man will, kann man es natürlich herbeireden, dass der soziale Frieden gefährdet ist.” Wer Neid schüre und gegen Barmherzigkeit und Nächstenliebe predige, der schaffe eine sich selbst erfüllende Prophezeiung. Die allermeisten Menschen in Deutschland kämen mit Zugezogenen überhaupt nicht in Kontakt, so Schneider. “Was die Menschen umtreibt, sind steigende Preise bei Lebensmitteln, bei Energie – aber nicht in allererster Linie ukrainische Flüchtlinge.” Der Landrat habe offenbar eine klare Absicht, wenn er Probleme herbeirede.