US-Präsident Biden trifft sich in Warschau mit den Staatschefs der sogenannten Bukarest-Gruppe, einem Verbund osteuropäischer NATO-Staaten. Hier wird deutlich, wie sehr sich die Machtstrukturen in NATO und EU in Richtung Osten verschoben haben.
Wenn es um den aktuellen Besuch von Joe Biden in Polen geht, fällt meist ein Wort: historisch. Tatsächlich ist diese Beschreibung nicht übertrieben. Dass ein US-Präsident innerhalb von zwölf Monaten zweimal das Land an der Weichsel besucht und dort öffentlich eine Rede hält, hat es bisher nicht gegeben. Nebenbei: Einen Staatsbesuch in Deutschland hat Biden noch nicht absolviert.
Dass dies der Fall ist, bedeutet jedoch nicht, dass zwischen der Biden-Administration und der nationalkonservativen Regierung in Warschau schon lange besonders enge Beziehungen herrschen. Im Gegenteil: Noch 2020 gaben regierungsnahe Medien in Polen das Trump-Märchen von den gefälschten Präsidentschaftswahlen weiter, weil sie und auch nationalkonservative Politiker in Polen aus ihren Sympathien für den Republikaner kein Geheimnis machten. Polens Staatspräsident Andrzej Duda brachte damals gar das Kunststück fertig, zusammen mit Putin als einer der Letzten Biden zu seiner Wahl zur gratulieren.
Jetzt ist Polen “einer der großartigsten Partner”
Noch 2021 soll Washington der polnischen Regierung mit Sanktionen gedroht haben, weil die nationalkonservative Regierungspartei PiS mit einem umstrittenen Mediengesetz den von ihnen verhassten privaten Fernsehsender TVN mundtot machen wollte. Dieser gehört seit einigen Jahren dem US-Medienkonzern Discovery. Bei seiner Rede am Dienstag bezeichnete Biden Polen als “einen der großartigsten Partner”.
Diese Rede und der Besuch Bidens insgesamt zeigen, wie sich durch den vor einem Jahr begonnenen russischen Angriffskrieg in der Ukraine die Machtstrukturen innerhalb der NATO und der Europäischen Union in Richtung Osten verschoben haben. Überraschend ist das nicht. Durch den Krieg wurden Polen, Tschechien, die Slowakei und die drei baltischen Staaten Litauen, Lettland und Estland wegen ihrer Nähe beziehungsweise gar direkten Nachbarschaft zur Ukraine und zu Russland zu Frontstaaten des transatlantischen Verteidigungsbündnisses. So spielt Polen nicht nur eine besonders wichtige Rolle bei der Aufnahme und Verteilung ukrainischer Flüchtlinge, sondern ist auch ein Knotenpunkt für die militärischen und humanitären Hilfen des Westens.
All dies sind Staaten, die durch den russischen Krieg in der Ukraine noch größere Sorge um die eigene Sicherheit haben. Diese erklärt nicht nur, weshalb Litauen, Lettland, Estland und Polen laut dem “Ukraine Support Tracker” des Kieler Instituts für Weltwirtschaft gemessen am Bruttosozialprodukt zu den vier größten Unterstützern der Ukraine gehören, es erklärt auch die gestiegenen Verteidigungsausgaben dieser Staaten. So hat Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki erst kürzlich die Erhöhung des diesjährigen Wehretats auf vier Prozent des Bruttosozialprodukts angekündigt. Schon der ursprüngliche Verteidigungshaushalt für 2023 lag mit drei Prozent des BIP über dem der Bundesrepublik.
Deutschland gilt noch immer als wenig verlässlich
Diese Verteidigungsausgaben sagen viel aus über das Verhältnis der östlichen NATO- und EU-Partner zu Deutschland und anderen westeuropäischen Staaten. Die von Bundeskanzler Olaf Scholz angekündigte Zeitenwende wurde von Warschau bis Tallinn zwar begrüßt. Dass sie nun aber schleppend verläuft, sorgt für Enttäuschung. Nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre, als Deutschland trotz aller Mahnungen aus Ostmitteleuropa an Nord Stream 2 festhielt, ist dies für die osteuropäischen Regierungen nur ein weiteres Beispiel dafür, dass man sich sicherheitspolitisch auf Deutschland, aber auch auf Frankreich, nicht verlassen kann.
Das führt dazu, dass sich die Ostmitteleuropäer noch mehr auf die USA konzentrieren, die bereits Soldaten in der Region stationiert haben. Bereits am Dienstag plädierte Präsident Duda für “mehr Amerika in Europa” und kündigte an, dass das Ziel der polnischen EU-Ratspräsidentschaft, die das Land 2025 haben wird, eine Vertiefung der transatlantischen Zusammenarbeit sein sollte.
Biden nennt Artikel 5 “heilig und unantastbar”
Eine Grundaussage, die auch das heutige Treffen von Biden mit der Bukarest-Gruppe in Warschau dominierte. So erklärte der rumänische Präsident Klaus Johannis, dass die Anwesenheit Bidens nicht nur die Sicherheit der NATO-Ostflanke unterstreiche. “Sie schließt auch eine verstärkte militärische Präsenz ein. Dies muss fortgesetzt werden und beinhaltet auch die Vorbereitung einer amerikanischen Strategie für die Schwarzmeer-Region”, so Johannis bei dem Treffen, an dem die Präsidenten Polens, Tschechiens, der Slowakei, der drei baltischen Staaten, Ungarns und Bulgariens teilnahmen. “Herr Präsident, Ihre Anwesenheit ist ein weiterer Beweis dafür, dass die transatlantische Zusammenarbeit so eng ist wie nie bisher”, erklärte wiederum die slowakische Präsidentin Zuzana Čaputová an Biden gewandt. Dieser wiederum bezeichnete den Artikel 5 der NATO, der den Bündnisfall beschreibt, als “heilig und unantastbar”.
Eine Teilnehmerin an dem Treffen der Bukarest-Gruppe mit Biden war auch Moldaus Präsidentin Maia Sandu. Ein klares Signal an Russland, dem von Sandu vorgeworfen wird, in ihrem Land einen Umsturz geplant zu haben. Deutliche Worte fielen auch bezüglich der Ukraine. Bei dem Treffen wurde nicht nur jegliche Unterstützung bis zu deren Sieg über Russland zugesichert, sondern bei Biden auch für eine transatlantische Perspektive des Landes geworben. Für die Ostmitteleuropäer ist diese ein Garant für einen langfristigen Frieden in der Region.