Aktuelle Deutschland Nachrichten

Meymac sucht erschossene Wehrmachtssoldaten

0 8

Fast achtzig Jahre hat er geschwiegen. Nun treibt das Geständnis des früheren französischen Widerstandskämpfers Réveil seine Heimatregion um: In dem Wald, in dem seine Gruppe 47 Wehrmachtssoldaten erschossen hat, sucht man jetzt nach den Überresten der Deutschen.

“Alle wussten es, niemand hat darüber gesprochen”, sagt André Nirelli, französischer Landwirt im Ruhestand. Von der Terrasse seines Hofes hat er einen herrlichen Blick auf die hügelige Landschaft der südwestfranzösischen Corrèze. “Dort waren sie untergebracht”, sagt er und zeigt auf eine große Scheune aus Kalkstein zu seiner Linken. Sie – das waren 47 Wehrmachtssoldaten und eine der Kollaboration verdächtigte Französin, die sich in der Hand einer Gruppe französischer Widerstandskämpfer befanden. Von dieser Scheune aus wurden die Gefangenen in ein Waldstück nahe der Ortschaft Meymac geführt, wo sie Gruben ausheben mussten. Am 12. Juni 1944 wurden sie erschossen, ihre Leichen stürzten in die Gruben.

Die Region ist bekannt für schwere Kriegsverbrechen deutscher Soldaten: Im 50 Kilometer entfernten Tulle hatten SS-Soldaten drei Tage zuvor 99 Zivilisten an Balkonen und Laternen aufgehängt. Eine andere SS-Einheit verübte in dem Ort Oradour-sur-Glane das schlimmste Massaker des Zweiten Weltkriegs in Westeuropa mit 643 Toten.

Am Dienstag wird der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge in der Nähe von Meymac mit der Suche nach den Überresten der Deutschen beginnen. Auslöser dafür war der Bericht des letzten Augenzeugen der Exekution, der nach mehr als sieben Jahrzehnten sein Schweigen gebrochen hatte. “Es war ein Kriegsverbrechen”, sagt der 98 Jahre alte Edmond Réveil, der nicht geahnt hatte, welches Aufsehen er auslösen würde. In den vergangenen Wochen hat er seine Geschichte immer wieder erzählt, geduldig, aber zurückhaltend.

Der Kommandeur, der weinte

Wie seine Widerstandsgruppe die Gefangenen “geerbt” hatte und nicht wusste, was sie mit ihnen machen sollte. Wie sein Kommandeur, ein deutschsprachiger Elsässer, “wie ein Kind geweint” hatte, als er mit den Deutschen sprach. Wie die Wehrmachtsoldaten vor der Erschießung Fotos ihrer Familien ansahen. “Es waren keine jungen Soldaten, die jungen waren in Russland”, erinnert sich der alte Herr. Er selbst habe nicht geschossen.

Fragen danach, warum er so lange schwieg und was ihn nun im hohen Alter zum Reden bewog, weicht er aus. “Es musste gesagt werden”, murmelt er nur. Hatte er Angst vor strafrechtlicher Verfolgung? Wollte er die Kameraden nicht verraten, die gelobt hatten, nicht darüber zu reden?

Skelette im Wald

Trotz ihres Schweigegelübdes hatte es sich damals in Meymac herumgesprochen. “Wenn die ein paar Gläser getrunken hatten…”, erinnert sich Nirelli. Als er zehn Jahre alt war, beobachtete er im Wald, wie dort menschliche Skelette ausgegraben wurden. “Die Schädel haben mich beeindruckt”, erinnert er sich. “Einer hatte hinten ein Loch.”

Schon in den 60er Jahren hatte der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge nach den Überresten der deutschen Soldaten gesucht. Elf von ihnen wurden geborgen und auf einem deutschen Soldatenfriedhof in Westfrankreich bestattet. Es ist unklar, wer die Suche damals veranlasst hat und warum sie wieder eingestellt wurde. Im Umbettungsbericht des Volksbundes gebe es keinen Vermerk dazu, sagte eine Sprecherin. Es deutet einiges darauf hin, dass Sorge bestand, das Ansehen der französischen Widerstandskämpfer zu beschädigen. “Es herrschte eine Omertà”, sagt der Bürgermeister von Meymac, Philippe Brugère. “Niemand wollte, dass die Geschichte hochkocht und das Bild des Widerstands beschmutzt.”

Keine Aufarbeitung von Verbrechen der Résistance

Dieses Gefühl ist auch heute noch anzutreffen. “Réveil hätte besser daran getan zu schweigen”, sagt der frühere Landwirt Nirelli. Andererseits habe er Verständnis für die Nachkommen der deutschen Soldaten, die auf diese Weise Gewissheit bekämen. “Vielleicht muss man auch erst wissen, was passiert ist”, fügt er nachdenklich hinzu.

Der deutsche Historiker Peter Lieb merkt an, dass es bislang keine systematische Aufarbeitung möglicher Verbrechen des französischen Widerstands gibt. “Es ist nach wie vor ein schwieriges Thema”, sagt er. Lieb kommt – ohne Meymac – bei seinen Recherchen auf zehn Fälle, in denen Widerstandskämpfer insgesamt 350 deutsche Soldaten erschossen haben.

Der 98 Jahre alte Réveil berichtet, die Partisanen seien damit überfordert gewesen, eine Gruppe von Kriegsgefangenen zu versorgen. “Es war kein Racheakt”, betont er. Von den Massakern der Waffen-SS wenige Tage zuvor in Tulle und Oradour-sur-Glane habe er damals nichts gewusst. Réveil wirkt heute erleichtert, dass er eine lebenslange Last losgeworden ist. Er wünscht sich, dass für die toten Deutschen im Wald von Meymac ein Gedenkstein aufgestellt wird. Es wäre eine Premiere in Frankreich.

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Website verwendet Cookies, um Ihr Erlebnis zu verbessern. Wir gehen davon aus, dass Sie damit einverstanden sind, aber Sie können sich abmelden, wenn Sie dies wünschen. Annehmen Weiterlesen

Datenschutz- und Cookie-Richtlinie