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Von der Mafia gejagt, doch Roberto Saviano lebt noch

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Er ist zwölf Jahre alt, als er dem ersten Mafiamord beiwohnt. Damals schwört sich Roberto Saviano, wachsam gegenüber der Camorra zu sein. In einer Graphic Novel berichtet der neapolitanische Schriftsteller, welchen Preis er dafür bis heute zahlt.

Roberto Saviano ist weit über Italiens Grenzen hinaus bekannt. Sein Buch “Gomorrha – Reise in das Reich der Camorra”, das in Italien 2006 und in Deutschland im Jahr darauf erschien und von der neapolitanischen Mafia erzählt, hat ihn über Nacht zu einer Berühmtheit gemacht. Und zu einem Gefangenen. Die Mafiafamilien, besonders die der Casalesi, waren über den Erfolg des Buchs, das ein paar Jahre später auch verfilmt wurde, sehr wütend und drohen Saviano seitdem, ihn zu ermorden. Mittlerweile lebt er seit 17 Jahren unter Personenschutz. In der Graphic Novel “I’m Still Alive”, erschienen bei Cross Cult, erzählt er zusammen mit dem Israeli Asaf Hanuka, der die Zeichnungen beisteuert, was ein Leben unter ständiger Aufsicht mit einem macht.

Saviano fuhr als Kind im Fahrradkorb seines Vaters mit. Im Traum wird daraus ein Gefängnis.

(Foto: Roberto Saviano, Asaf Hanuka / Cross Cult)

Als Leitfaden der Erzählung dient Savianos Einstieg: “Im Laufe der Zeit habe ich gelernt, dass es zwei Arten von Geschichten gibt. In der einen kommt der Protagonist um, in der anderen kehrt er als Gewinner zurück.” In “I’m Still Alive” gehe es aber weder um Tod noch um Sieg, fügt er hinzu, sondern um die Wunden, die ein Leben wie das seine hinterlässt.

“Asaf habe ich über seine Arbeiten kennengelernt, ‘K.O. à Tel Aviv’ und den Oscar-nominierten Film ‘Waltz with Bashir’, für den er Szenen geliefert hat”, erzählt Saviano im Videointerview mit ntv.de. “Wir haben uns eine Weile geschrieben, bis Asaf dann beschloss, eine Zeitlang bei mir zu wohnen, um die Geschichte in die richtige Atmosphäre zu tauchen”, fährt Saviano fort. Hanuka besuchte ihn deswegen sowohl in New York, wo Saviano einige Semester an der Universität lehrte, wie auch in Rom.

Wie ein Gorilla hinter Gittern

Den ersten Mafiamord erlebte Saviano mit zwölf Jahren.

Den ersten Mafiamord erlebte Saviano mit zwölf Jahren.

(Foto: Roberto Saviano, Asaf Hanuka / Cross Cult)

Hanukas Figuren und Szenen sind unglaublich plastisch und lebendig. Gleich, ob es sich um Vorfälle handelt, die Saviano wirklich erlebt hat – zum Beispiel als er während einer Vorlesung in der Nähe von Neapel Mafiabosse im Publikum beim Namen nannte und ihnen sagte, sie seien fehl am Platz. Oder ob es um Alpträume Savianos geht. Zu den Seiten, die auf besonders ergreifende Art das erstickende Gefühl des Eingesperrt-seins wiedergeben, zählt jene, in der Saviano wie einst als Kind im Fahrradkorb seines Vaters sitzt. Nur verwandelt sich der Korb im Traum in ein riesiges Gefängnisgitter, an dem Saviano – mittlerweile zum Gorilla mutiert – verzweifelt rüttelt. Leider lässt die Übersetzung des Textes ins Deutsche nicht nur hier zu wünschen übrig.

Als Saviano das erste Mal Zeuge eines Mordes der Camorra wurde, saß er gerade mit seinem Vater in einem Kaffeehaus. Er sah, wie sich der von einem Mafiaschergen Verfolgte unter einem Auto versteckte, sich aber dann verriet, weil er sich in die Hose machte. “Die Angst hatte ihn verwundbar gemacht”, heißt es im Buch. Damals nahm sich Saviano vor, sich von der Camorra fernzuhalten.

Saviano hat sich genau mit den Ritualen der Camorra beschäftigt, wie der Aufnahme neuer Mitglieder.

Saviano hat sich genau mit den Ritualen der Camorra beschäftigt, wie der Aufnahme neuer Mitglieder.

(Foto: Roberto Saviano, Asaf Hanuka / Cross Cult)

In die Schusslinie der Mafia ist er trotzdem geraten: mit seinem Buch, mit seinen Artikeln über Wirtschaftskriminalität und Mafia-Business. Und wenn er sich nicht damit beschäftigt, dann ist die Politik an der Reihe. Italien hat seit einem Jahr eine rechte Regierungskoalition und die gibt natürlich genügend Grund zur Kritik. Italien befinde sich in einer dramatischen Situation, hebt er im Interview hervor, macht dafür aber auch die “kollabierte Linke” verantwortlich.

Schwarzwald und Vorurteile

Der grassierende Nationalismus macht ihm besonders Sorgen. Als Paradebeispiel zitiert er eine Stellungnahme von Andrea Giambruno, dem Lebensgefährten von Premierministerin Giorgia Meloni, aus diesem Sommer. Deutschlands Gesundheitsminister Karl Lauterbach, der gerade in Italien Urlaub machte und unter der Hitze anscheinend besonders stark litt, hatte auf X, dem ehemaligen Twitter, geschrieben: “Wenn es so weiter geht, werden diese Urlaubsziele langfristig keine Zukunft haben.” Mehr als ein italienischer Minister reagierte irritiert. Giambruno, von Beruf TV-Journalist, setzte aber noch einen drauf und richtete Lauterbach aus, er solle doch in Zukunft den Urlaub im Schwarzwald verbringen.

“Ich finde den Bezug auf den Schwarzwald besonders interessant”, sagt Saviano dazu. “Zwar ist der Schwarzwald wunderschön und bietet auch Luxushotels und gehobenes Bed & Breakfast, doch die Italiener denken dabei noch immer an die Deutschen als Barbaren, wie vom römischen Historiker Tacitus beschrieben.”

Und apropos Vorurteile: Auch die Deutschen würden diese gegenüber Italien und den Italienern hegen. “Zu viele Deutsche glauben noch immer, dass Italien das Land der Dolce Vita ist, dass es sich hier gut leben lässt und alles langsam vor sich hinfließt. Das stimmt aber so nicht, und war eigentlich auch nie so”, sagt Saviano. Er verweist auf seine eigene Erfahrung. Ein Buch, in dem er über die Camorra schreibt, hat genügt, um sein Leben völlig auf den Kopf zu stellen. Soll das wirklich ein Land der Dolce Vita sein?

Salman Rushdie und der Mut

Auf die Frage wie lange man ein Leben unter ständigem Personenschutz ertragen kann, hat Saviano keine Antwort. Er könne nur sagen, dass er selbst vollkommen ausgelaugt sei. Als er im vergangenen Jahr die Nachricht von dem Attentat auf den indisch-britischen Schriftsteller Salman Rushdie hörte, machte er sich große Sorgen. Doch er kam nicht umhin, gleichzeitig zu denken: “Immerhin hat Rushdie den Mut gehabt, auf den Personenschutz zu verzichten, und so 20 Jahre als freier Mann gelebt.”

Rushdie war 1989 wegen seines Buchs “Die satanischen Verse” von Irans Ayatollah Chomeini mit einer Fatwa zu Tode verurteilt worden. Er bekam Personenschutz, musste immer wieder von einem geheimen Wohnort zum anderen wechseln. Irgendwann war ihm das alles zu viel und er verzichtete auf den Schutz. “Dieser Mut fehlt mir”, gibt Saviano mit einem Ton des Bedauerns zu.

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