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So tief reichen die ukrainischen Vorstöße

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Die Front im Süden der Ukraine gerät in Bewegung: Drei Monate nach Beginn der Gegenoffensive dringen die Ukrainer tiefer in die russischen Linien vor. Karten zeigen das Ausmaß der bisherigen Geländegewinne.

Die ukrainische Offensive kommt an mehreren Frontabschnitten voran: Bei den Gefechten nahe der Ortschaft Robotyne erreichte eine Vorhut bisher unbestätigten Angaben zufolge zuletzt den Ortsrand von Werbowe. Das Dorf liegt rund neun Kilometer östlich von Robotyne und hinter der ersten russischen Sperrlinie. Intensiv gekämpft wird übereinstimmenden Berichten auch südlich von Robotyne vor Nowoprokopiwka.

Wie reihen sich die jüngsten Geländegewinne in die militärische Gesamtlage ein? Ein Blick auf die Karte verrät, in welche Richtungen die ukrainischen Vorstöße zielen und dass die Kämpfe vor Tokmak nicht den einzigen Schwerpunkt der ukrainischen Angriffsplanungen bilden. An weiteren Abschnitten der rund 1000 Kilometer langen Front befinden sich die Ukrainer auf dem Vormarsch.

Rund 30 Kilometer westlich von Robotyne zum Beispiel haben die Ukrainer einen weitereren Offensivkeil ins Vorfeld des russischen Stellungssystems vorgeschoben. Die Angriffe bei Pjatychatky stießen offenbar auf erheblichen Widerstand, das bisher befreite Gebiet ist deutlich kleiner als der Frontvorsprung südlich von Orichiw.

Der Vorstoß bei Pjatychatky zielt allem Anschein nach auf die Kleinstadt Wasyliwka am Ostufer des Kachowka-Staubeckens. Von dort aus führt mit der Fernstraße M18 eine gut ausgebaute Straßenverbindung nach Süden Richtung Melitopol. Die Angriffe kamen in den vergangenen Wochen zum Erliegen, könnten jedoch jederzeit wieder aufflammen, sollten die Russen hier Reserven zur Verstärkung anderer Frontabschnitte abziehen.

Das Gelände bei Robotyne (kleiner Kreis), hier im Satellitenfoto vom 21. August: Das Dorf Werbowe befindet sich im großen Kreis rechts oben, am unteren Bildrand rechts ist Otscheretuwate zu sehen.

(Foto: © Sentinel Hub / ESA)

Bei Robotyne dagegen stießen die Ukrainer auf eine Schwachstelle im russischen Stellungssystem: Der ukrainische Angriffskeil Richtung Tokmak ist dort sehr viel weiter vorgedrungen und bildet mittlerweile den vielversprechendsten ukrainischen Vorstoß. Nach wochenlangen Gefechten im verminten Vorfeld drangen ukrainische Kämpfer östlich des Dorfes Robotyne bis zur ersten Linie der russischen Verteidigungsanlagen vor, wie sich anhand von Satellitenaufnahmen belegen lässt.

Die Verlagerung der Kampfzone ist auf den Aufnahmen aus dem All gut zu erkennen. Die besonderen Umstände im Krieg in der Ukraine spielen Beobachtern dabei in die Hände: In den offenen Agrarlandschaften der Region konzentrieren sich die Kämpfe vor allem auf die Wald- und Heckenstreifen entlang der Felder. Der Grund ist simpel: Die offenen Flächen sind teilweise vermint. Angreifern und Verteidigern bietet sich hier keine Deckung.

Die Konzentration auf die Heckenstreifen bleibt nicht ohne Folgen: Das Trommelfeuer der russischen Artillerie verwandelt die beschossenen Hecken, in denen ukrainische Einheiten vermutet werden, binnen weniger Tage in eine öde, entlaubte Trichterlandschaft. Auf den Satellitenbildern tauchen die betroffene Geländeabschnitte dann anstatt in Dunkelgrün als schmale, hellbraun gefärbte Streifen auf.

Noch deutlich werden die Veränderungen in der Landschaft im Vergleich mit einer Falschfarbenaufnahme. Beide Fotos wurden am 21. August aufgenommen, also am Montag vergangener Woche. An diesem Tag war der Himmel über der Front weitgehend frei von Wolken, was den Satellitenkameras einen ungestörten Blick auf die Entwicklungen am Boden ermöglicht.

Das Ergebnis: Zwischen Robotyne und Werbowe sind in den vergangenen Wochen durch anhaltendes Artilleriefeuer auffallend ausgedehnte verwüstete Bereiche entstanden, die entlang der Heckenstreifen weiter nach Süden und Südosten wandern. Diese Zonen gebündelten Granatbeschusses dehnten sich zuletzt weiter Richtung Werbowe aus.

In den Aufnahmen der europäischen Sentinel-Erdbeobachtungssatelliten erscheinen die verwüsteten Zonen klein, allerdings sind die Fotos auch aus einer Höhe von rund 800 Kilometern entstanden. Die Gewalt des Trommelfeuers lässt sich aus der Distanz nur erahnen.

Weitere Vorstöße an der Front

Die russischen Verteidigungsanlagen in der Region sind auf den Satellitenbildern ebenfalls auszumachen. Der sichtbare Teil besteht in der Regel aus tiefen Panzergräben, begleitenden Höckerlinien und vorbereiteten Geschützstellungen im Hinterland.

Umfangreiche Erdarbeiten waren dazu erforderlich, der militärische Nutzen ist fraglich: Auf den Satellitenfotos sind die Befestigungen der Surowikin-Linie bei näherem Hinsehen als dünne, helle Striche zu erkennen, die sich außerhalb von Ortschaften kilometerlang quer durch die Landschaft ziehen und dabei oft den Höhenrücken des Geländes folgen.

Der Frontbogen bei Robotyne ist bei weitem nicht der einzige Brennpunkt der Kämpfe in der Ukraine. Weiter östlich im sogenannten Zentralraum treiben die Ukrainer bei Welyka Nowosilka einen weiteren Offensivkeil voran. In den vergangenen Tagen gelang es ukrainischen Verbänden in dem Gebiet, in dem die Verwaltungsregion Saporischschja an die Donezk-Region stößt, die Ortschaft Uroschaine zu befreien.

Flächenmäßig kann Kiew hier sogar die bisher größten Geländegewinne verzeichnen: Südlich von Welyka Nowosilka fielen in erbitterten Kämpfen fast 180 Quadratkilometer zurück an die Ukraine. Bei Robotyne sind es dagegen rein rechnerisch nur 85, bei Pjatychatky weniger als 20 Quadratkilometer. Natürlich: Die nackten Zahlen verraten nichts über die Intensität der Kämpfe, das menschliche Leid und die militärischen Bedingungen vor Ort.

Weiter Weg bis zum Meer

In der Übersicht offenbart der Blick auf die Lagekarte eine klare Entwicklung: Eineinhalb Jahre nach Beginn des russischen Überfalls steckt Moskaus Invasionsarmee massiv in Schwierigkeiten. Den Verteidigern der Ukraine ist es nicht nur gelungen, die riesige russische Militärmaschinerie in Schach zu halten. An mehreren Stellen der Front können die Ukrainer die Invasoren zurückdrängen.

Die ukrainischen Vorstöße erscheinen bisher noch lokal begrenzt. Die Angriffe bei Robotyne, Pjatychatky, Welyka Nowosilka und Bachmut setzen das russische Militär jedoch unter Zugzwang: An welcher Stelle sollen die Russen ihre Reserven einsetzen? Die ukrainischen Vorstöße binden russische Kräfte, die an anderer Stelle der Front fehlen. Luftschläge auf russische Nachschubrouten erschweren die Situation zusätzlich. In der Region Cherson – und selbst auf der Krim – muss der Kreml jederzeit mit neuen Kommandoaktionen rechnen.

Die russischen Bemühungen, an mehreren Stellen der Front im Osten größere Entlastungsangriffe zu starten, scheinen dagegen bisher weitgehend erfolglos. Im Wald bei Kreminna und in der Fläche vor Torske bewegt sich die Frontlinie nur wenig. Die mit viel Aufwand angesetzten Angriffe bei Swatowe und auch bei Kupjansk brachten bisher kaum erkennbare Veränderungen.

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