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Wie ukrainische Paare den Krieg überstehen

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Hunderttausende Ukrainerinnen sind vor den russischen Truppen ins Ausland geflohen – während ihre Männer meist in der Ukraine bleiben müssen. Für Paare ist dies eine extreme Herausforderung. “Es war alles unerträglich”, sagt eine Ukrainerin. Andere wiederum glauben: “Wir werden es schaffen.”

Zum letzten Mal sah Maria ihren Mann im März 2022. Bomben fielen, die ersten Kriegsnächte verbrachten sie gemeinsam in Saporischschja im Keller. Dann beschloss das Ehepaar, dass sie und ihr gemeinsamer Sohn zu Verwandten des Mannes nach Deutschland nach Berlin fliehen sollten. Für ihre Ehe war dies letztlich der Todesstoß. “Ich habe versucht, die Beziehung aufrechtzuerhalten”, sagt Maria, die eigentlich anders heißt, im Gespräch mit ntv.de. “Aber im September sagte mir dann mein Mann, dass er mir nicht mehr vertrauen könne, da wir uns so lange nicht mehr gesehen haben.” Nach 17 Jahre zerbricht die Ehe, so ihr Fazit, der Krieg habe die Trennung von ihrem Mann beschleunigt.

Die Verwandten ihres Mannes hätten ihr nicht geholfen, gut in Deutschland anzukommen, erzählt Maria, die in der Ukraine als Künstlerin tätig war und jetzt erst einmal Deutsch lernt. Das fehlende Vertrauen tat das Übrige: “Mein Mann hat versucht, jede meiner Bewegungen über eine Videoverbindung zu kontrollieren”, so Maria. “Er wollte, dass ich mit dem Sohn oft in die Ukraine komme, um ihn zu besuchen. Aber ich fragte mich, von welchem Geld?”. Schließlich habe sie alleine 400 Euro für die Wohnung zahlen müssen und auch sonst nicht viel gehabt. “Es wurde alles unerträglich.” Die Scheidung von Maria und ihrem Mann war nur eine Frage der Zeit.

Dabei war – zumindest in der Ukraine und zu Beginn des Krieges – zunächst ein gegenläufiger Trend zu beobachten. Paare blieben eher zusammen, viele formalisierten ihre Beziehung sogar. Die ukrainischen Standesämter registrierten allein in den ersten sechs Monaten des Jahres 2022 103.903 Eheschließungen – 21 Prozent mehr als im gleichen Zeitraum des Jahres 2021 und ein Rekord für die letzten sieben Jahre.

“Wenn es große Veränderungen im Land und in der Gesellschaft gibt, viel Ungewissheit, ist es ganz natürlich, dass der Mensch versucht, sein Leben so gut wie möglich zu sichern, eine neue Routine zu schaffen, auf die er sich verlassen kann”, erklärte der Psychologe Oleksii Udovenko in einem Interview mit der Deutschen Welle. Auch die Zahl der Scheidungen nahm erstmal ab. So wurden laut der Abteilung für Informationspolitik des ukrainischen Justizministeriums in den ersten sechs Monaten des Jahres 2022 nur halb so viele Scheidungen registriert wie im Vorjahr.

Doch nach anderthalb Jahren Krieg, der für Hunderttausende ukrainische Paare eine Fernbeziehung bedeutet, dürfte die Scheidungs- oder zumindest die Trennungsrate in die Höhe schießen. Zwar gibt es keine aktuellen Zahlen zu den Scheidungen, und wie viele unverheiratete Paare sich getrennt haben, ist ohnehin unklar. Doch viele Paare erklären in Gesprächen, wie belastend die Situation ist. Schon unter normalen Umständen können Fernbeziehungen schwierig sein, in Zeiten des Krieges jedoch sind sie eine enorme Herausforderung. Sind doch die Lebensumstände der Partner grundverschieden. Die in der Ukraine zurückgebliebenen Männer erleben oft hautnah das Grauen des Krieges – ob als Soldat oder als Zivilist -, während sich die Frauen im Ausland ein neues Leben aufbauen müssen, oft ohne ausreichende Sprachkenntnisse, dafür mit umso mehr bürokratischen Hürden.

Im Hintergrund Schüsse am Telefon

Auch die 22-jährige Viktoria, die ihren echten Namen nicht nennen will, empfindet ihre Fernbeziehung als sehr belastend. “Wir haben angefangen, uns oft zu streiten, da wir uns in dieser Zeit verändert haben.” Sie lebt in Regensburg, während ihr Freund als Soldat im Osten der Ukraine kämpft. “Deswegen haben sich unsere Interessen, Ziele und Pläne geändert.” Es gab Wochen, in denen Viktorias Freund tagelang in schwere Kämpfe verwickelt und nicht erreichbar war. Wenn sie telefonierten, hörte sie im Hintergrund Schüsse.

Zwei Monate war sie vor Sorge fast außer sich, wartete immer wieder auf eine Nachricht von ihm, dass alles in Ordnung sei. Wenn kein Lebenszeichen kam, war es für sie zumindest beruhigend, zu sehen, dass er kurz zuvor bei Whatsapp online war.

Doch auch, wenn sie nicht gerade um das Leben ihres Freundes bangt, ist die Beziehung herausfordernd: “Es ist schwierig, sich abzustimmen, da wir uns selten anrufen können, weil es oft Verbindungsstörungen gibt. Es nicht möglich, in Ruhe miteinander zu reden, alle Ereignisse zu besprechen, Ratschläge zu geben und zu erhalten.” Mittlerweile, nach rund anderthalb Jahren Krieg und Fernbeziehung, haben sich Viktoria und ihr Freund an die Situation gewöhnt. Ihre Beziehung sei bereits besser geworden, sagt Viktoria, denn sie hätten sich darauf geeinigt, dass sie trotz der Schwierigkeiten zusammen eine Zukunft aufbauen wollen. Das Paar plant außerdem alle drei Monate einen gemeinsamen Urlaub in der Ukraine. “Wir haben festgelegt, wann wir uns treffen werden und auch, dass wir wieder zusammenleben werden. Und wir machen Pläne, wo wir arbeiten werden. Außerdem wollen wir nicht nur einander, sondern auch der Ukraine helfen.”

Rituale per Facetime

Für Veronika (Name von der Redaktion geändert), ist eine Trennung trotz der physischen Distanz unvorstellbar. “Unsere Beziehung war und bleibt eng”, sagt sie. Seit mehr als fünf Jahren ist sie mit ihrem Mann zusammen. Als der Krieg begann, bestand er darauf, dass sie zu ihrer Schwester nach Kanada fliegt. Er sorgte sich um ihre Sicherheit und hatte Angst, dass der Krieg sie psychisch zu sehr belasten würde, erzählt Veronika. “Ich habe immer viel Liebe und Fürsorge bei ihm gespürt. Ich weiß, wie wichtig ihm unsere Familie ist, und dafür liebe ich ihn noch mehr.” Täglich schicken sich Veronika und ihr Mann Text – und Sprachnachrichten und berichten einander von ihrem Tag. “Wir gehen manchmal gemeinsam spazieren – per Videoschaltung. Oder wir bestellen gleichzeitig Kaffee oder essen zusammen Abend.”

Natürlich haben der Krieg und die Fernbeziehungen ihren Preis. Veronika erzählt, wie schwer es ihr fällt, keinen Körperkontakt zu ihrem Mann zu haben, und manchmal hat sie auch schlimme Tage, an denen sie weint und verzweifelt ist.”Wir haben uns beide verändert”, sagt sie. “Er ist stärker und ernster geworden. Er hat neue Hobbys, neue Freunde”, so Veronika, die schon einmal nach Kiew in die Ukraine gefahren ist, um ihren Mann zu besuchen.

“Auch ich habe große Veränderungen durchgemacht”, sagt sie. Ein neuer Job, neue Bekannte, ein neues Land, das alles beeinflusst sie. “Natürlich hat der Krieg die Beziehung beeinträchtigt, manchmal ertappe ich mich dabei, dass ich darüber nachdenke, ob es sich lohnt. Wie lange hält man das aus? Und was bringt uns die Zukunft?”, fragt sich die 25-Jährige. “Aber wenn wir einen gemeinsamen Plan und gemeinsame Interessen haben, wenn wir uns gegenseitig unterstützen und gut kommunizieren, dann ist alles auszuhalten. Wir sagen oft, wie cool es wäre, unseren Enkelkindern erzählen zu können, wie gut wir es gemacht haben. Ich habe keinen Zweifel daran, dass wir es schaffen werden, denn wir sind ein zu starkes Paar.”

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