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Holocaust-Überlebender: “Bedrohungslage hat sich verändert”

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Ivar Buterfas-Frankenthal gehört zu den wenigen Holocaust-Überlebenden, die noch von ihrem Leid erzählen können. Der 90-Jährige ist bei Markus Lanz zu Gast. Dort berichtet er, dass ihm die wachsende Bedrohungslage aktuell Sorgen bereite.

Er wird im Januar 1933 geboren, zwei Wochen, bevor Adolf Hitler in Deutschland an die Macht kommt und sein tausendjähriges Reich ausruft. Das tausendjährige Reich geht zwölf Jahre später unter. Ivar Buterfas-Frankenthal hat Unterdrückung und Repressalien überlebt. Mehr als 1500 Veranstaltungen hat er hinter sich, in denen er vor allem Schülerinnen und Schülern über sein Leben während des Dritten Reichs erzählt, eine Zeit, die immer mehr in Vergessenheit gerät.

“Das Wissen über die Interna des Dritten Reichs ist fast bei null”, schildert Buterfas-Frankenthal seine Erfahrungen aus den Veranstaltungen in der ZDF-Talkshow Markus Lanz. “Das liegt nicht am Unwissen der Lehrer, es liegt einfach daran, dass die Zeit fehlt. Da fehlen Lehrer, da fallen Stunden aus, dann kommt noch eine Epidemie dazwischen.” Eigentlich müsse man schon in der fünften Klasse damit anfangen, die Schüler über den Holocaust und das Dritte Reich aufzuklären, fordert der 90-Jährige.

Der Hass der Nazis

Buterfas’ Eltern sind Künstler. Als Stepakrobatik-Artisten sind sie über die Grenzen Deutschlands bekannt. Doch nach der Machtübernahme der Nazis dürfen sie nicht mehr auftreten, denn der Vater ist Jude. Zunächst wird die Familie von Buterfas’ Großeltern väterlicherseits unterstützt. Sie sind Millionäre, werden jedoch später von den Nazis enteignet und müssen Deutschland verlassen.

Buterfas’ Vater gehört zu den ersten KZ-Häftlingen der Nazis. Er ist Kommunist und wird bereits 1934 ins Konzentrationslager Esterwege gebracht. Dort ist er einer der durch ein Lied bekannt gewordenen Moorsoldaten. Später wird er in das Stammlager Sachsenhausen verlegt, das er erst nach Ende des Zweiten Weltkrieges verlassen darf, körperlich gesund, aber seelisch gebrochen. Er lässt sich von seiner Frau scheiden.

Seinen Vater hat Buterfas kaum gekannt. Seine Mutter beschreibt er als “bildschöne Frau und eine Dame, die so tapfer ist – so was kommt alle tausend Jahre mal auf die Welt. Sie hat ein Denkmal tief in unsere Herzen gesetzt”. Sie sei ein Gigant gewesen, sagt er später. Die Familie lebt zunächst in einer Wohnung in Hamburg-Horn. Dort soll Buterfas auch zur Schule gehen. Und da erlebt er den Antisemitismus der Nazis – am eigenen Körper.

Ein Schulappell: Fahnenmast, Hakenkreuzfahne, Mädchen rechts, Jungen links. Das Absingen des Horst-Wessel-Liedes. Und der Direktor, der dem kleinen Ivar befiehlt, vorzutreten. Dann zitiert Buterfas den Schulleiter: “Hör mal zu, du kleiner Judenlümmel: Du verlässt sofort unseren Schulhof. Du verschwindest hier und lässt dich nie wieder sehen. Du wirst mit deinem jüdischen Pestatem unsere arische Luft nicht weiter belasten. Sieh zu, dass du Land gewinnst.”

“Ich habe geschrien wie am Spieß”

Buterfas ergreift die Flucht. Was ein Jude ist, weiß er nicht. Er will nur nach Hause. Doch er wird von einer Gruppe Hitlerjungen verfolgt, die den Sechsjährigen verprügeln und versuchen, ihn anzuzünden. “Ich habe geschrien wie am Spieß”, erinnert er sich. Eine Gruppe Erwachsener verhindert das Schlimmste.

Buterfas, seine sieben Geschwister und seine Mutter müssen in ein Judenhaus umziehen. “Total verrottet, ohne Wasser, ohne Strom, ein Plumpsklo”, so beschreibt er es heute. Um den Repressalien in Hamburg zu entkommen, macht sich die Familie zu Fuß auf den Weg Richtung Polen. Mehrere Monate sind sie unterwegs.

Doch die friedliche Zeit in der Tucheler Heide in Westpreußen währt nicht lange. Die Familie fliegt auf, den halbjüdischen Kindern droht die Deportation. Es geht zurück nach Hamburg, wo Buterfas den Feuersturm der Alliierten erlebt. In der Nacht zum 28. Juli 1943 greifen 700 britische Kampfflugzeuge die Hansestadt an, 300.000 Bomben verwandeln Hamburg in einen bis zu 1000 Grad heißen Kessel.

Wie durch ein Wunder überlebt Familie Buterfas. Die nächsten Jahre versteckt sie sich in Kellern, lebt von Einbrüchen in Villen von Nazigrößen, die Ivar und sein Bruder Rolf begehen. “Da haben wir Konserven gefunden, Textilien. Die Nazis lebten ja wie die Götter in Frankreich”, erzählt er. “Und mein Bruder Rolf fand auch ein paar Handgranaten.” Damit habe er sich und die Familie in die Luft sprengen wollen, falls sie von der Gestapo erwischt werden sollte. “Und ein paar von diesen Scheinen gleich mit”, erzählt Buterfas.

“Wir müssen aufklären”

Nach dem Zweiten Weltkrieg arbeitet er im Hafen, gehört zur Schietgäng, die Schiffe reinigt. Dann geht er nach Nordrhein-Westfalen und arbeitet im Bergwerk, später auf Wochenmärkten. Seine Frau, mit der er seit 68 Jahren verheiratet ist, hilft ihm, zu sich selbst zu finden. Er gründet eine eigene Firma, wird Boxpromoter. Und er beginnt, seine Geschichte zu erzählen. Seit 1991 macht er das.

Seit dem Angriff der Terrororganisation Hamas auf Israel ist etwas anders, sagt Buterfas-Frankenthal. “Die Bedrohungslage hat sich verändert. Das ist schrecklich.” Ohne Polizeischutz kann er nicht mehr auftreten. Doch seine Arbeit bereut er nicht einen Augenblick. “Wir müssen aufklären”, sagt er. “Das ist ganz wichtig. Denn ohne Aufklärung haben wir keine Chance, dass wir auch nur das Geringste verändern.”

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