Die Panzer der Ukraine werden schon bald nicht mehr einsatzbereit sein, schreiben die FDP-Politikerin Strack-Zimmermann und der Grüne Hofreiter in einem gemeinsamen Beitrag für ntv.de. “Wir sollten schon jetzt in Deutschland beginnen, ukrainische Soldatinnen und Soldaten am Marder und vor allem am Leopard 2 auszubilden.”
Hinter uns liegt ein Jahr, in dem der Schrecken des Krieges zurück nach Europa gekommen ist. Russland hat seinen Nachbarn überfallen und führt seit dem 24. Februar einen unerbittlichen, völkerrechtswidrigen Angriffskrieg, der gezielten Terror gegen die ukrainische Zivilbevölkerung bewusst mit einschließt. In Westeuropa und auch hier in Deutschland hat es einige Zeit gedauert, bis die richtigen Antworten gegeben wurden.
Im April dieses Jahres hatten wir uns gemeinsam mit dem Kollegen Michael Roth ein Bild vor Ort verschafft und in Lwiw im Westen der Ukraine mit Abgeordneten des ukrainischen Parlaments, der Werchowna Rada, getroffen. Uns war es wichtig, dass man in Deutschland versteht, wie dringend erforderlich Deutschlands Handeln ist und dass die Ukraine neben humanitärer und wirtschaftlicher Hilfe vor allem schwere Waffen braucht, um sich zu verteidigen.
Seitdem ist viel passiert und bei unseren Besuchen im Oktober und November in Kyjiw konnten wir beide, wenn auch dieses Mal nicht gemeinsam unterwegs, die Dankbarkeit von ukrainischer Seite spüren: für das gelieferte Flugabwehrsystem Iris-T SLM, das hilft, die ukrainischen Städte vor russischen Marschflugkörpern zu schützen, für den Flugabwehrkanonenpanzer Gepard, der bei der Gegenoffensive in der Region Charkiw eine wichtige Rolle gespielt hat, für die Panzerhaubitze 2000. Die Situation in der Ukraine ist tatsächlich eine andere als im Frühjahr. Die ukrainische Armee hat mithilfe westlicher Waffenlieferungen mehr als die Hälfte des seit dem 24. Februar besetzten Gebiets wieder zurückerobern können.
Dennoch dürfen uns diese militärischen Erfolge nicht den Blick vor der Realität verstellen. Das Schlechteste, das wir jetzt tun können, ist, uns mit dem, was wir bisher getan haben, zufrieden zu geben. Russland terrorisiert die ukrainische Zivilbevölkerung, indem es die Energieinfrastruktur im Nachbarland systematisch zerstört. Millionen Menschen sind ohne Heizung, Wasser und Strom und die kältesten beiden Monate stehen der Ukraine erst noch bevor.
Diese Luftangriffe dienen nicht nur dem Ziel, die Menschen zu demoralisieren. Die russische Armee möchte Zeit gewinnen. Im Verteidigungsministerium in Kyjiw geht man fest davon aus, dass Russland spätestens im Frühjahr eine neue Offensive startet. Russland habe keines seiner Kriegsziele aufgegeben. Man bereite sich daher darauf vor, dass erneut versucht werde, die ukrainische Hauptstadt einzunehmen. In Kürze sind über 200.000 neue russische Rekruten ausgebildet und einsatzfähig.
Deshalb braucht die Ukraine nicht nur mehr Flugabwehr. Sie braucht vor allem auch gepanzerte Fahrzeuge. Konkret geht es um Truppentransporter, Schützenpanzer und Kampfpanzer. Aus zwei Gründen wird uns dabei der Ringtausch nicht mehr weiterhelfen. Erstens haben mittlerweile die europäischen Staaten so gut wie alle Schützen- und Kampfpanzer sowjetischer Bauart an die Ukraine abgegeben. Zweitens geht der Ukraine die Munition aus. Russland hat die ukrainische Rüstungsindustrie nahezu zerstört, gleichzeitig wird in NATO-Staaten nur in sehr geringen Stückzahlen Munition vom Kaliber 125mm produziert, die für Panzer sowjetischer Bauart nötig ist. Selbst wenn die Ukraine weiterhin russische T-72 Kampfpanzer erbeutet, wird sie diese schon bald nicht mehr einsetzen können, weil ihr schlicht die Munition fehlt.
Um der russischen Aggression standhalten zu können, braucht die Ukraine über kurz oder lang noch mehr westliche Waffensysteme. Wir sollten daher schon jetzt in Deutschland beginnen, ukrainische Soldatinnen und Soldaten am “Marder” und vor allem am “Leopard 2” auszubilden. Der “Leopard 2” ist der in Europa am weitesten verbreitete Kampfpanzer, rund 2000 Stück befinden sich in zwölf europäischen Staaten. Gemeinsam mit unseren europäischen Partnern können wir der Ukraine eine ausreichende Zahl zur Verfügung stellen und wären gleichzeitig in der Lage, sie in Polen und der Slowakei zu warten. Dass auch die US-Regierung eine solche Entscheidung befürwortet, hat sie bereits mehrfach klar gemacht.
Auch wenn wir uns alle wünschen, dass das kommende Jahr ein besseres, ein friedlicheres wird, ist es unsere Aufgabe als verantwortungsvolle Politikerinnen und Politiker, uns auch auf das Schlimmste vorzubereiten. Wir haben in der jüngsten Vergangenheit zu oft die Augen vor den allzu offensichtlichen Gefahren verschlossen. Vielmehr müssen wir jetzt die richtigen Entscheidungen treffen, damit der russische Imperialismus keinen Erfolg hat und die Ukraine den Krieg gewinnt.