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Ute Lemper – schön, weise, neugierig

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Wir sitzen in der “Paris Bar” in Berlin, wollen aber beide nichts essen, weil wir es hassen, mit vollem Mund zu sprechen. Und es gibt viel zu erzählen. Ute Lemper wirkt stark und fragil zugleich, die Augen haben diesen melancholisch-müden Wimpernaufschlag, sie ist dennoch hellwach. Ein Ritt – im leichten Trab – durch die letzten Jahrzehnte wird das, wie ihr neues Buch. Das Buch liest sich wie ein Roman – solche Geschichten kann man sich aber nicht ausdenken, so ist das Leben. Von manchen. Von Ute Lemper zum Beispiel. Über Männer, Merkel, Musik spricht die Künstlerin, die keine Angst vor ihrem 60. Geburtstag am 4. Juli hat, mit ntv.de.

ntv.de: Sie wurden schon einmal gebeten, eine Biografie zu schreiben. Und jetzt wieder.

Ute Lemper: Ja, (lacht) das war ja vor 30 Jahren, ist ein Weilchen her.

Was haben Sie jetzt bei der zweiten Anfrage gedacht? Hey, ich habe doch gerade erst meine Biografie geschrieben …

At the top – Ute Lemper.

(Foto: Jürgen Frank)

Die erste Biografie schrieb ich mit 30 Jahren vor 30 Jahren, dichte Erzählungen von einer Welt im massiven Umbruch nach dem Fall der Mauer, hier in Berlin 1992, in meiner Wohnung in Charlottenburg. Ich bin übrigens gestern noch mal vorbeigefahren mit meiner alten Freundin Gitti, der Taxifahrerin, mit der ich mich damals angefreundet hatte. Eine platonische Liebesgeschichte, die mich jenseits der teuflischen Produktion des “Blauen Engels” hier in Berlin fasziniert und getröstet hat.

Dachen Sie damals nicht, dass Sie zu jung für eine Biografie sind?

Na klar, wieso soll ich als 30-Jährige eine Biografie schreiben? Doch der lange vom Planeten verschwundene ostdeutsche Verlag drängte: “Kommen Sie, Sie haben schon so viel erlebt.” Und ich dachte nur: “Stimmt! Das reicht bei anderen für ein ganzes Leben.” Ich war gerade schwanger mit meinem ersten Kind, setzte mich an die alte Schreibmaschine und brauchte sehr viel Tippex.

Wenn Sie das jetzt lesen, was denken Sie?

Ich hatte es bis vor Kurzem ewig nicht gelesen, aber ich denke, dass ich wunderbar wild, rebellisch, jung und unzensiert war. So heißt das Buch ja auch (lacht). Ich habe viel interessante, sehr authentische Erzählungen aufgeschrieben, die im Detail präzise waren und mich in diese Zeiten mit Gänsehaut zurückversetzen. Ich war dankbar, diese Zeitfalte zu erleben. Auch die künstlerischen Reflexionen bestachen mich. Es war eine Entdeckungsreise und inspirierte einen Drang, die Zeitreise weiter zu beschreiben, Ergänzungen zu den alten Erzählungen hinzuzufügen. Es war ein kritischer Dialog mit der jungen Ute, aber vor allem die nächsten aufregenden 30 Jahre, in denen ich meine Welt dreimal umgeworfen habe und Unerwartetes, nie Erahntes, Wirklichkeit wurde.

Wann haben Sie angefangen zu schreiben?

Im letzten Sommer, an meinem 59. Geburtstag, habe ich das erste Kapitel geschrieben, im Flugzeug zwischen den Zeitzonen. Ich war unsicher und wusste, dass ein Riesenberg an Erzählungen bevorstand. Doch ich genoss es, mit Worten zu spielen und mit Poesie und Spannung die Geschichten voranzutreiben. Gleichzeitig habe ich Lied-Texte verfasst und meine neuen Songs komponiert.

Ganz schön viel, oder?

Ich pendelte in einer Routine zwischen Buch und Musik. Ebenfalls war ich zeitweise auf Konzert-Tournee, aber vor allem bestimmten die Kinder meine Freiräume, in denen ich in meine kreative Isolation verschwinden durfte. Das war oft nach Mitternacht, wenn alle schon geschlafen haben. Tagsüber habe ich mir einen neuen Raum in der Wohnung geschaffen, wo ich allein sein konnte. Ganz still, weg von der Ablenkung, dann noch das Klavier direkt neben mir – so haben sich viele Wörter in ein Lied verwandelt und Musik wurde zu Worten. Alles bespiegelte sich, im Effekt.

Überrascht man sich manchmal selbst, wenn man anfängt, erst mal in seinem Gedächtnis zu kramen oder mit anderen redet, weil man sich in alte Zeiten zurückversetzt?

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We are family – komme, was wolle!

(Foto: privat)

Ich habe eigentlich kaum mit anderen darüber geredet. Ich habe schon wirklich aus meinem eigenen Fluss heraus geschrieben und mit der Hilfe der ersten Biografie, die in die ersten Jahrzehnte abtaucht, bin ich wirklich eingestiegen in die Tiefe. Meine Kindheit in den 60ern, die 70er Jahre der Formation, die 80er Jahre, in denen ich meine künstlerische Identität erforscht und geprägt habe in vielen Bühnen-Projekten, aber auch in der Reflexion, eine junge Deutsche im geteilten Deutschland zu sein, die sich international erklären musste. Vom Berlin im Kalten Krieg und um die Wende, über Paris, die ersten Kinder, enorme Plattenverträge, dann über London zum Broadway. Zur Milleniumswende beendete ich meine Ehe, eine neue Epoche begann.

Mit neuen Projekten …

… ja, vor allem mit der Entscheidung, in Freiheit nur noch meine eigenen Projekte zu machen. Dann kam mein jetziger Mann ins Spiel. Ein weiteres Buch entstand, das von den letzten 22, 23 Jahren im Wirbelwind des Lebens erzählt (lacht).

Und dem neuen Mann …

… an meiner Seite, der mich wahnsinnig unterstützt hat, alles in allem, und trotz aller Komplikationen noch zwei weitere Kinder mit mir in die Welt gesetzt hat, die wir beide über alles lieben. Und mir Inspiration war für viele weitere Musikprojekte. Diese wilden Jahre zwischen Musik, Konzerten und Kindern sind wahnsinnig schnell vergangen. Es war sehr intensiv, ganz toll, unglaublich frei im Groove des Lebens, und ich fand mich endlich dort, wo ich mich wirklich noch einmal neu formieren konnte. Unabhängig von all diesen Bühnenprojekten, in die ich hineinpassen musste. Endlich musste ich nicht anderer Künstler Ideen und Konzepte verwirklichen und beleben, sondern meine eigenen. Ich konnte wirklich experimentieren.

Musik zu komponieren, ein Buch zu schreiben, ist das auch befreiend?

Es war nicht therapeutisch, zu schreiben, wenn Sie das meinen. Ich war vorsichtig, habe eher versucht, die Erlebnisse zu poetisieren, die Wichtigkeit für den Leser herauszufiltern, über umwerfende Begegnungen zu berichten, Menschen, die unsere Welt und meine Welt mit außerordentlichem Mut und ihrer Besonderheit verändert haben. Jede Geschichte sollte es wert sein, erzählt zu werden, und den Leser berühren. Es gibt nichts Unwichtiges oder Oberflächliches in meinen Erzählungen, alles geht an die Substanz und möchte den Leser dort erreichen.

Inwiefern soll es etwas wert sein?

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Ihr größtes Glück – die Kinder.

(Foto: privat)

Wertigkeit auch im zeitgeschichtlichen Kontext. Ich beschreibe ganz besondere Momente in unserer Welt, in denen Dinge passiert sind, an denen ich teilhaben durfte. Als die Mauer fiel, der Putsch in Moskau, Israel zur Zeit der Terrorattacken, 9/11 in New York, oder die vielen Begegnungen, die mich inspiriert haben. Mich haben die Geschichten von anderen Menschen schon immer mehr beeindruckt als meine eigenen.

Sie erzählen auch als Mutter …

Stimmt, ich bin Mutter, Liebhaberin, Partnerin und Musikerin, das sind alles Dimensionen für sich. Jede Geschichte hat eine andere Perle versteckt.

Haben Sie ein Lieblingsbuch?

Ich habe Bücher irgendwie immer zur Hand, Pablo Neruda zum Beispiel oder Hermann Hesses “Siddhartha”. Das ist ein Buch, was ich nie aus dem Kopf und aus meinem Geist herauslasse.

Sie öffnen Ihre Tür ins Private mit diesem Buch …

Hier verstecken sich die erstaunlichen Geheimnisse des Lebens, die alles beglücken und beschatten und besonders die Kunst vertiefen.

Okay – warum?

(lacht) Ich finde es ehrlich gesagt gar nicht privat, wenn ich von meiner Trauer erzähle, von meiner Welt, die zusammenbrach in gewissen Momenten.

Wir sind ja erwachsene Menschen …

Untreue ist kein Tabu-Thema, sondern ein absolut alltägliches Thema. Jeder Mensch muss irgendwie damit umgehen, mit der Versuchung, mit dem Gelübde, dem Versprechen, oder dem Erleiden und dem tief menschlichen Trauma des Vertrauensbruches. Es hat mich interessiert, zu erforschen, was in diesen Trauerphasen existenziell passiert und wie man daraus stärker hervorwachsen kann. Der Zusammenbruch des Vertrauens und des Zaubers der Gemeinsamkeit beherrscht eine Zeit lang alle Dimensionen des Lebens. Dies ist ja aber nur eines von vielen Kapiteln in meinem Buch. Ich musste darüber schreiben, denn ich habe mich im Schmerz sehr verändert als Mensch. Und schließlich eine ungeahnte, wunderbare Emanzipation von Abhängigkeiten erfahren. Es geht darum, immer wieder Abschied zu nehmen von Menschen, von Gewohnheiten, Haltegriffen im Leben. Das Abschiednehmen ist wie ein Sich-Häuten, und immer schmerzt es. Sie wissen schon, die kleinen Tode, die man stirbt.

Und dann haben Sie sich gedacht, mach’ was draus …

Auch als Künstlerin habe ich eine Evolution durchlebt, denn diese Nähe der Trauer bewirkt eine unglaubliche Authentizität. Als ob das Fallbeil immer über dir schwebt und die Falltür ins Nichts ständig geöffnet ist.

Gut, dass Sie so offen über vieles sprechen, als erwachsene Frau will man die Geschichten von anderen Frauen lesen oder hören. Ich persönlich brauche gerade keine Geschichten von 30-Jährigen, das ist eine andere Zeit. Ich will Geschichten von Frauen über 50, die was erlebt haben und stark und fragil gleichzeitig sind.

(lächelt) Natürlich haben irgendwelche Yellow Papers nur diese Beziehungskrisen-Schlagzeilen aufgenommen, um daraus irgendetwas Skandalöses zu machen. Aber einen Skandal gibt es hier überhaupt gar nicht. Es geht wirklich um etwas ganz anderes. Ich wasche niemals schmutzige Wäsche, ich beleidige niemanden, es geht um das Wie, die menschliche Kondition, die “Conditio Humana” und das Experiment des Lebens.

Es ist immer interessant zu erfahren, wie andere mit ihren Erlebnissen umgehen und weiterleben. Das Danach interessiert mich – gar nicht die Sache an sich. Dinge passieren …

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Ute, fünf Jahre jung und neugierig.

(Foto: privat)

Ganz ehrlich, für mich ist der Weg zunehmend realistischer und viel gesünder, viel mehr im Jetzt. Vielleicht ist es so viel besser. Ich schreibe darüber, weil ich es tröstend und hilfreich auch für andere finde. Ich möchte lebensnah erzählen. Deswegen spreche ich gleich am Anfang des Buches über die Trauer, die in meinem Herzen steckt, die ich auch nicht loswerde, damit muss ich leben. Ich habe die romantische Liebe etwas zurückgestellt, aber ich habe sie nicht unbedingt aufgegeben. Ich habe sie nur auf eine Straße parallel zu mir geschoben, und eventuell könnte ich auf diese Straße wechseln, aber wer weiß. Im Moment hat das keine Wichtigkeit für mich.

Ich finde interessant, was man alles aushalten kann. Apropos aushalten – 60. Was macht die Zahl mit Ihnen?

Ich hab’ meinem Geburtstag nie eine große Aufmerksamkeit geschenkt. Nur dem von anderen Menschen, also den Geburtstagen meiner Kinder zum Beispiel, die wollen gefeiert werden. Meine Geburtstage wollen eigentlich von mir nicht gefeiert werden, weil ich am Schluss eh sage, dass jeder Tag ein Geburtstag ist. Es ist nur ein kleiner Tag im Kalender. Ich finde es aber schön und bin dankbar, dass andere mich feiern wollen.

Keine Angst vom Älterwerden?

Was soll man machen? Das Altern ist ja ein langsamer Prozess und vor allem ein interessanter Prozess, der auch gute Seiten mit sich bringt, schöne Entdeckungen!

Welche?

Ich bin auf jeden Fall wesentlich ruhiger und stabiler, auch gelassener. Und ich habe so einen Abstand gefunden zu vielen Dingen, der mir guttut.

Legen Sie noch viel Wert auf die Meinung anderer?

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Wenn die Kritik konstruktiv ist, ja! Ich möchte immer dazulernen, Dinge aus der anderen Perspektive entdecken. Ich glaube, für mich ist tatsächlich doch ein großer Respekt im Laufe der Zeit gewachsen, und das sieht natürlich auch die deutsche Presse. Gott sei Dank hatte ich immer einen Schutzengel über mir, der gesagt hat: “Mach dir keine Sorgen, das wird schon.”

Sie mussten aber eine Menge Geduld aufbringen mit Ihren Landsleuten …

Ja. Deswegen habe ich im Buch ausführlich behandelt, dass ich als Nachkriegs-Deutsche immer wieder gezwungen war, mich dem Urteil des Auslands zu stellen. Mit Recht existierte dieses Stigma gegen die Deutschen! Das ist ein kompliziertes Thema. Ich war erfolgreich und geliebt da draußen in der Welt, und doch trug ich als Aushängeschild die Last der Geschichte meines Landes.

Ist es besser geworden inzwischen?

Oh ja, es hat sich sehr verändert! Der wirkliche Wendepunkt war die Fußball-WM 2006, das Sommermärchen. Und mit diesem Millennium kam die internationale Öffnung. Die Zeit nach der Wiedervereinigung war schwierig, aber man fühlte : “Wir sind auf dem Weg.” Dann die Ausländerpolitik von Angela Merkel – sie hat dafür viel Respekt erhalten in der Welt, repräsentativ für Deutschland.

Aber jetzt würden in einigen neuen Bundesländern sehr viele Menschen AfD wählen …

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Sie ist mittendrin auf ihrem Lebensweg.

(Foto: Guido Harari)

Was ich gruselig finde und mir sofort eine Gänsehaut auf die Arme jagt. Es ist nicht zu glauben. Meiner Meinung nach sollte diese Partei nicht erlaubt sein. Wir haben eine Verantwortung gegenüber der Geschichte, solche Wörter und solche Gedanken dürfen wir in diesem Land, wollen wir in diesem Land, nie wieder hören. Das ist unsere Verantwortung, basierend auf unserer Geschichte.

Wir haben noch eine Menge vor uns …

Natürlich! Ich fühle mich mittendrin im Lebensweg. Also 60 ist noch inspirierend jung im Alter. Ich hoffe, dass ich noch ein paar Superjahrzehnte vor mir habe und noch Wunderbares erleben darf. Vor allen Dingen will ich das Leben genießen.

Mit Ute Lemper sprach Sabine Oelmann

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