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Rote Grütze zum Vatertag

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Vatertag bedeutet für die Autorin nicht, dass grölende Männer in Horden durch das Land ziehen und sich die Kante geben. Vatertag bedeutet in dem Fall, mal Danke zu sagen. Man kann dem Vater durchaus Blumen schenken – oder Rote Grütze. Oft sind es die kleinen Dinge, die zählen.

Ich habe Vater- und Muttertag immer sehr ernst genommen: Als Kind artig Briefchen geschrieben und Bilder gemalt, als Teenager, um mich bei den Eltern hin und wieder einzuschleimen, zu entschuldigen, ernsthaft Gefühle zu bekunden, als jüngere Erwachsene ging der Tag eigentlich leichten Herzens über die Bühne. Als junge Mutter habe ich die Sache dann von beiden Seiten betrachtet – ich bekam irgendwann auch Briefchen und Bilder, Entschuldigungen und Versprechen.

Für meine Mutter und meinen Vater wurden die Aufmerksamkeiten meinerseits größer, wichtiger, deeper, ehrlicher. Sie waren inzwischen nicht nur meine Eltern, sondern auch die super Großeltern meiner super Kinder. Sie waren mein Dachverband, mein sicherer Hafen in times of trouble, hatten immer ein offenes Haus, beide hatten (wieder) einen jungen Kopf – die Enkel! – und standen mir oft mit Rat und Tat zur Seite. Ich darf behaupten, dass ich ihnen das zum Glück immer mal wieder gesagt und mich bedankt habe. Stress gab es nur, wenn sie meinten, einfach alles wäre viel schöner mit ihnen, also auch meine Reisen, meine Verabredungen, meine Partys, ungebetene Tipps bei der Männerwahl und beim Erziehungsstil. Aber Schwamm drüber, ich werde das genauso machen.

Am vergangenen Sonntag, als Muttertag war, habe ich einen fantastischen Blumenstrauß von meinen Kindern bekommen (ja, es war schonmal mehr Lametta, aber momentan läuft einfach alles ziemlich gut), und ich habe ansonsten versucht, den Kopf in den Sand zu stecken, in den Muttertag hinein getrunken und Billard gespielt, bei Freundinnen übernachtet (mein Mann ist sehr großzügig, was diese Dinge angeht), und ansonsten versucht, den Tag rumzukriegen, denn ich denke immer noch, ich müsste “was” zum Muttertag besorgen. Muss ich aber nicht, denn ich habe keine Mutter mehr, jedenfalls keine lebende. Ich betreibe mit ein paar anderen Freundinnen den “Club der Mutterlosen”, zu Weihnachten schießen wir uns im KaDeWe mit Schampus ab, und wir wollen diese herrliche Tradition nun auch aufs Frühjahr erweitern, was soll der Geiz …

Aber heute ist ja Vatertag. Und deswegen soll ich, will ich, etwas zum Thema Vater schreiben. Das kann ich nicht, ohne ein bisschen persönlich zu werden. Mein Vater und ich, gar nicht mal so einfach. Vor zwei Jahren dachte ich, er stirbt*. Es wäre nicht unerwartet gewesen, aber dennoch viel zu früh in meinen Augen. Ich habe mich von ihm verabschiedet, gehofft, er hört mich noch durch seine Dämmerung. Ich habe ihm gesagt, dass er ein guter Vater war. Er hat mit uns Kindern gespielt, wenn er von der Arbeit kam, er hat für uns gesorgt, wir hatten eine fantastische Kindheit. Die wir – mein Bruder und ich, wir waren ja recht verwöhnt – damals natürlich nicht zu schätzen wussten. Im Nachhinein aber schon. Unsere Eltern trennten sich entgegen dem üblichen Trend nicht, es war also spießig bei uns zu Hause. Das sah zumindest ich so, meine Freunde und Freundinnen mit den getrennten Eltern übrigens nicht, sie hingen bei uns ab. Es gab immer was zu essen, es wurde viel gefeiert, und manchmal haben wir andere Kinder mit in den Urlaub genommen. (*Er berappelte sich übrigens wieder.)

Geben und Nehmen

Es herrschte, bis ich auszog, die klassische Rollenverteilung, meine Mutter emanzipierte sich erst, als ich weg war. Dachte ich damals. Dass meine Mutter auch schon früher die Hosen anhatte, wurde mir erst später klar, mein Vater machte schließlich die Karriere, meine Mutter den Haushalt. Und uns, die lieben Kleinen. Bis zu einem gewissen Punkt waren wir recht wohlgeraten. Es stellte sich jedoch heraus, dass Papili – wie ich ihn als Kleinkind genannt habe – schon immer viel erwartete. Klar, er gab ja auch viel. Und Mami konnte das gut verstoffwechseln.

Also, will sagen, wenn man seinen eigenen Kopf durchsetzen wollte, musste man sich mit dem Vater verbal duellieren. Davor musste man die Mutter natürlich auf seine Seite kriegen. Das gelang fast immer. Mein Vater hatte feste Vorstellungen, wie das Familienleben auszusehen hatte, und wenn man da keinen Bock drauf hatte, dann war aber was los. Wir haben viel Kuchen, Kartoffelsalat und Korn bei Großeltern und anderen Verwandten zu uns genommen, undenkbar, dass wir Kinder dort nicht dabei waren. Weihnachten – natürlich alle unterm Baum, wehe, wenn nicht. Die Gefühlslage war eng, warm und herzlich.

Ich hatte überwiegend einen guten Draht zu beiden Eltern (bis ich 16 war oder so, da begann der typische Stress), und mein Vater tröstete mich über den ersten Liebeskummer meist besser hinweg als meine Mutter. Wir fuhren dann Auto, und manchmal waren diese Autos spektakulär schön oder merkwürdig. Mein Vater fand meine Typen eh zwielichtig und war froh, wenn sie weg waren, meine Mutter fand eher, dass ihre Tochter sich höchstwahrscheinlich mal wieder doof oder zickig oder beides angestellt hatte. “Der arme Junge!” Ich könnte ein Buch schreiben über diese Leute, einen Film drehen, einen Vierteiler. Es war schön. In meiner Erinnerung sowieso.

Is’ doch albern …

Jetzt ist mein Vater ein dementer, alter Mann, und ich hatte mir dieses Ende ganz anders vorgestellt. Ich hoffte, meine Eltern würden händchenhaltend auf einer Bank sitzen, die Urenkel zu Füßen, milde lächelnd. Ich hatte mir gewünscht, dass ich sie bis ins hohe Alter ansprechen und um Rat bitten könnte. Dass mein Vater jedoch noch da ist, in seinem Nebel, in seiner Verklärung, in einer körperlichen Gebrechlichkeit, die ich kaum aushalten kann, macht mich trotzdem froh. Jeder, der einen dementen Angehörigen hat, weiß, wovon ich rede. Jeden, der das nicht weiß, beglückwünsche ich neidfrei dazu und hoffe, dass er oder sie es auch nie erfahren muss. Mein Vater erkennt mich noch, er erkennt uns alle, ab und zu bringen wir ihn zum Lachen, manchmal bringt er uns zum Lachen. Auch unfreiwillig, und ich erinnere mich daran, wie meine Mutter über uns manchmal die Stirn gerunzelt hat, weil der Humor ihrer drei anderen Familienmitglieder etwas zu derb für sie war, oder zu albern, wie sie das nannte.

Oft findet mein Vater sein Leben nun nicht mehr lebenswert. Er spricht von Menschen, die nicht mehr da sind, als wären sie es, doch das finde ich mittlerweile, im Gegensatz zu früher, tröstlich. Nach dem Tod meiner Mutter war er mit uns, seinen Kindern und Enkeln, noch in Athen, Amsterdam und auf Mallorca. Einmal nahmen Freunde ihn mit auf eine Bustour. Er war auf fast allen Kontinenten, wir haben seinen 80. Geburtstag groß gefeiert, wie alle anderen runden Geburtstage zuvor. Danke, Papa, auch wenn du das hier nicht mehr liest, denn selbst wenn du jeden Tag den “Tagesspiegel” geliefert bekommst – er ist bei dir inzwischen mehr Deko und ich benutze ihn als Kaminanzünder.

Ich bin froh sagen zu können, dass mein Vater sehr vieles im Leben richtig gemacht hat, er war fröhlich und erfolgreich, ernst, wenn es sein musste, er liebte Musik, er war ein guter Freund, ein sehr guter Sohn und Bruder, ein liebevoller Ehemann und er war und ist der einzige Vater, den ich habe. Und den ich je haben wollen würde, wenn ich mir nochmal einen aussuchen müsste.

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