Die Zeiten des Zögerns und Drängens sind vorbei: Bei der Karlspreis-Verleihung in Aachen dankt Präsident Selenskyj Kanzler Scholz für dessen Führungskraft. Von Aachen reist er weiter nach Paris, um auch dort für eine “Kampfjet-Koalition” zu werben.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat Bundeskanzler Olaf Scholz für seine Politik nach dem russischen Angriff auf die Ukraine gelobt. “Als du die Zeitenwende sahst, begannst du so zu handeln, wie ein Verteidiger Europas zu handeln hat”, sagte er bei der Verleihung des Karlspreises in Aachen. “Europa wird dir und dieser Regierung Deutschlands immer dankbar sein.”
Der Besuch verdeutlicht, dass das Verhältnis zwischen Selenskyj und Scholz sehr viel besser ist als noch vor wenigen Monaten: Im Februar hatte der Präsident dem “Spiegel” über den Bundeskanzler gesagt, er müsse “Druck machen, der Ukraine zu helfen, und ihn ständig überzeugen, dass diese Hilfe nicht für uns ist, sondern für die Europäer”.
“EU nicht vollständig ohne die Ukraine”
In Aachen dankte Selenskyj Scholz ausdrücklich für die Waffenlieferungen der vergangenen Monate. So habe das Flugabwehrsystem Iris-T habe bereits Tausende Menschenleben gerettet, die Leopard- und Marder-Panzer aus Deutschland gäben der Ukraine Schutz. “Wichtig ist auch, dass Deutschland nicht nur militärisch, sondern mit seiner Führung in den wirtschaftlichen, humanitären Bereichen und der Diplomatie hilft.”
In seiner Rede bekräftigte Selenskyj zudem die ukrainische Forderung nach einem Beitritt zur EU und zur NATO bekräftigt. “Die EU wird nicht vollständig sein ohne die Ukraine”, sagte er. Eine Aufnahme in die NATO würde die ukrainischen Kämpfer zusätzlich motivieren und der Verteidigung “gegen den russischen Imperialismus” dienen, betonte er. Ein NATO-Beitritt der Ukraine wird derzeit diskutiert, um nach einem Ende des derzeitigen Krieges sicherzustellen, dass Russland das Land nicht noch einmal überfällt.
Scholz beruft sich auf Bukarest
Scholz hatte sich am Vormittag ausweichend zu dem Thema geäußert. Jetzt gehe es “um praktische Fragen” und darum, dass die Ukraine den russischen Angriff zurückweisen könne. “Alles andere ist existierende Beschlusslage aus Bukarest.” Diese Aussage kann sowohl als Unterstützung wie auch als Absage an einen schnellen Beitritt verstanden werden: Beim NATO-Gipfel in Bukarest 2008 hatte die NATO einen Beitritt Georgiens und der Ukraine nicht ausgeschlossen, aber in die ferne Zukunft vertagt. Nach Einschätzung des Historikers Philipp Ther wurde so ein Machtvakuum erzeugt: “Die NATO hat die Ukraine auf Distanz und gleichzeitig die Tür offen gehalten”, sagte er ntv.de.
Selenskyj warb erneut für weitere Waffenlieferungen. Nur so sei die russische Aggression zu stoppen. “Die Ukraine wird siegen, Europa wird siegen, der Frieden wird siegen”, betonte Selenskyj zum Abschluss seiner Rede. In Berlin hatte er zuvor um Unterstützung bei der Lieferung von Kampfjets gebeten. Seine Reise durch mehrere europäische Hauptstädte diene auch dazu, “eine Kampfjet-Koalition zu schaffen”, sagte er nach einem Treffen mit Scholz im Kanzleramt. Er bat auch Deutschland, diese Koalition zu unterstützen. Auf die Frage eines Journalisten, ob Deutschland Kampfflugzeuge liefern werde, beantwortete Scholz ausweichend. Allerdings gilt der deutsche Bestand von Kampfjets als nicht gut genug, um der Bundesrepublik in dieser Frage eine zentrale Rolle zu geben.
“Solange es nötig ist”
Scholz sicherte Selenskyj sowohl in Berlin als auch in Aachen erneut Hilfe von Dauer zu. “Wir unterstützen euch so lange, wie es nötig sein wird.” Einen Tag vor Selenskyjs Ankunft in Berlin hatte die Bundesregierung ein umfangreiches Rüstungspaket für Kiew angekündigt. Zu den geplanten Lieferungen im Wert von mehr als 2,7 Milliarden Euro gehören nach Angaben des Bundesverteidigungsministeriums Luftabwehrsysteme, Panzer und Munition.
In Aachen wurden Selenskyj und mit ihm das ukrainische Volk für ihre Verdienste um die Einheit Europas mit dem Karlspreis ausgezeichnet. Scholz sagte in seiner Laudatio, die Preisverleihung sei Auftakt für das weitere Zusammenwachsen in Europa. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagte an Selenskyj gewandt: “Sie kämpfen buchstäblich für Freiheit, Menschlichkeit und Frieden.” Auch der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki lobte Selenskyj als Verteidiger europäischer Werte.
Rom – Berlin – Paris
Selenskyj sagte in seiner Dankesrede, er vertrete in Aachen die Ukrainerinnen und Ukrainer, die jeden Tag für ihre Freiheit und die Werte Europas kämpften. “Jeder von ihnen würde es verdienen, hier zu stehen.” Die Ukraine wolle nichts lieber als den Frieden – dieser könne aber nur mit einem gemeinsamen Sieg gewonnen werden.
Bei seinem Auftritt in Berlin trat Selenskyj Befürchtungen entgegen, seine Streitkräfte könnten mit moderneren westlichen Waffen auch russisches Staatsgebiet angreifen. “Wir greifen das russische Territorium nicht an. Wir befreien unser gesetzmäßiges Gebiet”, sagte er.
Nach seinen jüngst überraschenden Reisen nach Finnland und in die Niederlande hatte Selenskyj am Samstag in Rom Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni und Staatspräsident Sergio Mattarella sowie Papst Franziskus getroffen. In Berlin kam er auch mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zusammen. Am Sonntagabend wird der ukrainische Präsident in Paris erwartet.