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Georgier reagieren allergisch auf russische Flüchtlinge

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Seit Beginn des Kriegs in der Ukraine, vor allem nach der Mobilmachung in Russland, sind zehntausende Russen nach Georgien gekommen. Vielen Georgiern sind die neuen Einwanderer suspekt: Sie werfen den Russen vor, sich nicht mit dem Putin-Regime auseinandersetzen zu wollen.

Weihnachten wird in Georgien am 7. Januar gefeiert. Das Land beheimatet zahlreiche Religionen, aber die meisten Georgier sind orthodox. Auf einem Weihnachtsmarkt im Zentrum von Tiflis wird noch Ende Dezember mit Alkohol gefüllte, handgemachte Schokolade verkauft – mit Liebe gefertigt für die ukrainische Armee. Wenige Schritte weiter residiert im Orbeliani-Palast die georgische Präsidentin. Der Vorgarten ist weihnachtlich erleuchtet, im Eingang steht ein festlich geschmückter Tschitschilaki, ein georgischer Weihnachtsbaum, an der Seitenwand hängt eine meterhohe ukrainische Fahne. Russlands Krieg gegen die Ukraine ist auf den Straßen von Tiflis auch während der Weihnachtszeit allgegenwärtig, und auf welcher Seite die Georgier stehen, ist nicht zu übersehen. “Ukraine is Georgia is Ukraine” und “Ruhm für die Ukraine” steht an Häusern oder auf Billboards. Aber auch “Keine Visa für Russen” oder “Russki go home” ist an Wände gesprüht. Die Stadtverwaltung versucht, die Graffitis von Zeit zu Zeit zu entfernen, diese entstehen aber meist über Nacht wieder neu.

Die öffentliche Meinung kontrastiert stark mit dem Umstand, dass nach dem 24. Februar Zehntausende von Russen nach Georgien geflohen sind und sich jetzt überwiegend in den beiden großen Städten Tiflis und Batumi am Schwarzen Meer aufhalten. Die Zahlen sind ungenau, denn die Regierung weigert sich, die ein- oder ausreisenden Russen etwa mit Registrierungsformularen an der Grenze zu erfassen. Schätzungen zufolge befinden sich gegenwärtig etwa 120.000 russische Exilanten in Georgien, die planen, vorerst im Land zu bleiben.

Februar-Russen und September-Russen

Katja aus St. Petersburg ist seit März in Tiflis. Sie arbeitet an einer Untersuchung der beiden großen Emigrationswellen, die auch “Fevraljonoks”, Februar-Russen, und “Sentjabrjonoks”, September-Russen, genannt werden, je nachdem, ob sie ihr Land nach Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine oder der Mobilmachung verlassen haben. Sie will mehr über die Gründe der Emigration, die Einstellung zum Krieg in der Ukraine und die Pläne für die Zukunft erfahren. Über 950 Fragebögen an die Fevraljonoks hat sie bereits zurückerhalten und zahlreiche Interviews mit ihnen geführt, die Befragung der Sentjabrjonoks läuft noch, die Ergebnisse sollen im Januar vorliegen.

Über die kurzfristigen wirtschaftlichen Auswirkungen der russischen Emigration nach Georgien seit Beginn des Krieges ist viel geschrieben worden: boomende Wirtschaft, Tausende neu gegründeter Firmen, starke Währung, hohes Wirtschaftswachstum sowie steigende Miet- und Immobilienpreise. Was aber bedeuten die Immigrationswellen für die georgische Gesellschaft, wie sieht der neue Alltag aus, in dem so viele Georgier und Russen jetzt miteinander umgehen müssen? Katja erzählt von der russischen “Infrastruktur”, die seit dem Frühjahr in Tiflis entstanden ist. Im Juni eröffnete in dem vornehmen Stadtteil Wake “Dissidents Books”, ein russischer Buchladen verbunden mit einem Café, in dem regelmäßig Veranstaltungen stattfinden. Zum Auftakt ging es um die russische Übersetzung des Kinderbuches “Ente, Tod und Tulpe” von Wolf Erlbruch, später wurde über russische Klassiker wie Puschkin, Tolstoj oder Mandelstam diskutiert, im Spätsommer gab es hier auch Tanzabende von “Swing Dance Tbilisi”.

Eine weitere russische Initiative mit dem Namen “Emigration for Action” (efa) befindet sich seit April in einem Haus in der Altstadt. Hier sammeln russische Emigranten humanitäre, insbesondere medizinische Hilfe für ukrainische Geflüchtete, die nach Tiflis gekommen sind. Seit Ende September wird hier auch Russen geholfen, die sich gegen den Krieg aussprechen und die vor der Mobilisierung geflüchtet sind. Auch Film- oder Brettspielabende finden im efa statt.

Ignorante Russen sind nicht willkommen

Gemeinsam ist diesen und anderen von Russen in Tiflis gegründeten Initiativen, dass sie praktisch nicht in die georgische Umgebung integriert sind. Katja berichtet, bei efa gebe es wenige Aktivitäten, die offen für Georgier sind. Was sie meint ist, dass die Veranstaltungen fast ausschließlich auf Russisch stattfinden. “Georgier können da natürlich auch hingehen, aber es wird eben nur Russisch gesprochen”. Viele Georgier reagieren jedoch allergisch auf Russisch und vor allem auf Russen, die nicht über den Krieg in der Ukraine sprechen wollen und die sich um Politik nicht kümmern.

Im Oktober wollte die umstrittene russische Journalistin Ksenia Sobtschak, Tochter des ehemaligen Bürgermeisters von St. Petersburg und Mentors von Wladimir Putin, eine angesagte Bar in Tiflis betreten. Der Inhaber, Data Lapauri, verweigerte ihr den Zutritt. “Wenn Russen nicht wissen, dass 20 Prozent des georgischen Territoriums von Russland okkupiert sind, wenn sie nicht wissen, dass sich die russische Armee in Georgien befindet und russische Panzer 20 Kilometer von hier entfernt stehen, dass russische Soldaten, die vorgeben, Friedenstruppen zu sein, sich illegal in Georgien aufhalten und Menschen entführen, wenn sie das nicht wissen, sondern nur hierherkommen, um Chatschapuri zu essen, dann sind sie hier nicht willkommen.” Das Gespräch, bei dem Sobtschak nur Russisch sprach und Lapauri ihr auf Englisch antwortete, ging in kürzester Zeit viral.

In einem halben Jahr ist in Tiflis eine russische Parallelgesellschaft entstanden, die von vielen Georgiern mit Argwohn beobachtet wird. Sie werfen den russischen Emigranten vor, sich in Georgien eine neue Komfortzone aufzubauen, sich dabei aber nicht mit dem Regime in ihrem eigenen Land, der russischen Verantwortung für den Krieg in der Ukraine oder der Rolle Russlands im Südkaukasus auseinandersetzen zu wollen. Tatsächlich finden in Tiflis viele Veranstaltungen über die Spannungen in der Region statt, für die Russland eine Mitverantwortung trägt, etwa über den Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan oder die ungelösten Konflikte in Georgien. Russland ist dabei fast immer ein Objekt, über das gesprochen wird, es gibt kaum russische Experten, mit denen man über die Entwicklungen in der Region reden kann. Oder reden will.

Auf einer Veranstaltung zum Konflikt um Bergkarabach waren sich die Redner aus Armenien, Aserbaidschan und Georgien einig, dass es am besten wäre, wenn Russland politisch und militärisch aus der Region verschwände. Und auch wenn das wie ein frommer Wunsch klingt: Würden die Russen dann auch noch beginnen, ihre Nachbarn nicht mehr wie ehemalige Kolonien, sondern mit Respekt zu behandeln, würden sie deren staatliche, politische und kulturelle Unabhängigkeit achten und nicht mehr in Frage stellen, dann wäre es vermutlich für viele Georgier, die eigentlich für ihre Gastfreundschaft berühmt sind, einfacher, auch russische Gäste wieder willkommen zu heißen.

Stephan Malerius leitet das Regionalprogramm Südkaukasus der Konrad-Adenauer-Stiftung in Tiflis.

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