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Alle Daten zur Türkei-Wahl

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Richtungsentscheidung in der Türkei: Rund 64 Millione Wahlberechtigte stellen in der aufstrebenden Regionalmacht zwischen Europa und Asien die politischen Weichen für die Zukunft. Verliert Erdogan sein Amt in Ankara? In Deutschland können rund 1,5 Millionen Deutsch-Türken mitentscheiden.

Großer Wahltag in der Türkei: Bei den Parlaments- und Präsidentenwahlen zeichnet sich ein enges Rennen zwischen Präsident Recep Tayyip Erdogan und dem bisherigen Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu ab. Der Amtsinhaber wirkt geschwächt, gesundheitlich und politisch. Kommt es nach zwei Jahrzehnten unter Erdogan zum Wechsel in der Türkei?

Die Wahllokale sind geschlossen, die Auszählung der Stimmen läuft. Rund 64 Millionen Wahlberechtigte waren bis 17.00 Uhr (Ortszeit, 16.00 Uhr MESZ) zur Stimmabgabe aufgerufen. Es gab im Vorfeld der Wahl Anzeichen, dass Kilicdaroglu tatsächlich Erdogan im Präsidentenamt ablösen könnte: Die letzten Umfragen vor dem Wahltermin am 14. Mai sahen den Spitzenkandidaten der türkischen Sozialdemokraten teils deutlich vorn, in einigen Erhebungen lagen er und Erdogan nahezu gleich auf.

Einer der vier Bewerber um das Präsidentenamt, Muharrem Ince von der Vaterlandspartei, warf wenige Tage vor der Wahl hin. “Ich ziehe meine Kandidatur zurück”, sagte Ince. Damit steigt die Wahrscheinlichkeit einer Entscheidung unter den verbliebenen drei Kandidaten in der ersten Wahlrunde.

Hinweis: Die Infografiken zur Präsidentschafts- und Parlamentswahl werden laufend aktualisiert.

Im Rennen um das Präsidentenamt standen neben Amtsinhaber Erdogan von der islamisch-konservativen AKP noch Oppositionsführer Kilicdaroglu sowie Sinan Ogan, Kandidat einer ultranationalistischen Allianz, dem allerdings wenig Chancen auf einen Wahlsieg eingeräumt wurden. In Umfragen lag Ogan zuletzt abgeschlagen hinter Kilicdaroglu, Erdogan und dem nun ausgeschiedenen Ince.

Der Wahlausgang ist offen: Neuer Präsident wird, wer im ersten Wahlgang mehr als 50 Prozent der Stimmen bekommt. Sollte kein Kandidat im ersten Wahlgang mehr als 50 Prozent der Stimmen erhalten, steht am 28. Mai eine Stichwahl an. Bei der gleichzeitig stattfindenden Parlamentswahl rechnen Beobachter ebenfalls mit deutlichen Verlusten der bisherigen Regierungspartei AKP.

Die Türkei steht mit der Wahl vor einer epochale Richtungsentscheidung: Die Opposition hat angekündigt, im Fall eines Wahlsiegs mit dem zunehmend autoritären Kurs von Erdogan zu brechen. Kilicdaroglu hat eine Rückkehr zur Demokratie versprochen. Er will politische Gefangene nach einem Machtwechsel freilassen.

Erdogans Herausforderer Kilicdaroglu tritt als Kandidat der CHP an. Die Sozialdemokraten und die prokurdische HDP stellen bisher die beiden größten Oppositionsparteien im Parlament. HDP-Politiker stehen aufgrund eines drohenden Parteiverbots unter dem Banner der Grünen Linkspartei auf dem Wahlzettel. Die Partei hatte sich im Vorfeld mit kleineren linken Parteien zu der sogenannten Arbeits- und Freiheitsallianz zusammengeschlossen.

Umfrageergebnisse zur Parlamentswahl

Die aufstrebende Regionalmacht Türkei zählt insgesamt rund 85 Millionen Einwohner. Das Land an der Schwelle zwischen Europa und Asien ist laut Verfassung von 1982 eine demokratische, laizistische, soziale und rechtsstaatliche Republik. Erdogan regiert seit 2014 als Präsident – mit zunehmend autoritären Tendenzen. Der mächtigste Politiker des Landes war Erdogan aber schon zuvor: Vor dem Umbau der Türkei in ein Präsidialsystem führte er ab 2003 als Ministerpräsident die türkische Regierung.

In Erdogans Amtszeiten als Regierungschef und Präsident erlebte das Land zunächst einen starken wirtschaftlichen Aufschwung, einen ausgeprägten Bauboom mit spektakulären Infrastrukturprojekten sowie eine wachsende außenpolitische Bedeutung. Erdogans Führungsstil und vor allem seine Einmischung in die Geldpolitik sind umstritten: In den vergangenen Jahren kam es zu größeren sozialen Verwerfungen, ausgelöst unter anderem durch stark gestiegene Lebensmittelpreise und eine horrend hohe Inflation.

Innenpolitisch überschatteten der Putschversuch von 2016 und die staatlichen Reaktionen das gesellschaftliche Klima. 2018 kam es auf Betreiben Erdogans zu einer Verfassungsänderung, die den Einfluss des Staatspräsidenten erheblich ausweitete und das Parlament schwächte. Teile der Bevölkerung lehnen Erdogan und seine streng konservative AKP ab.

Das schwere Erdbeben im Südosten verwandelte große Teile des Landes Anfang Februar 2023 in eine Katastrophenzone. In den betroffenen Regionen nahe der Grenze zu Syrien kamen mehr als 50.000 Menschen ums Leben. Hunderttausende verloren ihr Obdach. In den Tagen und Wochen danach wurden kritische Stimmen laut: Laxe Bauvorschriften, mangelnde staatliche Kontrollen und ein unzureichender Katastrophenschutz hätten zum enormen Ausmaß der Zerstörungen beigetragen, heißt es. Erdogans Krisenmanagement trug nicht dazu bei, seine Popularität zu steigern.

Präsident Erdogan verfügt in Teilen der türkischen Gesellschaft über großen Rückhalt. Nach 20 Jahren an der Regierung sind Schlüsselpositionen in der Verwaltung und Beamtenapparat mit AKP-treuen Kandidaten besetzt.

“Kundgebung des Jahrhunderts”: Erdogan-Anhänger in Istanbul

(Foto: via REUTERS)

Im Wahlkampf zog Erdogan alle Register: Unter anderem versprach er den rund 700.000 Staatsbediensteten eine Lohnerhöhung von 45 Prozent. Bei einem Wahlkampfauftritt am letzten Wochenende vor dem Wahltermin versammelten sich Hunderttausende Erdogan-Anhänger auf einem Flugfeld in Istanbul, um den Amtsinhaber und AKP-Spitzenkandidaten zu feiern. 10.000 Busse hatten dafür Menschen aus 39 Provinzen auf das Rollfeld gebracht, Luftaufnahmen der Veranstaltung wurden im ganzen Land übertragen.

Vor 20 Jahren war Erdogan noch als Reformer und Hoffnungsträger einer weltoffenen Türkei angetreten. Zeitweise stand sogar ein EU-Beitritt des Landes zur Debatte. Im Laufe seiner Amtszeit regierte der heute 69-Jährige jedoch mit zunehmend harter Hand.

Die Parlaments- und Präsidentschaftswahl zieht auch im Ausland große Aufmerksamkeit auf sich: In Deutschland begann die Stimmabgabe für wahlberechtigte Deutsch-Türken bereits zweieinhalb Wochen vor dem eigentlichen Wahltag. Am 27. April öffneten in den Konsulaten eigens eingerichtete Wahllokale.

Gut 1,5 Millionen Türken konnten in Deutschland in 26 türkischen Auslandsvertretungen ihre Stimme abgeben, wie die türkische Nachrichtenagentur Anadolu mit Verweis auf Zahlen der türkischen Wahlkommission YSK berichtete. Insgesamt können sich demnach weltweit 3,4 Millionen Auslandstürken in insgesamt 73 Ländern an den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen beteiligen.

Gewählt wird in der Türkei regulär alle fünf Jahre. Die türkische Diaspora in Deutschland bildet den Löwenanteil der türkischen Auslandswähler. Insgesamt stellen die Auslandswähler jedoch nur einen Bruchteil aller Stimmen.

Bei den zurückliegenden Parlaments- und Präsidentschaftswahlen in der Türkei 2018 machten 49,8 Prozent der Wahlberechtigten in Deutschland von ihrem Stimmrecht Gebrauch, höher war die Quote noch nie. Die Unterstützung für Erdogan war in Deutschland damals stärker als in der Türkei selbst.

Rückblick: Wahlergebnis 2018

Die Türkische Gemeinde in Deutschland (TGD) bezeichnete die Wahl im Vorfeld als “riesiges Thema” für türkischstämmige Deutsche und in Deutschland lebende Türken. Es gehe dabei auch um “den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Deutschland”, erklärte ein TGD-Sprecher der Nachrichtenagentur AFP. Der Verein sieht die wirtschaftliche Entwicklung und die hohe Inflation in der Türkei als ein wichtiges Thema der Wahl.

Schon in den ersten Tagen der anlaufenden Stimmabgabe hätten sich bundesweit bereits deutlich mehr deutsch-türkische Wähler beteiligt als bei der vergangenen Wahl im Jahr 2018, hatte der TGD-Bundesvorsitzende Gökay Sofuoglu vor der Wahl erklärt. “Wenn ich mit den Menschen rede, kommt das Gefühl auf, dass es für viele eine Schicksalswahl ist”, meinte er.

Die Stimmabgabe im Ausland war für wahlberechtigte Türken bis zum eigentlichen Wahltag am 14. Mai möglich. Neben den Wahllokalen in den Konsulaten können registrierte Wähler auch an zahlreichen Grenzübergängen zur Türkei ihre Stimme abgeben.

2018 hatte Erdogan die Präsidentschaftswahl bereits im ersten Wahlgang für sich entscheiden können. Er erhielt damals – kurz nach dem gegen ihn gerichteten, aber letztlich gescheiterten Militärputsch – 52,6 Prozent der Stimmen.

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