Familienministerin Paus und Finanzminister Lindner einigen sich auf einen Gesetzentwurf zur Kindergrundsicherung. Am Montagabend unterhalten sich Gäste in der ARD-Sendung “Hart aber fair” darüber. Klar ist: Kinderarmut wird nicht beseitigt.
“Es ist ein wirklich, wirklich gutes Gesetz”, lobt Bundesfamilienministerin Lisa Paus am Montagabend das Gesetz zur Kindergrundsicherung in den ARD-Tagesthemen. Doch sie schränkt ein: “Mit diesem Gesetz wird es immer noch Kinderarmut in Deutschland geben.” Aber wenigstens sei es auf den Weg gebracht worden. “Schöner wäre anders gewesen”, gibt Paus zu – und deutet den nächsten Streit in der Ampelkoalition an: “Das soziokulturelle Existenzminimum berechnen wir neu.” Sie geht davon aus, dass es danach Leistungserhöhungen geben wird – und spricht von 20 bis 28 Euro. Bundesfinanzminister Lindner hatte zuvor Leistungserhöhungen jedoch ausgeschlossen, mit einer Einschränkung: Für Kinder unter sechs Jahren kommen acht Euro im Monat hinzu. Dass die neue Kindergrundsicherung tatsächlich nicht der große Wurf ist, den sich die Grünen-Politikerin gewünscht hat, lässt sie nur einmal durchblicken, am Ende des kurzen Interviews: “In der Sache ist kein Schaden entstanden”, sagt sie da.
Damit spricht sie unbewusst das aus, was die CDU-Bundestagsabgeordnete Serap Güler in der Sendung “Hart aber Fair” ebenfalls kritisiert: “Ich halte das Gesetz nicht für einen großen Wurf.” Und sie beklagt: “Ich hätte mir einen echten Systemwechsel gewünscht. Das bedeutet, dass man nicht mit dem Gießkannenprinzip an die Sache herangeht. Da hätte ich mir einen Paradigmenwechsel gewünscht.” Den würde es schon geben, lobt Grünen-Co-Chefin Ricarda Lang: “Ich bin nicht enttäuscht. Für mich ist das Gesetz ein ganz klarer Fortschritt.”
Ab 2025 sollen alle Kinder und Jugendlichen einen einkommensunabhängigen Garantiebetrag bekommen. Der löst das bisherige Kindergeld ab. Je nach Einkommen der Eltern und dem Alter der Kinder kann es einen Zusatzbetrag geben. Der soll vor allem Kindern aus Familien helfen, deren Eltern berufstätig sind, aber trotzdem wenig Geld haben. Und dann soll das soziokulturelle Existenzminimum neu berechnet werden. Das ist der Betrag, den man braucht, um bei sparsamem Wirtschaften am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Aktuell wirkt dieser vergleichsweise realitätsfern, glaubt man Heinz Hilgers. Demnach benötigt ein 13-jähriger Junge aktuell vier Euro täglich für Essen und Trinken, einem Säugling stehen für Windeln sechs Euro zu – im Monat. Und genau da müsste sich einiges ändern, fordert der Ehrenvorsitzende des Kinderschutzbundes. “Wenn es um die heutigen Kinder geht, braucht man mehr Geld”, fordert Hilgers.
Nur 2,4 Milliarden Euro übrig geblieben
Das sieht das neue Gesetz aber nicht vor. Von den ursprünglich 12 Milliarden Euro, die die Familienministerin für die Kindergrundsicherung angesetzt hatte, bleiben am Ende 2,4 Milliarden übrig – das sind ungefähr 16 Prozent. Davon gehen jedoch noch Verwaltungskosten ab, hat Serap Güler ausgerechnet. Tatsächlich sollen die Leistungen für ärmere Kinder nicht mehr vom Jobcenter kommen, sondern aus der Familienkasse. Die braucht dafür jedoch deutlich mehr Personal.
Dazu kommt eine Änderung, die Ricarda Lang mit Recht lobt: “Wir gehen weg von einer Holschuld, bei der sich Eltern durch einen Bürokratiedschungel wühlen, hin zu einer Bringschuld, also einer Dienstleistung des Staates für alle Familien. Und wir hören auf, Kinder im Bürgergeldbezug wie kleine Arbeitsuchende zu behandeln und sagen: Das sind Kinder, die ein Recht auf Teilhabe haben. Das ist ein Paradigmenwechsel.”
Tatsächlich werden Familien in Zukunft von der Familienkasse darüber informiert, dass sie Leistungen für Kinder beantragen können, und die Anträge sollen auch übersichtlicher werden. Zudem erklärt Lang: “Man muss auch sagen, dass die genannten 2,4 Milliarden Euro nur ein Baustein sind.” So habe die Bundesregierung das Kindergeld deutlich angehoben, und durch die Inflation würden sich auch die Regelsätze für das Bürgergeld noch einmal erhöhen. Lang geht von mindestens 40 Euro aus. Dabei vergisst sie offenbar, dass eine Bürgergelderhöhung lediglich die durch die Inflation gestiegenen Preise auffängt. Und Heinz Hilgers erklärt zudem: “Von einer Erhöhung des Kindergeldes hat keine Familie mit Bürgergeld etwas. Die wird direkt damit verrechnet. Denen bringt eine Erhöhung des Kindergeldes keinen einzigen Cent.”
Wie es weitergeht
Der Gesetzentwurf soll jetzt zunächst in der Koalition und im November oder Dezember vom Bundestag beraten werden. Dann könnte es noch ein paar Änderungen geben. Eine Idee hat Serap Güler: Eine Angleichung des Steuerfreibetrages für Kinder – von dem vor allem reiche Familien profitieren – an das Kindergeld. “Ich finde es nicht gut, dass Familien mit höherem Einkommen mehr Geld durch den Kinderfreibetrag bekommen als Familien mit niedrigem Einkommen durch das Kindergeld.” Das hört Ricarda Lang gerne und schlägt sofort vor, genau das in diesem Jahr noch zu ändern.
Und sollten die beiden Frauen den Vorschlag wirklich umsetzen, könnte Ministerin Paus mit Recht sagen: “Am Ende ist in der Sache kein Schaden entstanden.”