Videos des russischen Staatsfernsehens sollen Kremlchef Putin zeigen, wie er erstmals seit Beginn des Angriffskrieg annektierte Gebiete der Ukraine besucht. Im besetzten Mariupol soll er mit Einwohnern sprechen und einen Wohnkomplex bestaunen. Experten zweifeln jedoch an der Echtheit der Aufnahmen.
Laut dem Kreml hat der russische Machthaber Wladimir Putin erstmals seit Beginn des Angriffskriegs gegen das Nachbarland ukrainisches Gebiet besucht. Aufnahmen des Staatsfernsehens sollen den 70-Jährigen bei einer Rundfahrt durch die besetzte Stadt Mariupol zeigen. Das Videomaterial konnte bisher nicht unabhängig verifiziert werden. Experten zweifeln deshalb daran, ob Putin sich tatsächlich die Stadt hat zeigen lassen.
Wladimir Putin im Gespräch mit angeblich “dankbaren” Einwohnern in Mariupol.
(Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS)
Das russische Staatsfernsehen zeigt Putin am Steuer eines Autos bei einer Fahrt durch die nächtliche Stadt. Zu sehen sind am Rande auch zerstörte Gebäude. Aufnahmen zeigen ihn zudem in der Philharmonie der Stadt, wo der Präsident im Saal auf einem Stuhl Platz nimmt. In einer vom russischen Militär aufgebauten Neubausiedlung soll er zudem eine Familie in ihrem Haus besucht und mit weiteren Einwohnern gesprochen haben.
Ein Dozent für russische und postsowjetische Politik an der Universität Bath in Großbritannien schreibt auf Twitter jedoch, dass die in dem Video gezeigten “dankbaren” Bürger nicht echt sein könnten. Zu den Aufnahmen von Putin mit angeblichen Einwohnern Mariupols schreibt Stephen Hall: “Erstaunlicherweise scheint Putin Mariupol besucht zu haben. Es hat über ein Jahr gedauert, bis man sich der Front näherte.” Ein Urteil behalte er sich noch vor, so der Politikexperte weiter. Allerdings habe Putin viele Doubles und “die ‘dankbaren’ Bewohner waren wahrscheinlich Sicherheitspersonal in Zivil”.
Auch der Berater des ukrainischen Innenministers, Anton Geraschtschenko, und selbst ernannter “Feind der russischen Propaganda” ist skeptisch. In einem Tweet vergleicht er Bilder von Putin hinter seinem Schreibtisch im Sicherheitsrat in Moskau mit den Bildern aus Mariupol. Dazu stellt er die Frage: “Hat er mehr Angst vor seinen Beamten als vor den ‘Bewohnern’ von Mariupol?”
Der Chefredakteur der Website New Voice of Ukraine, Euan MacDonald, schaute sich die Videoaufnahmen des neuen Wohnkomplexes genauer an, den Putin besucht haben soll. In seiner Analyse vergleicht er Aufnahmen der neuen Wohnungen mit früheren Aufnahmen des Kremls. Da es ein neuer Bau ist, könne man nur schwer sagen, ob es sich wirklich um Mariupol handelt. Trotzdem würden die Aufnahmen so aussehen, wie die vom Kreml veröffentlichten Bilder bei der Eröffnung im November vergangenen Jahres, schreibt er in einem Tweet.
MacDonald vergleicht auch Bilder vom Inneren der in den Videos gezeigten Wohnung. Diese würden sich ebenfalls mit früheren Aufnahmen des Wohnkomplexes decken. Er hält die Aufnahmen der Wohnungen in Mariupol deshalb für glaubhaft: “Ich würde sagen, es ist wahrscheinlich, dass Putin (oder, wie man traditionell sagt, “ein Mann, der wie Putin aussieht”) gestern Abend tatsächlich in Mariupol war.”
Das strategisch wichtige Mariupol wurde nach Kriegsbeginn am 24. Februar 2022 zunächst von russischen Truppen belagert und nach erbitterten Kämpfen am 20. Mai vollständig eingenommen. Die Stadt wurde während der Kämpfe weitgehend zerstört. Nach der Besetzung wurden vom russischen Militär neue Wohnungen errichtet. Die Ukraine hatte zuletzt angekündigt, Mariupol befreien zu wollen.