Nach der gemeinsamen Abstimmung von CDU und AfD in Thüringen ist die Empörung von SPD, Grünen und Linken groß. Doch der Furor ist nicht mehr als billiges Kalkül, wenn man der CDU keine Lösungen weist. Schlimmer noch: Er treibt die Merz-Partei schlimmstenfalls weiter in die Arme der Demokratieverächter.
Die Unaufrichtigkeit der CDU ist bedauerlich. Sie hat sich am Donnerstag in Thüringen mit Zustimmung ihres Bundesvorsitzenden Friedrich Merz zu einer grundsätzlichen Kursänderung entschieden: Wenn die AfD ihren Gesetzen zur Mehrheit verhilft, ist das für die CDU künftig akzeptabel. Das war es bislang nicht und deshalb hätte dieser tiefgreifende Schwenk einer umfassenden Erklärung bedurft – ganz unabhängig von der Frage, ob man das Vorgehen nun als Zusammenarbeit mit den Rechtsextremen bewertet oder nicht. Was aber die übrigen demokratischen Parteien aus der Abstimmung im Erfurter Landtag machen, ist nicht minder problematisch: Das Gerede vom böswilligen Einreißen einer “Brandmauer” durch Friedrich Merz ist wohlfeil, überzogen und gefährlich kontraproduktiv.
Die gemeinsam von CDU, AfD und FDP beschlossene Senkung der Grunderwerbssteuer ist erkennbar ein ebenso streitbarer wie verzweifelter Versuch der Christdemokraten, einen Ausweg aus der für sie gefährlichen Pattsituation im Osten zu finden. Die Christdemokraten haben mit dem Erstarken der AfD ihre vorherige Dominanz verloren, obwohl die Mehrheit in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen politisch konservativ eingestellt ist. Stattdessen verhilft sie im Zuge der Blockbildung gegen die AfD nun in allen drei Bundesländern den Grünen zur Regierungsbeteiligung – einer Partei, die gerade in den ländlich geprägten Gegenden der neuen Bundesländer auf vehemente Ablehnung stößt. Wer die Partei im Osten keinesfalls an der Regierung sehen will, meint dort AfD wählen zu müssen.
Gegen die AfD zu sein, ist leicht von Berlin aus
Der weit überwiegende Teil der ostdeutschen Christdemokraten hat sich trotz inhaltlicher Überschneidungen zur AfD, die es auch gibt, lange Zeit von den braunen Schmuddelkindern ferngehalten. Obwohl das bei den eigenen Wählern unpopulär und nicht leicht durchzuhalten war. So viel Haltung verdient Respekt. Wer als Sozialdemokrat seine Wähler in einer westdeutschen Großstadt hat, hat es deutlicher leichter, “Brandmauer!” zu rufen, als ein CDU-Abgeordneter in Sachsen. Zugleich haben SPD, Grüne und auch Linke nie dargelegt, wie die CDU aus dieser strategischen Sackgasse rausfinden soll. Wohlfeile Reden, Deutschland brauche eine konservative, aber unerschütterlich demokratische Partei, sind von Berlin aus genauso billig wie “Nazis raus”-Rufe, wenn man nicht zugleich der CDU bei diesem schwierigen Balance-Akt unter die Arme greift. Stattdessen haben SPD und Grüne den Konflikt auch zur Mobilisierung des eigenen Lagers angeheizt.
Und da liegt das Problem: Die Normalisierung der in Thüringen besonders rechtsextremen AfD durch die CDU ist potenziell gefährlich und darf kritisiert werden. Nur was blieb der CDU anderes übrig? Soll sie den konservativen Menschen im Osten erzählen, dass ihre Einstellung zu Migration, Klimaschutz und Sozialpolitik falsch sei? Das ist programmatisch die Aufgabe von SPD, Grünen und Linken – und die kommen damit im Osten eben nicht zu Mehrheiten. Es ist ein demokratisches Problem, dass die Mehrheit in diesen Bundesländern sich politisch nicht vertreten fühlt – weder im Land noch im Bund. Die “Brandmauer”-Strategie, die Distanzierungen, die Beobachtung durch den Verfassungsschutz und diverse investigative Medienrecherchen haben allesamt nicht verhindern können, dass die AfD heute stärker denn je ist. Den Ampelparteien und der Linken aber fällt nichts Besseres ein, als das Problem allein an der CDU festzumachen und den Christdemokraten die Verantwortung für eine Lösung zuzuschieben.
Die CDU schließt ihre Reihen
Die Reaktion der CDU auf die scharfe Kritik? Sie schließt die Reihen. Selbst lautstarke und entschiedene AfD-Gegnerinnen innerhalb der CDU, wie Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien, eilen Merz zur Seite: Dem Bundesparteivorsitzenden geistige Nähe zur AfD zu unterstellen, sei “infam”, sagt Prien zu Recht. CDU und AfD gleichzumachen, untergräbt eher die Bemühungen aufrechter Christdemokraten, in ihrer Partei keine förmliche Zusammenarbeit mit der AfD zuzulassen. Das ist gefährlich, weil Teile der CDU den gleichen Reflex zeigen könnten, dem schon zahlreiche Wähler erlegen sind: “Wenn die uns eh alle für Nazis halten, brauchen wir auch keinen Abstand mehr zur AfD zu wahren.”
Eine immer weitere Polarisierung des Diskurses betreibt am Ende das Geschäft der Rechtsextremen, die jetzt schon über das Scheitern der “Brandmauer” triumphieren. Ein wenig Anerkennung für das Dilemma der CDU dagegen, für ihre bisherigen Bemühungen sowie für die Tatsache, dass die Ampelparteien in weiten Bevölkerungsgruppen auf entschiedene Ablehnung stoßen, würde dagegen das Lager der demokratischen Parteien zusammenschweißen helfen. Denn die sitzen im Ringen mit der AfD letztlich im selben Boot. Den Kahn einfach nur aufzuschaukeln, führt nicht zu einem Vorankommen – sondern zum Kentern.