Durch den Abzug der Wagner-Söldner fehlen Russland an der Front offenbar Soldaten. Einem Bericht zufolge werden bereits mehrere Einheiten verlegt. Um eine vollständige militärische Mobilisierung zu vermeiden, greift Präsident Putin wohl auf altbewährte Praktiken zurück.
Russland bereitet sich darauf vor, weitere tschetschenische Kämpfer sowie Sträflinge in die Ukraine zu schicken. Dadurch sollen die Lücken gefüllt werden, die die vom Schlachtfeld abgezogenen Wagner-Söldner hinterlassen haben. Das berichtet “Bloomberg” unter Berufung auf europäische Geheimdienstmitarbeiter.
Russland hat demnach eine große Anzahl von Truppen nach Bachmut entsandt, nachdem Wagner Ende Mai seinen Rückzug aus der Stadt angekündigt hatte. Das wiederum soll zu Engpässen in den besetzten Gebieten in der Südukraine geführt haben. Der Aufstand des Wagner-Gründers Jewgeni Prigoschin hat die russischen Streitkräfte einiger ihrer kampferprobtesten Truppen in der Ukraine beraubt. Der Chef des ukrainischen militärischen Nachrichtendienstes, Kyrylo Budanov, sagte der Nachrichtenagentur Ukrainska Pravda, die Gruppe sei “die effizienteste russische Einheit, die in der Lage war, um jeden Preis Erfolge zu erzielen”.
Nach dem Ende des Aufstands hatte Präsident Wladimir Putin den Söldnern drei Optionen offengelassen: das Exil in Belarus, die Rückkehr in ihre Heimatländer und den Beitritt in die russische Armee. Wie viele sich letztlich verpflichtet haben, ist nicht bekannt. Nach Ansicht der Ukraine werden die Wagner-Kämpfer nicht in nennenswerter Zahl auf das Schlachtfeld zurückkehren. Laut Prigoschin sind 20.000 der 50.000 Söldner bereits in der Ukraine gefallen – darunter auch eine große Anzahl an Häftlingen, die Wagner durch niedrigere Einstufungskriterien rekrutieren konnte.
“TikTok-Bataillone” aus Tschetschenien
Viele der Straftäter sollen aber bereits wieder nach Hause zurückgekehrt sein. Das berichtete Prigoschin Mitte Juni. 32.000 Männer hätten ihren Vertrag und den Einsatz bei den Kämpfen erfüllt. Der Wagner-Chef hatte den Kriegsdienst auch als großes Resozialisierungsprogramm gesehen. Die Freigelassenen hätten im Anschluss insgesamt nur 83 Verbrechen begangen, so Prigoschin. Das seien 80 Mal weniger Straftaten als von jenen, die regulär nach Verbüßung ihrer Strafe auf freien Fuß kamen.
Wagners Rückzug hat bislang kaum Auswirkungen auf den Verlauf des Krieges in der Ukraine. Die Entschlossenheit von Russlands Präsident Wladimir Putin, eine vollständige militärische Mobilisierung zu vermeiden, würde bedeuten, dass Russland in den kommenden Wochen wahrscheinlich mehr Tschetschenen und Häftlinge an die Front schicken werde, so die europäischen Beamten.
Wie viele Tschetschenen bereitstehen, ist unklar. Anführer Ramsan Kadyrow, der sich zu Putin bekennt, erklärte im Mai über Telegramm, dass sich bereits 7.000 seiner Soldaten in der Ukraine befänden und weitere 2.400 für zwei neue Regimenter des Verteidigungsministeriums ausgebildet würden. Dabei waren die tschetschenischen Kämpfer in diesem Krieg bisher nicht sonderlich effektiv. Einige Kritiker gaben ihnen den Spitznamen “TikTok-Bataillone”, weil sie in den sozialen Medien aktiver zu sein scheinen als im Kampf.
Dazu verrieten sie über Social-Media-Beiträge ihre Stellungen. Aus deren Positionen sei jedoch auch zu erkennen, dass Kadyrow zögere, seine Streitkräfte für umfassende Offensivoperationen einzusetzen, so das Institute for the Study of War. Im vergangenen Jahr wurden tschetschenische Einheiten hauptsächlich im hinteren Teil der Operationen eingesetzt.