Chinesische Firmen wollen in der EU neue Werke eröffnen. Sie seien der europäischen Konkurrenz bei der Produktion von E-Autos weit voraus, sagt Gregor Sebastian, Experte für Industriepolitik, im Interview. Sebastian forscht am Mercator Insitute of China über chinesische Direktinvestitionen und Partnerschaften in Europa. Er betont, dass chinesische Unternehmen in anderen Sektoren, die Peking als strategisch wichtig einstuft, noch hinterherhinke. Sie wollten sich deshalb von deutschen Marktführern etwas abgucken.
ntv.de: Statt wie früher auf Firmenübernahmen zu setzen, errichtet China nun lieber Tochterunternehmen oder Produktionsstätten in Europa. Warum gibt es diesen Strategieschwenk?
Gregor Sebastian: Die Firmen, die früher aufgekauft haben, gründen jetzt nicht unbedingt Tochterunternehmen in Europa. Es sind eher andere Unternehmen, die auf diese Strategie setzen. Früher war China stark auf ausländische Technologie angewiesen, das ist teilweise noch immer der Fall. Damals hat man unter anderem in Deutschland versucht, Unternehmen zu kaufen, um die Technologie nach China zu bringen. Das hat aber an Bedeutung verloren. In einigen Sektoren sind chinesische Unternehmen jetzt Weltmarktführer, bei E-Autos, insbesondere bei Batterien. Sie expandieren nach Europa. Das sind kapitalintensive Industrien. Das heißt, mit ein paar 100 Millionen Euro ist es bei diesen Investitionen nicht getan. Es gibt eine Handvoll chinesischer Unternehmen, die vor allem in den Batteriesektor, aber auch in den Bereich der Informations- und Kommunikationstechnik in Europa investieren.
Gregor Sebastian ist Experte für Chinas Industriepolitik am Mercator Insitute of China Studies.
(Foto: MERICS)
Deutschland ist besonders beliebt, wenn chinesische Unternehmen expandieren wollen. Warum?
Das hat drei Gründe. Erstens ist Deutschland im Vergleich zu anderen europäischen Ländern noch immer relativ offen gegenüber chinesischen Investitionen. Vor allem in Italien und Großbritannien wurden zuletzt Prüfverfahren gegenüber chinesischen Unternehmen stark ausgeweitet. Zweitens ist Deutschland da stark, wo China aufholen will. In Sektoren wie Maschinenbau, Medizingeräte und in der Pharmaindustrie ist es in Europa einer der wichtigsten Player. Von den zehn Sektoren, die Peking in seiner “Made in China 2025”-Strategie für die Automatisierung und Digitalisierung der Industrie nennt, ist Deutschland in sieben oder acht in Europa führend. Drittens ist für die Eröffnung neuer Batteriewerke entscheidend, dass sie in der Nähe großer Autohersteller angesiedelt sind, also in Frankreich oder Deutschland. Sie werden auch in Ungarn gebaut, weil dort viele deutsche Hersteller produzieren.
Investieren chinesische Firmen jetzt weniger in Europa als früher?
China hat 2014 die Regeln für Auslandsinvestitionen gelockert, was zu einem rapiden Anstieg von chinesischen globalen Investitionen geführt hat, auch in Europa. Investitionen flossen in Hochtechnologie-Unternehmen wie Kuka, aber auch in Fußballclubs, Hotels oder Immobilien, was Peking ein Dorn im Auge war. Deswegen hat die chinesische Regierung seit 2017 Auslandsinvestitionen wieder erschwert. Dazu kommt, dass die Kapitalbeschaffung schwieriger ist. Lange Zeit hatten insbesondere chinesische Staatsunternehmen einen offenen Geldhahn. Das ist jetzt nicht mehr in dem Maße der Fall, denn Peking möchte finanzielle Risiken eindämmen. Hinzu kommen Investitionskontrollen in den USA und Europa. Seit 2019 schreibt eine EU-Verordnung vor, dass Investitionen aus dem Ausland geprüft werden sollen.
Chinesische Firmen werden also nicht so stark subventioniert wie früher, aber noch immer fließt viel Geld, wenn sie in Europa Fuß fassen wollen. Entsteht dadurch eine Gefahr für heimische Unternehmen?
Neue Produktionsstätten bringen auch Vorteile. Arbeitsplätze werden geschaffen in Technologiebereichen, in denen Europa vorne mitspielen möchte. Aber wenn Peking Unternehmen bei Auslandsinvestitionen subventioniert, kann das in der EU zu Marktverzerrungen führen. Im Konfliktfall kann Peking die Werke in Europa schließen, obwohl wichtige Zulieferketten und Technologien in chinesischer Hand sind. Das größte Risiko ist aber, dass man es nicht schafft, europäische Batterie- oder Autohersteller aufzubauen, weil die Konkurrenz zu günstig ist. Europäische Batterieunternehmen wie Northvolt in Schweden könnten in Schwierigkeiten geraten, sollten chinesische Konkurrenten noch weitaus mehr in Europa investieren.
EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen pocht auf De-Risking, im Umgang mit China sollen die wirtschaftlichen Risiken und Abhängigkeiten reduziert werden. Sind die neuen Investitionskontrollen, die Sie beschreiben, auch ein Teil dieser Strategie?
Die Investitionsprüfung ist nur eines von vielen Instrumenten in der bisher noch näher zu definierenden De-Risking-Strategie. Die EU möchte außerdem mehr Freihandel mit anderen Ländern treiben. Im Beschaffungsmarkt sollen statt der chinesischen die europäischen Unternehmen ihre Geschäfte ausbauen. Europäische Unternehmen haben Probleme, in China am öffentlichen Beschaffungsmarkt teilzunehmen. Vor allem in den oben genannten Sektoren wie Medizingeräten werden ausländische Hersteller aus dem Markt gedrängt. Umgekehrt ist aber der europäische Beschaffungsmarkt noch immer offen für chinesische Firmen, da sie besonders günstig produzieren. Gut möglich, dass sich das bald mit dem neuen Beschaffungsinstrument auf EU-Ebene ändern wird.
Welche Auswirkungen haben die Eröffnungen chinesischer Werke oder Minen in Europa für die starke Abhängigkeit des Kontinents von chinesischen Rohstoffen?
Optimal wäre, wenn europäische Unternehmen hier Batteriewerke oder Minen eröffnen, dann würden auch Profite in Europa verbleiben. Aber es ist immer noch besser, dass chinesische Unternehmen auch entlang der Zulieferkette von Batterien, in Minen und Raffinerien in Europa investieren, das würde die Importabhängigkeit mindern. Wir haben im Konflikt mit Russland gesehen, dass man Produktionsstätten teilweise beschlagnahmen kann, die Produktion könnte potenziell weiter fortgesetzt werden, auch in einem extremen Eskalationsfall.
Was kann Europa noch tun, um die Abhängigkeit zu verringern?
Ein Teil der Lösung wäre, die Global-Gateway-Initiative der EU voranzutreiben und enger mit Drittländern zusammenzuarbeiten, denn Europa hat zum Beispiel keine riesigen Lithium-Vorkommen. Wenn man die Produktion grüner Technologien steigern will, braucht die EU auch die Zusammenarbeit mit Drittländern. Projekte der Global-Gateway-Initiative laufen derzeit erst sehr langsam an. Chinesische Firmen wie BYD oder CATL nehmen dagegen bereits viel Geld in die Hand, um mit Bolivien oder Chile zu kooperieren und ihnen eine Entwicklungsperspektive zu ermöglichen. Peking baut dann nicht mehr nur Rohstoffe ab, sondern lässt die Länder Teil der Lieferkette werden, zum Beispiel durch die Weiterverarbeitung von Rohstoffen. Auch die EU versucht das teilweise, könnte hier aber noch wesentlich mehr machen.
Mit Gregor Sebastian sprach Lea Verstl