Angesichts des Auftretens der Omikron-Variante des Corona-Virus soll es spätestens nach Weihnachten stärkere Einschränkungen im öffentlichen Leben in Deutschland geben. Darauf wollen sich nach Informationen des Tagesspiegels Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und die Ministerpräsidentenkonferenz an diesem Dienstag bei ihrer erst am Sonntag vereinbarten Schaltkonferenz verständigen.
Demnach ist geplant, dass spätestens ab dem 28. Dezember private Zusammenkünfte von Geimpften und Genesenen nur noch mit maximal 10 Personen erlaubt sind – innen und außen. Das soll vor allem für Silvesterfeiern gelten.
Die Formulierung „spätestens“ lässt den Ländern allerdings die Möglichkeit, den Schritt auch schon vorher umzusetzen. Das gilt auch für den Beschluss, Clubs und Diskotheken dann zu schließen. Tanzveranstaltungen sollen verboten werden.
Überregionale Sport- und Kulturveranstaltungen müssen nach einem Beschlussvorschlag von Montagnachmittag spätestens ab dem 28. Dezember ohne Zuschauer stattfinden, das gilt auch für vergleichbare Großveranstaltungen anderer Art. Das wird bis ins neue Jahre gelten, denn die nächste Bund-Länder-Runde wird wohl nicht vor dem 5. Januar stattfinden.
Die schon bestehenden Kontaktbeschränkungen für Ungeimpfte bleiben. Damit gilt im Kultur- und Freizeitbereich sowie im Einzelhandel weiterhin die 2G-Regel. Ergänzend kann 2G-plus vorgeschrieben werden. Weiterhin sind Ausnahmen für Kinder. Jugendliche und Personen möglich, die nicht geimpft werden können.
Wenn nicht geimpfte oder nicht genesene Personen sich an privaten Treffen beteiligen, gilt weiterhin die Beschränkung auf Angehörige des eigenen Haushalts sowie höchstens zwei Personen eines weiteren Haushalts. Ungeimpfte können ihre Arbeitsstelle nur mit tagesaktuellem Test betreten.
Das soll in der Bund-Länder-Runde am Dienstag beschlossen werden:
- Spätestens ab dem 28. Dezember sollen private Zusammenkünfte auch für Geimpfte nur noch mit maximal 10 Personen erlaubt sein. So sollen vor allem Silvesterpartys eingedämmt werden.
- Clubs und Diskotheken in Innenräumen werden dann komplett geschlossen. Tanzveranstaltungen sind verboten.
- Große Sport- und Kulturveranstaltungen finden ohne Zuschauer statt. Das gilt auch für vergleichbare Großveranstaltungen.
- Bei allen privaten Treffen wird zu einer vorsorglichen Selbsttestung geraten. Das soll vor allem für Treffen mit Älteren gelten.
- Die Überbrückungshilfe IV soll für die von den Einschränkungen betroffenen Unternehmen bestehen bleiben.
Kurz vor Beginn der MPK veröffentlichte das Robert Koch-Institut (RKI) ein Strategiepapier mit drastischen Empfehlungen: Es brauche „maximale Kontaktbeschränkungen“, die „sofort beginnen“ sollten und bis zunächst Mitte Januar gelten, wie das RKI am Dienstag auf Twitter schrieb.
Reisen sollten auf das unbedingt Notwendige reduziert, Restaurants sofort geschlossen und die Weihnachtsferien für Kitas und Schulen verlängert werden, heißt es außerdem.
Das RKI spricht mit Blick auf die Omikron-Variante von einer „aktuell in Deutschland beginnenden pandemischen Welle“. „Die Konzepte 2G/3G sollten unter Berücksichtigung der Omikron-Variante geschärft werden, da von einer erheblichen Transmission dieser Variante auch durch Genesene und vollständig Geimpfte ohne Auffrischimpfung ausgegangen werden muss“, schreibt das RKI.
Weltärztepräsident Frank Ulrich Montgomery kritisiert die von Bund und Ländern geplanten Maßnahmen. „Ein Lockdown light dient nur der Besänftigung des eigenen schlechten Gewissens und der Betäubung der Bevölkerung“, sagte Montgomery der „Augsburger Allgemeinen“.
„Die Politik macht immer wieder dieselben Fehler“, beklagte Montgomery. Zwar sei nicht immer ein bundesweiter Lockdown angemessen; auch harte regionale Einschränkungen könnten sinnvoll sein. „Aber, wo dann Lockdown draufsteht, muss auch Lockdown drin sein. Halbherzigkeit hatten wir nun wirklich genug.“
„Wir werden weitere Kontakteinschränkungen brauchen, auch im privaten Bereich und auch für Geimpfte“, sagte hingegen SPD-Chef Lars Klingbeil dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Er glaubt, dass Deutschland wegen der vergleichsweise niedrigen Corona-Impfquote von Omikron möglicherweise schlimmer betroffen sein wird als andere Länder.
„Wir haben in Deutschland das Problem, dass nur 70 Prozent der Bevölkerung geimpft ist. Deswegen kann es uns härter treffen als andere Länder“, so Klingbeil. „Die Zahl der Ungeimpften ist mit Omikron eine riesige Herausforderung.“
Lauterbach schließt harten Lockdown vorerst aus
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hatte sich zuletzt gegen einen Lockdown vor Weihnachten wie in den Niederlanden ausgesprochen. „Nein, einen Lockdown wie in den Niederlanden vor Weihnachten, den werden wir hier nicht haben“, sagte er am Sonntag dem „Bericht aus Berlin“ der ARD.
„Aber tatsächlich ist es so: Wir werden eine fünfte Welle bekommen“, sagte Lauterbach weiter. „Wir haben jetzt eine kritische Zahl von Omikron-Infizierten überschritten. Somit lässt sich diese Welle nicht mehr komplett aufhalten, und der müssen wir begegnen.“
Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) will einen Lockdown zwar verhindern, aber nicht ausschließen. „Ein Instrument ein für alle Mal auszuschließen, das empfiehlt sich nicht in einer dynamischen Lage“, sagte Buschmann am Dienstag im Deutschlandfunk vor der Bund-Länder-Runde zu neuen Corona-Auflagen. „Aber im Moment wollen wir auf die Booster-Kampagne setzen und mit dem Instrument der Kontaktbeschränkungen arbeiten.“
Buschmann stellte klar, dass ein Lockdown die Freiheit der Menschen erheblich beschränke und sie auch in ihrer Entwicklung beeinträchtige mit „gesundheitlichen Schäden an der Seele, aber auch am Leib“. Auch Schulschließungen hätten deutliche Folgen. „Unser Ziel ist es, das zu verhindern.“
Laut einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts würden derzeit die Hälfte (rund 50 Prozent) der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland einen erneuten Lockdown befürworten, inklusive Schulschließungen, nach den Weihnachtsfeiertagen. Rund 40 Prozent würden dies ablehnen, wie YouGov am Dienstag mitteilte.
Auch NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) warnt davor, „jetzt Dinge auszuschließen“. Der Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz sagte außerdem bei „Bild live“: „Wir sollten uns jetzt vorbereiten, wir sollten einen Plan entwickeln für die kommenden Wochen, damit wir gut durch diese Zeit kommen.“
Zu einer neuen Infektionswelle durch die Omikron-Variante sagte Wüst: „Die Experten beschreiben die fünfte Welle, die jetzt auf uns zukommt, als sehr, sehr gefährlich. Wir müssen jetzt Entscheidungen treffen, damit wir auch unsere kritische Infrastruktur beispielsweise aufrechterhalten. Niemand kann heute sagen, wann das vorbei sein wird oder zu welchen Maßnahmen wir noch gezwungen sein werden.“
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) äußerte Bedenken an dem geplanten Kurs. „Es schafft Unsicherheit, wenn einerseits gesagt wird: Weihnachten ist alles ok, aber Silvester geht quasi die Welt unter“, sagte Söder im ARD-„Morgenmagazin“. „Wir müssen heute einfach Klarheit schaffen, Planungssicherheit geben und den Menschen auch Vertrauen geben.“ Zudem müsse darüber gesprochen werden, wie es mit den Schulen nach den Weihnachtsferien weitergehe.
Söder fordert vor der Bund-Länder-Runde zudem die erneute Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite. Es sei ein „Kardinalfehler“ der Ampel-Parteien gewesen, diese überhaupt erst auslaufen zu lassen, sagte Söder im ARD-„Morgenmagazin“.
Der CSU-Chef nannte es „absurd“, in einer Situation, „in der manche Experten sagen, es käme keine Welle auf uns zu, sondern eine regelrechte Wand, zu sagen, es gebe diese epidemische Lage nicht“. Die epidemische Lage halte „einige Instrumente“ bereit, die derzeit „nicht nutzbar“ wären, kritisierte der CSU-Politiker.
Aufgrund der massiv verschärften Lage ist auch Grünen-Gesundheitsexperte Janosch Dahmen offen dafür, die epidemische Lage von nationaler Tragweite erneut festzustellen. „Wir müssen darüber hinaus vorbereiten, dass wir auch einen weiter gehenden Lockdown auf den Weg bringen können“, verlangte aber Dahmen. Es könne sein, dass dann normale Geschäfte nicht mehr offen bleiben könnten, sondern nur Apotheken und Geschäfte zur Abdeckung des täglichen Bedarfs.
Auf die Frage, ob es richtig sei, mit der Umsetzung der bereits geplanten neuen Maßnahmen bis nach Weihnachten zu warten, äußerte sich Dahmen zurückhaltend. „Jeder von uns ist aufgerufen, Weihnachten nur getestet und im kleinen Familienkreis zu verbringen“, sagte er lediglich. Zudem sollten sich die Parlamente in Bund und Ländern für Beratungen auch über die Feiertage bereit halten.
Der Corona-Expertenrat hatte am Sonntag mitgeteilt, dass er wegen der Ausbreitung der Omikron-Variante „Handlungsbedarf“ bereits für die kommenden Tage sehe. „Wirksame bundesweit abgestimmte Gegenmaßnahmen zur Kontrolle des Infektionsgeschehens sind vorzubereiten, insbesondere gut geplante und gut kommunizierte Kontaktbeschränkungen“, heißt es in einer ersten Stellungnahme.
Das empfiehlt der Rat konkret:
- Insbesondere für Ältere und andere Personen mit bekanntem Risiko für einen schweren Covid-19-Verlauf sei „höchste Dringlichkeit“ geboten. Modelle zeigten, dass Boosterimpfungen alleine keine ausreichende Eindämmung der Omikronwelle bewirkten, sondern „zusätzlich Kontaktbeschränkungen“ notwendig seien.
- „Neben den notwendigen politischen Entscheidungen muss die Bevölkerung intensiv zur aktiven Infektionskontrolle aufgefordert werden“, so die Experten. „Dazu gehören die Vermeidung größerer Zusammenkünfte, das konsequente, bevorzugte Tragen von FFP2 Masken, insbesondere in Innenbereichen, sowie der verstärkte Einsatz von Schnelltests bei Zusammenkünften vor und während der Festtage.“
- „Parallel sollte die Impfkampagne erheblich intensiviert werden. Die Boosterimpfungen, wie auch die Erst- und Zweitimpfungen, müssen auch über die kommenden Feiertage mit allen verfügbaren Mitteln fortgesetzt und weiter beschleunigt werden.“
Nationale und internationale Modellierungen der Infektionsdynamik und möglicher Spitzen-Inzidenzen zeigten eine „neue Qualität der Pandemie“ auf, heißt es. „Die in Deutschland angenommene Verdopplungszeit der Omikron-Inzidenz liegt aktuell im Bereich von etwa 2-4 Tagen.“ Durch die derzeitig gültigen Maßnahmen sei diese Verdoppelungszeit im Vergleich zu England zwar etwas langsamer, aber deutlich schneller als bei allen bisherigen Varianten.
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„Sollte sich die Ausbreitung der Omikron-Variante in Deutschland so fortsetzen, wäre ein relevanter Teil der Bevölkerung zeitgleich erkrankt und/oder in Quarantäne“, heißt es. „Dadurch wäre das Gesundheitssystem und die gesamte kritische Infrastruktur unseres Landes extrem belastet.“
Dem Corona-Expertenrat zur Beratung der Bundesregierung gehören etwa der Virologe Christian Drosten, die Virologin Melanie Brinkmann und die Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Alena Buyx, an – sowie unter anderen Thomas Mertens, der Vorsitzende der Ständigen Impfkommission, sowie Lothar Wieler, Präsident des Robert Koch-Instituts.
„Wir sind uns relativ sicher, dass Omikron etwa Mitte bis Ende Januar die dominierende Variante in Deutschland sein wird“, sagte der Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi), Gernot Marx, der „Rheinischen Post“.
Da man aktuell noch zu wenig über diese Virusvariante wisse, müsse man Studien aus dem Ausland studieren, die Entwicklung der Inzidenzen „engmaschig beobachten“ und die Lage sondieren. In den USA ist die Omikron-Variante bereits dominant, wie am Dienstag bekannt wurde.
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Bund und Länder treibt nicht zuletzt die Sorge um die sogenannte kritische Infrastruktur um – dazu zählen etwa Strom- und Wasserversorgung, Polizei, Rettungsdienste oder Krankenhäuser. Der Expertenrat hatte darauf hingewiesen, dass schnell steigende Inzidenzen und damit ein hoher Krankenstand eine Gefahr für diese Bereiche darstellen könnte.
Allerdings ist das Vorgehen der Bundesregierung im Länderkreis umstritten. Das Kanzleramt wollte sich eine lenkende Rolle über den neu eingerichteten Krisenstab unter Leitung eines Bundeswehr-Generals einräumen. Dass die Betreiber ihre Pandemiepläne auf dem gebotenen Stand haben – gerade mit Blick auf eine hohe Ausfallquote bei Beschäftigten in diesen Bereichen durch Omikron-Infektionen – werden nun die Länder selbst sicherstellen, der Bund soll unterstützen.
Verkürzte Frist für Booster-Impfungen
Als wichtige Maßnahme im Kampf gegen die befürchtete Omikron-Welle werden Auffrischungsimpfungen gesehen. Daher wird die Impfkampagne über die Feiertage nicht unterbrochen. In Berlin soll die Wartezeit für die Booster-Impfung von fünf auf drei Monate ab der Zweitimpfung verkürzt werden.
Der Vorsitzende der Ständigen Impfkommission (Stiko), Thomas Mertens, sagte dem Tagesspiegel, er halte Booster-Impfungen schon nach drei Monaten für „sinnvoll, wenn zugleich Menschen mit einem hohen Risiko für schweren Covid-19 Verlauf priorisiert werden“.
Mit dem Corona-Impfstoff des US-Herstellers Novavax steht außerdem ein neues Vakzin zur Verfügung. Die EU-Arzneimittelbehörde Ema machte am Montag den Weg frei für die Zulassung. Nach Zustimmung der EU-Kommission wird dies der fünfte Corona-Impfstoff in der EU.
Das Präparat könnte für Impfskeptiker eine Alternative sein, da es auf ein eher klassisches Verfahren setzt und mithilfe von Proteinen vor Covid-19 schützt. Experten warnen aber davor, auf das Novavax-Vakzin zu warten, denn es kommt erst nächstes Jahr auf den Markt.