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Die Kanzler-Klappe kommt an – die Gipfelerklärung nicht

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Rund 32 Stunden verbringt Olaf Scholz in Neu-Delhi. Der Bundeskanzler ist zum ersten Treffen der G20 in Indien gereist. Es war sein bisher schwierigster Gipfel, allerdings auch einer, bei dem der Kanzler überraschend im Mittelpunkt stand – aber nicht wegen der Abschlusserklärung.

Die Erwartungen an diesen Gipfel hatte man in Kreisen der Bundesregierung schon im Vorfeld heruntergeschraubt. Es werde hart verhandelt, hieß es während der Anreise. Besonders strittig war ein gemeinsamer Text zum Angriffskrieg auf die Ukraine und das Thema Klima. Dass es keine Erklärung geben und damit der ganze Gipfel scheitern könnte, wollte man sich zwar nicht ausmalen. Euphorisch ging es für Bundeskanzler Olaf Scholz und seinen Finanzminister Christian Lindner aber nicht nach Delhi.

Ganz anders trat die indische Seite auf. Das Land richtete das erste Mal den G20-Gipfel aus und das sollte jeder sehen. Auch der deutsche Bundeskanzler und seine Delegation. Und zwar direkt nach der Ankunft, schon auf dem Weg vom Flughafen in Delhi in die Stadt. Überall stehen Plakate mit dem Konterfei des indischen Präsidenten Narendra Modi: “Welcome G20 Delegates”. Nichts wird dem Zufall überlassen.

Die Sicherheitsvorkehrungen sind enorm, selbst den berühmt-berüchtigten Verkehr von Delhi haben sie in den Griff gekriegt – das Zentrum ist praktisch abgeriegelt, die Bäume sind aufwendig mit Blumen geschmückt. Sogar die Rhesusaffen werden von den Staats- und Regierungschefs ferngehalten: Große Pappaufsteller von Langurenaffen vertreiben die Plagegeister von den Straßen der Hauptstadt. Zusätzlich sind spezielle Affenvertreiber in Delhi unterwegs, die Primatenlaute imitieren, um die Tiere abzuschrecken.

Erfolgreich, wie es scheint: Auf dem Weg Richtung Kongresszentrum sind nur wenige der hellbraunen Rhesusaffen auf den Gehwegen zu sehen. Wenn die Welt zu Gast ist, sollen die frechen Tiere nicht stören.

Minimalkonsens mit Hängen und Würgen

Am Samstagnachmittag ist die gemeinsame Gipfelerklärung schließlich fertig. Ein großer Erfolg, so verkauft es nicht nur Indien, sondern auch Olaf Scholz. Die anderen Staats- und Regierungschefs sind ebenfalls zufrieden, sogar der russische Außenminister Lawrow. So viel Einigkeit bei so großen Unterschieden beweist, was man von der Erklärung halten darf: Es handelt sich um einen Minimalkonsens und obendrein einen, den nur mit Hängen und Würgen erreicht wurde.

Eine klare Verurteilung des Angriffskrieges auf die Ukraine fehlt, dafür hat Russland seine Forderung rein verhandelt, wieder Getreide- und Düngetransporte aus Russland zuzulassen. Den Satz, dass die territoriale Souveränität eines jeden Landes gewährleistet sein muss, hebt Olaf Scholz als besonderen Erfolg hervor. Etwas, was im 21. Jahrhundert eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollte.

Mit diesem weichgespülten Kompromiss retten die Staats- und Regierungschefs ihren eigenen Gipfel. Und weil lange unklar war, ob man sich in Neu-Delhi überhaupt gegen die Blockade von Russland und China würde durchsetzen können, verteidigt auch die Bundesregierung fast schon vehement eine G20-Erklärung, die hinter ihren eigenen Ansprüchen zurückfällt.

“Alle hatten davon gehört”

Und auch Gastgeber Indien muss Abstriche machen, obwohl nichts dem Zufall überlassen wurde. Doch trotz all der Modi-Plakate in Neu-Delhi zog beim Gipfel selbst ein anderer die Aufmerksamkeit auf sich: Der Kanzler, der seit seinem Joggingunfall eine Augenklappe trägt. Fast jeder der anderen Staats- und Regierungschefs spricht ihn darauf an, viele Gespräche beginnen so. Kein Wunder, schließlich ist die Kanzler-Klappe nicht zu übersehen.

“Alle haben sich danach erkundigt, wie es passiert ist, und mir beste Genesung gewünscht”, verrät Scholz vor Ort im Interview mit ntv und RTL. “Alle hatten davon auch schon gehört, denn das ist ja dann doch weltweit irgendwie wahrgenommen worden, dass ich jetzt eine kurze Zeit mit Augenklappe durch die Gegend laufe.”

Es war der bisher schwierigster Gipfel des Kanzlers, aber nicht, weil die Sicht eingeschränkt, sondern weil eine Einigung bei der Gipfelerklärung so kompliziert war, die Fronten so verhärtet. Als Scholz mit seiner Augenklappe wieder Richtung Flughafen fährt, sitzen plötzlich auch wieder einige der extra vertriebenen Rhesusaffen in den Bäumen. Auch Gastgeber Indien muss also Abstriche machen.

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